800. Transplantation Wie die Uniklinik Frankfurt mehr Leberpatienten retten will
An der Uniklinik Frankfurt hat der 800. Patient eine rettende Spenderleber erhalten. Über 100 Menschen stehen noch auf der Warteliste. Das Ärzteteam will künftig mehr Spenden ermöglichen - auch mit der Rückkehr zu einer altbekannten Technik.
Der lang ersehnte Anruf erreichte Thomas Weber ausgerechnet am letzten Abend des alten Jahres, auf einer kleinen Feier bei Freunden. "Ich war so perplex und dachte mir 'Oh, Silvester, Uni Frankfurt - es wird doch nicht ...' - und doch, so war es", erzählt der 64-Jährige mit einem Lächeln. "Dann hieß es: Alle Mann ab in die Uniklinik."
Denn dort sollte Weber noch in der Nacht eine Spenderleber transplantiert werden. "Das Feuerwerk hatte begonnen, ich lag auf dem Zimmer, die Familie war mit dabei", erzählt er. "Wir durften noch Silvester feiern und haben uns gemeinsam ein frohes neues Jahr gewünscht."
Dann wurde er für den OP vorbereitet. Mit dem Jahreswechsel sollte für ihn auch ein völlig neuer Lebensabschnitt beginnen. "Das war überwältigend - der Augenblick, das Glücksgefühl."
Leber voller Zysten
Lange wollte Weber nicht einsehen, dass er eine neue Leber brauchte. Gegen die Aufnahme in die Warteliste habe er sich gewehrt, aus Angst vor den Risiken einer Transplantation, erzählt er.
Doch allein mit Medikamenten war ihm nicht mehr zu helfen. Denn zu lange hatte er nicht geahnt, dass sich in seiner Leber immer mehr flüssigkeitsgefüllte Blasen, sogenannte Zysten, bildeten.
Eine eigentlich nicht heilbare Erkrankung aufgehalten
Er magerte ab, während sein Bauch trotzdem wuchs - durch das inzwischen riesige und immer weniger funktionsfähige Organ. Mit der Zeit habe er sich kaum noch bewegen können, erinnert Weber sich. Selbst alltägliche Dinge wie Schuhebinden waren eine Herausforderung. Sein Arzt konnte ihn schließlich von einer Transplantation überzeugen.
Bei der Nachuntersuchung drei Wochen nach dem Eingriff ist Arzt Alexander Queck zufrieden: die Form, die Durchblutung der Leber - alles exzellent, stellt der Gastroenterologe fest. "Wir haben es jetzt geschafft, durch eine Lebertransplantation eine eigentlich nicht heilbare Erkrankung der Leber aufzuhalten."
100 Patienten auf Warteliste
Thomas Weber ist der 800. Patient, der am Uniklinikum Frankfurt in den vergangenen 40 Jahren eine neue Leber erhalten hat. Etwa eineinhalb Jahre musste er auf den rettenden Eingriff warten. Aktuell stehen rund 100 Patientinnen und Patienten mit einer Lebererkrankung auf der Warteliste des Transplantationszentrums.
Wann sie ein Organ erhalten werden, lasse sich nicht pauschal sagen, erklärt der Direktor der Klinik für Transplantationschirurgie, Armin Wiegering. Das hänge zum einen von der Dringlichkeit ab: Wie krank ist ein Patient? Zum anderen spiele es eine Rolle, welche Qualität man akzeptiert - nur die Leber eines jungen Spenders oder auch die eines älteren?
Mehr Transplantationen trotz Spendermangels
Wiegering, der erst im Herbst aus Würzburg nach Frankfurt gewechselt ist, will hier künftig mehr Patienten helfen. Er hat das Team neu aufgestellt und gleich vier erfahrene Kolleginnen und Kollegen an die Uniklinik geholt.
Darunter ist auch der Chirurg Tamás Benkö aus Budapest, der seit wenigen Monaten die Transplantationschirurgie leitet. Er will die Qualität von Spenderorganen verbessern - und damit auch solche retten, die sonst kaum noch verwendbar wären.
"Das ideale Organ existiert nicht", erklärt Benkö. Man habe in Deutschland viele Organe von älteren und übergewichtigen Spendern, teilweise auch von Langzeit-Intensivpatienten. "Deshalb ist es wichtig, grenzwertige Organe in einen Zustand zu bringen, dass sie nach der Transplantation gut funktionieren können."
