Testversuch im Wohnverbund Pflegeroboter Temi wird niemals müde, ist immer freundlich
In einem Wohnverbund für Psychiatrie-Patienten in Mörfelden-Walldorf ist ein Pflegeroboter getestet worden - programmiert von Experten aus dem Rhein-Main-Gebiet. Der Versuch zeigt, wie künstliche Intelligenz die Branche verändern könnte.
Wenn die Bewohner des Vitos-Wohnverbunds in Mörfelden-Walldorf (Groß-Gerau) über Temi reden, könnte man vermuten, dass es sich um einen echten Mitarbeiter handelt. Doch Temi ist ein Roboter, benannt nach dem israelisch-amerikanischen Konzern, der ihn hergestellt hat.
Im Wohnverbund leben bis zu 24 Menschen mit psychiatrischen Krankheiten wie Schizophrenie und Angststörungen - eigenverantwortlich, aber unterstützt von Pflegerinnen und Pflegern und zuletzt eben auch von Temi. Das Exemplar, das in Mörfelden-Walldorf testweise zum Einsatz kam, wurde in Hessen programmiert. Informatiker des Unternehmens PureSec aus Idstein (Rheingau-Taunus) und von der Frankfurter University of Applied Science (UAS) haben die Software speziell für den Einsatz in einer Pflegeeinrichtung entwickelt.
Temi ist rund um die Uhr im Einsatz
Temis Aufgabe ist, die Bewohner in Zeiten zu beschäftigen, in denen niemand vom Personal anwesend ist. Er kann Filme zeigen, Sportanleitungen abspielen oder mit den Bewohnern Spiele spielen. Temi ist rund um die Uhr im Einsatz, er wird nie müde und lädt nur gelegentlich an einer Basisstation seine Batterie auf.
Außerdem übernimmt der Roboter die Ankündigung der Medikamentenausgabe. Er rollt dann durch den Flur und macht sich lautstark bemerkbar. "Ich bin in sieben Minuten zurück", meldet Temi vorher noch seinen menschlichen Kollegen.
Der Roboter im Vitos-Wohnverbund ist einer von dreien, die PureSec und die UAS in Pflegeeinrichtungen in Hessen seit August getestet haben. Die Testphase ging nun zu Ende.
"Wir werden ihn vermissen", sagt einer der Bewohner über Temi. Der Pflegeroboter ist im Wohnverbund so gut angekommen, dass der Betreiber Vitos über eine Anschaffung nachdenkt. Noch steht nicht fest, ob es zu einem Kauf kommt.
Dem Roboter mussten Grenzen gesetzt werden
"Am Anfang wussten wir nicht ganz, worauf wir uns einlassen. Aber die Klienten haben das sehr gut angenommen", sagt Wohnverbundsleiter Andreas Schneider, der die Bewohner lieber Klienten nennt. Zu Beginn des Tests habe er befürchtet, dass der Roboter, der spricht und ein Gesicht hat, Bewohner mit bestimmten Krankheitsbildern verstöre. Wer unter Verfolgungswahn leide, könne durch so einen Roboter getriggert werden, erklärt Schneider. Es sei aber zu keinem Zwischenfall gekommen.
Temi läuft mit einem intelligenten Sprachprogramm, das eigens auf die Bedürfnisse der Bewohner einer Pflegeeinrichtung ausgerichtet ist. Wird der installierte Notfallknopf betätigt, wird eine Betreuerin oder ein Betreuer alarmiert. Wegen des in Deutschland strengen Datenschutzes mussten die Programmierer aus Frankfurt und Idstein aber auf viele nützliche Funktionen verzichten, die Temi auch drauf hätte. In der Vollversion kann der Roboter zum Beispiel auf KI-Programme wie ChatGPT zurückgreifen. Das würde noch viel umfassendere Gespräche mit Temi erlauben.
Helmut Honermann ist der Geschäftsführer von PureSec, der Firma, die mit Informatikern der Frankfurt University of Applied Science Temi für den Test in den hessischen Pflegeeinrichtungen programmiert hat. Er macht klar: "Pflege muss menschlich sein. Aber ein Roboter als Unterstützung - darin sehe ich die Zukunft." Dieses Potenzial hat auch die Politik erkannt, das Projekt wurde vom hessischen Digitalministerium vorangetrieben.
Digitale Teilhabe ermöglichen
Auf Seiten der UAS ist Professorin Barbara Klein für das Projekt verantwortlich. Ihr Augenmerk lag besonders auf dem sozialen Aspekt: "Jeder Mensch hat ein Recht darauf, sein Leben zu realisieren, wie er es möchte. Wir wollen dieses Potenzial mit solchen Technologien erweitern." Die Bewohner im Wohnverbund und ähnlichen Einrichtungen hätten in der Regel kein Smartphone. Der Roboter könne ihre Lebensqualität steigern. "Digitale Teilhabe" nennt Klein das.
Wie das praktisch aussehen kann, erklärt der Wohnverbundsleiter Andreas Schneider: "Wir haben Klienten, die der Technik nicht ganz so zugewandt sind. Die haben wir herangeführt."
Es steht fest, dass in der Branche ein akuter Personalmangel herrscht. Was der Versuch in Mörfelden-Walldorf gezeigt hat: Durch die zusätzliche Unterstützung durch einen KI-getrieben Roboter könnte den Pflegekräften aus Fleisch und Blut Zeit für menschliche Tätigkeiten verschafft werden: ansprechbar sein und zuhören können.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 07.02.2024, 19.30 Uhr
Redaktion: Stephan Loichinger