Tabuthema Vaginismus am Weltfrauentag Wenn der Sex schwierig ist

Kein Sex, kein Tampon, keine gynäkologische Untersuchung: Bei Frauen mit Vaginismus ist die Scheide wie verschlossen. Eine Betroffene aus Hohenahr berichtet - und macht Hoffnung.

Eine Frau liegt in einem Bett mit blauer Bettwäsche. Es sind nur ihr Kopf und ihre unbekleideten Schultern zu sehen. Die Wände hinter dem Bett sind in derselben Farbe gestrichen.
Bild © ARD Degeto/Reinvent Studios Int.
  • Link kopiert!
Audiobeitrag
Bild © ARD Degeto/Reinvent Studios Int.| zur Audio-Einzelseite
Ende des Audiobeitrags

Schon früh ahnt Katharina Bachmann aus Hohenahr (Lahn-Dill), dass ihr Körper anders tickt als der von Gleichaltrigen. "Das Einführen von Tampons zum Beispiel, das hat nicht so funktioniert, wie alle anderen das erzählt haben", sagt Bachmann.

Erste sexuelle Erfahrungen sammelt sie mit 16 Jahren - auch das funktioniert nicht wie bei anderen: "Es hat beim ersten Mal wehgetan", erinnert sie sich, "beim zweiten Mal, beim dritten Mal, und es hat tatsächlich immer wehgetan." Zu der Zeit wird sie Stammkundin bei ihrer damaligen Gynäkologin. Neben den Schmerzen plagen sie immer wieder Blasenentzündungen, Harnwegs- und Pilzinfektionen.

Symptome ohne erkennbare Ursache

Erst nach Jahren bekommen ihre Probleme einen Namen: Katharina Bachmann leidet an Symptomen, die Expertinnen unter dem Oberbegriff Dyspareunie zusammenfassen, also Schmerzen im Zusammenhang mit sexueller Aktivität. Eine Form der Dyspareunie ist die Vulvodynie, sie umfasst Schmerzen an den äußeren weiblichen Geschlechtsorganen, für die oft keine erkennbare Ursache gefunden werden kann.

Eine weitere Form ist der Vaginismus, bei dem sich die Scheiden- und Beckenbodenmuskeln ohne Zutun der Patientin immer wieder verkrampfen. Sie gilt als eine der häufigsten Sexualstörungen von Frauen. Zwischen zehn und 18 Prozent sollen daran leiden, "mit hoher Dunkelziffer", sagt Anja-Undine Stücker, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der Uniklinik in Frankfurt.

Bei vielen Patientinnen ist dabei der Scheideneingang wie verschlossen. Geschlechtsverkehr, das Einführen von Tampons oder gynäkologische Untersuchungen sind, wenn überhaupt, nur unter starken Schmerzen möglich.

Sexualität war schambehaftetes Thema

Katharina Bachmanns erste Gynäkologin habe die Zusammenhänge nicht erkannt, sagt die 32-Jährige, und eben immer wieder nur ihre Infektionen behandelt. 2012 sucht sie einen neuen Gynäkologen, der sie zwei Mal untersucht und ihr nach einem unauffälligen Abstrich versichert, sie sei körperlich völlig in Ordnung. Gleich darauf überweist er sie zum Verhaltenstherapeuten.

Das habe vieles in Bewegung gebracht, sagt Bachmann. Sie habe ein frühkindliches Trauma aufgearbeitet, auf das sie nicht weiter eingehen will. Generell seien Intimität und Sexualität für sie ein sehr schambehaftetes Thema gewesen. "Deswegen habe ich auch meine Eltern nicht darauf angesprochen und eher Dinge von Freundinnen aufgeschnappt oder vom Fernsehen."

Neben ihrer Therapie holt sie also ihre Sexualaufklärung nach. Ein weiterer großer Schritt sei die Trennung von ihrem damaligen Freund gewesen: "Interessanterweise waren die ständigen Infektionen wie auf Knopfdruck weg", berichtet sie.

Lange Liste möglicher Ursachen

Die genauen Ursachen dieser Sexualstörung seien unbekannt, sagt Anja-Undine Stücker, die Liste vermuteter Ursachen könne mehrere DIN-A4-Seiten füllen. Ein Trauma könne eine davon sein. Letztendlich sei es ein Schmerzsyndrom, das Ärztinnen und Ärzte etwa von längeren Rückenleiden oder langwierigen Infektionen kennen, und das sich von selbst verstärke. Ratsam sei es deswegen, zunächst körperliche Erkrankungen auszuschließen.