Perfusionsmaschine erweist sich als Lebensretter
Dafür greift Benkö auf eine altbewährte Technik zurück: eine Perfusionsmaschine. "In Pionierzeiten der Lebertransplantation musste man solche Maschinen noch mit einem riesigen Lkw liefern."
Heute sind sie deutlich kleiner. Sie schaffen eine Situation ähnlich zu der im Körper. Die Gefäße der Leber werden an zwei Schläuche angeschlossen, eine spezielle Lösung wird durchgeleitet. Druck und Temperatur lassen sich regulieren.
Das sei nicht nur schonender als die Aufbewahrung in einer Kühlbox und mit einer Konservierungslösung. Auch lasse sich die Qualität der Organe leicht testen, indem man aus der Flüssigkeit Proben entnimmt. "Dadurch, dass wir diese Maschine nutzen, retten wir viel mehr Patienten das Leben", ist sich Benkö sicher.
Lebendspende birgt Risiken
Das Team will noch auf zwei weitere Bausteine setzen. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Chirurgen, Radiologen, Kardiologen Gastroenterologen und Psychologen soll weiter gestärkt werden. In gemeinsamen Besprechungen blicken sie vor und nach der Transplantation genau auf den Patienten.
Außerdem will Wiegering in den kommenden Jahren mehr Lebendspenden ermöglichen. Von den 800 Lebertransplantationen gehen in Frankfurt eigenen Angaben zufolge bisher nur zwölf auf lebende Spender zurück.
In ganz Deutschland sei die Leber-Lebendspende relativ selten, sagt Wiegering. Nicht ohne Grund: Es sei ein komplexer Eingriff mit einer deutlich höheren Komplikationsrate für den Spender als zum Beispiel bei der Entnahme einer Niere.
Leber-Spender geben einen Teil des Organs ab
Anders als bei der doppelt vorhandenen Niere wird im Falle der Leber nur ein Teil des Organs verpflanzt. "Man muss bedenken, dass die Spende für den Spender einen Eingriff in dessen körperliche Unversehrtheit ist", so Wiegering. Das müsse man genau abwägen mit dem Vorteil, den der Empfänger dadurch habe.
Vorab ist deswegen eine gründliche Vorbereitung nötig. Innerhalb einer sechs- bis achtwöchigen Untersuchungsphase würden alle Organsysteme überprüft, ergänzt Chirurg Benkö. Für manche Patienten bleibe es aber die einzige Option, zeitnah und geplant ein Organ zu erhalten.
Grundproblem: Spendermangel
Lebendspende und Perfusion - es sind zwei Lösungsansätze, um einem Grundproblem zu begegnen: In Deutschland besteht Spendermangel. Nach Auskunft der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) spendeten im Jahr 2024 in Hessen 88 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe. Demgegenüber stehen rund 600 Menschen, die dringend auf ein Spenderorgan warten.
In Deutschland dürfen Organe nur entnommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten aktiv zugestimmt hat oder ein Angehöriger nach dem Tod einwilligt. In vielen anderen europäischen Ländern gilt dagegen die sogenannte Widerspruchslösung. Jeder Erwachsene wird automatisch zum Organspender, wenn er dem nicht ausdrücklich widerspricht.
Von solch einer Lösung würde man auch in Deutschland profitieren, sagt Wiegering. Aktuell kommt Bewegung in die Sache: Im Sommer hat der Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Widerspruchslösung eingebracht, vorangetrieben unter anderem von Hessen. Vor fünf Jahren war ein solcher Entwurf allerdings an einer fehlenden Mehrheit im Bundestag gescheitert.
Das Ziel: Reha und eine Reise
"Es wäre einfach nur toll, wenn mehr Menschen die Bereitschaft hätten zu sagen: Ich spende mein Organ, damit es bei anderen weitergehen kann", sagt Thomas Weber. Der 64-Jährige hat sich nach der Transplantation so schnell erholt, dass für ihn bald die Reha beginnen kann.
Jeden Tag gehe es ihm besser, sagt er. Die Bewegung und die Energie kämen langsam zurück. Worauf er sich freut? Auf eine Wohnmobilreise mit seiner Frau. Und ganze Tage ohne Mittagsschlaf. Denn vor der Transplantation habe er sich nach maximal drei Stunden wieder hinlegen müssen.