"Blue Punisher"-Funde auch in Hessen Kasseler stirbt an Ecstasy - Hausarzt kämpft gegen tödliche Pille

Ecstasy birgt extreme Gefahren - bis hin zum Tod, wie der jüngste Fall einer 13-Jährigen aus Mecklenburg-Vorpommern zeigt. Auch in Kassel starb im April ein junger, gesunder Mann nach seiner ersten Pille. Sein Hausarzt kämpft seitdem um Aufklärung.

Der Allgemeinmediziner Jean-Pierre Schmidt aus Kassel in seiner Praxis
"Sache hat mich mitgenommen": Der Allgemeinmediziner Jean-Pierre Schmidt aus Kassel in seiner Praxis. Bild © hr/Stefanie Küster
  • Link kopiert!
Videobeitrag

Blue-Punisher-Pillen auch in Hessen auf dem Markt

hs 29.06.2023
Bild © hessenschau.de
Ende des Videobeitrags

"Die Sache hat mich sehr mitgenommen", sagt der Kasseler Allgemeinmediziner Jean-Pierre Schmidt. “Die Sache" ist die Geschichte seines Patienten. Ein 20 Jahre alter Mann, Marcel (richtiger Name der Redaktion bekannt), der vor gut zwei Monaten starb. Marcel hat vorher mit Freunden gefeiert, sie haben gekifft und dann Ecstasy-Pillen geschluckt.

Im Laufe des Abends bekommen Marcels Freunde Bauchschmerzen, Marcel zittert und kippt um. Der herbeigerufene Notarzt versucht, den jungen Mann zu reanimieren - ohne Erfolg. Marcel wird klinisch tot ins Klinikum Kassel gebracht. Hier stirbt er am 12. April 2023.

Sein Patient habe das erste Mal in seinem Leben eine Ecstasy-Tablette genommen hat, erzählt Schmidt. Die Pillen habe mutmaßlich einer seiner Freunde aus Frankfurt mitgebracht. Der Mediziner sitzt in seiner Praxis im Kasseler Stadtteil Süsterfeld/Helleböhn und zeigt auf die wenigen Papiere, die die letzten Stunden von Marcel nachzeichnen. 

Motivation: “Verhindern, dass noch jemand stirbt” 

Nach dem 12. April hat Schmidt die Kriminalpolizei angerufen, im Klinikum Kassel nachgefragt, Kontakt zur Pathologie in Gießen aufgenommen - um eine Antwort auf die Frage zu bekommen, die ihn seitdem umtreibt: Warum sein Patient gestorben ist?

Jetzt bekommt der tragische Todesfall zusätzliche Brisanz: Zwei Monate nach Marcels Tod ist ein 13 Jahre altes Mädchen aus Mecklenburg-Vorpommern gestorben, nachdem sie mutmaßlich eine Ecstasy-Pille vom Typ “Blue Punisher” nahm.

Schmidt ist verzweifelt. Er habe nach dem Tod seines Patienten rechtzeitig warnen wollen, nun sei es im Fall der 13-Jährigen zu spät. Er fürchtet, dass weitere Ecstasy-Tote folgen könnten.

“Blue Punisher” seit 2022 in Hessen nachgewiesen 

Ob es sich bei Marcels Pille auch um “Blue Punisher” gehandelt hat, ist unklar - sicher ist jedoch: Pillen dieses Typs sind bereits 2022 in Hessen angekommen. Die Polizei bestätigt 13 Funde an verschiedenen Orten in Hessen.  

“Blue Punisher” sei in unterschiedlicher Zahl sichergestellt worden, davon “allein neunmal im Bereich des Polizeipräsidiums Frankfurt”, sagt Sophia Lugner, Sprecherin des Hessischen Landeskriminalamtes (LKA) in Wiesbaden. Als ein Beispiel nennt sie das Frankfurter Bahnhofsgebiet. 

Ecstasy-Pille: Blue Punisher
Eine Ecstasy-Pille "Blue Punisher". Bild © picture alliance/dpa/Keystone | Ennio Leanza

Gefährliche Wirkstoffgehalte in den Pillen

Kriminaltechnische Untersuchungen des LKA hätten gezeigt, dass solche Pillen "gänzlich unterschiedliche und damit auch sehr gefährliche Wirkstoffgehalte enthalten können". Anhand des Aussehens lasse sich keinesfalls auf den Inhalt schließen.

"Mittlerweile nutzen diverse Hersteller illegaler Drogen die Bekanntheit von 'Blue Punisher', obwohl die Wirkstoffgehalte in der Ecstasy-Tablette teils völlig andere sind. Dies birgt eine hohe Gefahr", betont Lugner.

Lebensgefährliche Drogen noch im Umlauf?

Auch Allgemeinmediziner Schmidt warnt eindringlich von der Einnahme der Droge: Niemand wisse, wie viele der lebensgefährlichen Pillen noch im Umlauf seien.

Dazu gebe es kein Kochrezept, keine festen Bestandteile einer bestimmten Menge, die in eine Pille kommen. "Jeder kann irgendetwas zusammenpanschen", sagt er, "und wenn man die nimmt, ist es zu spät."

Überlebenschance nur in der Klinik

Der Hauptwirkstoff von Ecstasy ist MDMA. Es sorgt für eine vermehrte Ausschüttung des Glückshormons Serotonin. Ist die Dosis zu hoch, kollabiert der Körper meist innerhalb kürzester Zeit.

Die Einnahme von Ecstasy könne dazu das Serotonin-Syndrom auslösen, so der Kasseler Arzt. Steige das Serotonin an, löse das Durchfall, Blutdruckabfall, Pulserhöhung, Schwitzen, Zittern, Muskelkrämpfe oder auch unwillkürliche Bewegungen aus. "Und das Ganze nimmt zu", erklärt Schmidt - und lasse nicht nach.

Sobald man Symptome wie Zittern oder Muskelkrämpfe verspüre, müsse man die 112 wählen und den Notarzt rufen, betont Schmidt, nur in einer Klinik habe man Überlebenschancen. Trotz Notarzt und Klinik hat sein Patient es nicht geschafft.

Schmidt will Marcels Geschichte erzählen, um andere Menschen zu warnen und über Ecstasy aufzuklären. Die tödlichen Pillen lägen noch überall herum, so der Arzt. Er bittet eindringlich: "Finger weg vom Ecstasy - die ganzen nächsten Jahre."

Weitere Informationen

Was ist Ecstasy? 

Der Hauptwirkstoff von Ecstasy ist MDMA (3,4-Methylendioxymethylamphetamin) und wurde 1912 vom Pharmaunternehmen Merck patentiert und unter anderem in der Psychotherapie eingesetzt. MDMA sorgt für eine verstärkte Ausschüttung des Glückshormons Serotonin. Die Verbreitung als Droge in Form von Pillen begann erst mit der Techno-Bewegung in den 1990er Jahren.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) beschreibt auf ihrem Portal drugcom, Konsumenten verspürten eine euphorisierende Wirkung, fühlten sich wacher und aktiviert. 

Ende der weiteren Informationen
Weitere Informationen

Sendung: hessenschau, 29.06.2023, 16:45 Uhr

Ende der weiteren Informationen

Quelle: Isabell Kramer, hessenschau.de