In bestimmten Fällen könnten dann Antidepressiva oder Cremes helfen, in die niedrigdosiert ein Anti-Depressivum gemischt wird. Bei jungen Patientinnen, die erst seit kurzem erkrankt seien, helfe auch eine Neuraltherapie, bei der ein Lokalanästhetikum an den schmerzenden Stellen verabreicht wird.

"Damit wird der Berührungsschmerz-Kreislauf unterbrochen", weiß Stücker. Diesen Patientinnen erkläre sie dann auch, dass es wichtig sei, nun Sex zu haben. "So erkennen sie: Es geht auch ohne Schmerzen." In vielen Fällen helfe - wie bei Bachmann - eine Psychotherapie.

Oft Sexualaufklärung nötig

Hier seien vor allem Verhaltenstherapien das Mittel der Wahl, ergänzt Vera Müller. Sie ist Oberärztin an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am UKGM in Gießen, außerdem ausgebildete Psychotherapeutin.

Dabei gehe es oft um grundlegende Sexualaufklärung. Die Patientinnen lernten erstmals, ihre Sexualorgane anzuschauen, zu benennen und zu berühren. Teils sei es wichtig, dass der Partner eingebunden ist, bei Traumata sei zunächst eine Einzeltherapie sinnvoll.

Wunsch nach lockerem Umgang

Katharina Bachmann sagt, sie selbst sei erst seit kurzem wirklich geheilt. 2020 sei sie wegen Depressionen in einer psychiatrischen Fachklinik noch einmal traumatherapeutisch behandelt worden, vor allem Imaginationsverfahren hätten geholfen. "Bis dahin dachte ich, Vaginismus ist nicht heilbar."

Sie wünscht sich mehr Aufklärung unter anderem von Gynäkologen, außerdem einen lockereren Umgang mit Körperlichkeit. "Es ist zum Beispiel völlig normal, dass Kita-Kinder eine Phase der Selbstentdeckung haben", sagt sie. "Man muss dann unverkrampft mit ihnen darüber reden." Zur Aufklärung an den Schulen gehöre überdies nicht nur die reine Biologie, auch Emotionen gehörten dazu.

Betroffene: Partner nicht vergessen

Anderen Betroffenen rät sie: Nicht aufgeben und auch den Partner nicht vergessen, den das Thema ja ebenfalls belaste. Selbst wenn sich die Ursachen nicht fänden oder sich der Vaginismus nicht komplett lösen lasse: "Trotzdem ist ein erfülltes und lustvolles Liebesleben möglich", betont Katharina Bachmann. Sie etwa sei in der Zeit schwanger geworden.

Zur Not müssten Betroffene den Gynäkologen wechseln, ergänzt Anja-Undine Stücker und Vera Müller fügt an: "Das Behandlungszimmer beim Gynäkologen oder der Gynäkologin sollte ein geschützter Raum sein."

Sie ziehe aus ihrer Leidenszeit inzwischen auch Positives, sagt Bachmann: Sie sei jetzt "viel empfindlicher und sensibler und viel offener in der Kommunikation, vor allem mit dem Partner", als sie es vielleicht wäre, wenn sie keinen Vaginismus gehabt hätte.

Weitere Informationen

Hilfe für Betroffene

Anlaufstellen in Hessen sind unter anderem die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Uniklinikums in Frankfurt oder die Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Gießen.

Mit der Suchmaschine der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe lassen sich zudem Fachleute in der Nähe finden. Der Verein pro familia bietet außerdem bundesweit und online Sexualberatung durch Ärztinnen, Psychotherapeutinnen und Sozialpädagoginnen an.

Die Krankenkassen bezahlen oder bezuschussen zudem einen Kurs zum Thema über die App "HelloBetter". Er wurde unter anderem mit der Uni Marburg entwickelt und enthält Entspannungstechniken.

Katharina Bachmann bietet auf ihrer Webseite und auf Instagram teils kostenpflichtige Tipps und Expertengespräche an - unter anderem zu Imaginationstechniken, die bei ihr stark zur Heilung beigetragen haben, wie sie erzählt.

Ende der weiteren Informationen

Quelle: hessenschau.de