Zehn Jahre nach tödlichem Angriff Tuğçe Albayraks Vermächtnis: Wie eine Stiftung Zivilcourage an Schulen stärkt

Vor zehn Jahren erschütterte der gewaltsame Tod der Lehramtsstudentin Tuğçe Albayrak das Land. Heute versucht eine Stiftung ihr Andenken aufrechtzuerhalten, indem sie Schülerinnen und Schülern beibringt, Konflikte gewaltfrei zu lösen.

Tugce Albayrak mit Mütze
Mit Bildern und Kerzen wurde Tuğçes nach ihrem Tod gedacht. Bild © picture-alliance/dpa
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hs 15.11.2024
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Es ist zunächst keine sonderlich ungewöhnliche Nacht in der McDonalds-Filiale am Offenbacher Kaiserlei. In den frühen Morgenstunden des 15. November sind ziemlich viele junge Leute unterwegs, die das Wochenende schon am Donnerstagabend eingeleitet haben. Der Schnellimbiss ist für die meisten ein kurzer Zwischenstopp auf dem Weg nach Hause. Auf der Toilette im Keller wird es kurz laut, ansonsten bleibt alles ruhig. Bis zu jener Situation auf dem Parkplatz.

Gegen 3 Uhr nachts fängt eine Videokamera ein, wie ein junger Mann offenkundig wutentbrannt auf eine Frau zustürmt. Ein Freund, der einen ganzen Kopf kleiner ist, versucht ihn von ihr fern zu halten. Umklammert ihn, schubst ihn weg, schreit ihn - soweit man das auf der tonlosen Aufnahme nachvollziehen kann - immer wieder an.

Dann plötzlich schlägt der Angreifer über den Kopf seines Freundes hinweg mit der flachen Hand in das Gesicht der Frau. Diese fällt rücklings zu Boden und mit dem Hinterkopf auf den Asphalt. Die Frau wird kurz darauf ins Koma fallen. Zwei Wochen später - an ihrem 23. Geburtstag - werden die lebenserhaltenden Maßnahmen beendet. Zu diesem Zeitpunkt kennt das ganze Land bereits ihren Namen: Tuğçe Albayrak.

Mehr als nur das Andenken bewahren

Genau zehn Jahre sind seit jener tödlichen Attacke am Offenbacher Kaiserlei vergangen. Seinerzeit nahm das ganze Land Anteil am Schicksal der Lehramtsstudentin aus Bad Soden-Salmünster (Main-Kinzig). Vor allem nachdem bekannt wurde, dass sie wohl versucht hatte, zwei minderjährige Mädchen vor den Zudringlichkeiten der Jungen-Clique des späteren Angreifers Sanel M. zu schützen.

Es folgte eine lange Debatte über Zivilcourage. Dann der Prozess gegen den 18-jährigen Sanel M., der mit einem Schuldspruch und einer Freiheitsstrafe von drei Jahren endete. Nach Verbüßung der Haft wurde Sanel M. nach Serbien abgeschoben.

Von Sanel M. weiß man inzwischen nicht viel mehr, als dass er in Serbien eine Ausbildung abgeschlossen haben und ein geordnetes Leben führen soll. An Tuğçe Albayrak erinnert ein Denkmal an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, wo sie studierte. In Frankfurt will derweil eine Stiftung mehr als nur ihr Andenken bewahren.

Aus dem Schmerz etwas konstruktives erschaffen

Dogus Albayrak - Vorsitzender des Tugce Albayrak e.V.
Doğuş Albayrak im Büro des Tuğçe Albayrak e.V. Bild © hessenschau.de

"Wir haben uns an den Schmerz gewöhnt", sagt Doğuş Albayrak, Tuğçes älterer Bruder. Doğuş Albayrak sitzt in einem Büro im Frankfurter Nordend. Vor dem Eingang prangt auf einem mehrfarbigen runden Schild das Gesicht seiner Schwester, so wie es die deutsche Öffentlichkeit vor gut zehn Jahren kennenlernte. Eine leicht verschmitzt dreinschauende junge Frau mit großen Augen und dunklen Haaren.

Es ist kein Mahnmal, sondern das offizielle Logo des Tuğçe Albayrak e.V. Doğuş Albayrak steht dem Verein vor, der nach seiner getöteten Schwester benannt ist: "Wir haben versucht, etwas Konstruktives zu erschaffen, damit die Gesellschaft aus den Fehlern lernt."

Der Verein ist vor allem an Schulen aktiv. Mit Theaterworkshops versuchen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Jugendlichen zu vermitteln, wie man Konfliktsituationen gewaltfrei löst. Das, so Albayraks Überzeugung, ist heute so wichtig wie vor zehn Jahren - vielleicht sogar wichtiger: "Vor allem im aktuellen Kontext, wo wir uns polarisieren. Wo die Gewaltstatistiken immer mehr steigen, immer mehr Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene psychische Probleme haben."

Büro des Tugce-Albayrak e.V. im Frankfurter Nordend.
Büro des Tuğçe Albayrak e.V. im Frankfurter Nordend. Bild © hessenschau.de

Zentrum für Zivilcourage soll entstehen

"Alltagsheldenworkshop für Zivilcourage" nennen sich die Workshops an den Schulen. Geleitet werden sie von Fachleuten für Theaterpädagogik. Die Nachfrage an den Schulen sei groß, berichtet Vorstandsmitglied Sabine Schmitt. Die Workshops böten ein Setting, in dem vielen Jugendlichen der Zugang leicht falle.

"Sie bringen ihre Themen mit rein. Die Themen werden aufgenommen", so Schmitt. Vor allem aber sei es die Geschichte von Doğuş Albayrak, die nach wie vor viele Teilnehmende bewege. "Sie ist oft der Impuls, um in eine Rolle hineinzuschlüpfen".

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Der Fall Tuğçe Albayrak

Ein Foto von Tugce A. vor dem Klinikum in Offenbach
Ein Foto vor dem Klinikum in Offenbach erinnert an Tugce A. Bild © picture-alliance/dpa
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Bei diesem Angebot soll es aber nicht bleiben. Geht es nach der Vorstellung des Vereinsvorstandes, soll aus dem Büro im Nordend ein Zentrum für Zivilcourage werden. Ausstellungen und Lesungen schweben den Mitgliedern vor.

Fördermittel sind knapp

Susanne Schmitt vom Vorstand des Tugce-Albayrak e.V.
Susanne Schmitt vom Vorstand des Tuğçe Albayrak e.V. Bild © hessenschau.de

Das Problem dabei: Die Mittel des Vereins sind sehr begrenzt. Ein jährlicher Benefizlauf in Bad Soden-Salmünster ist eine der wenigen festen Einnahmequellen. Umso wichtiger ist es für die ausgebildete Sozialarbeiterin Schmitt, die Fördermittellandschaft im Blick zu haben und nach passenden Programmen zu suchen.

Denn die Arbeit für ein friedliches Miteinander müsse weitergehen, ist Doğuş Albayrak überzeugt. "Die Gesellschaft ist die Summe der Entscheidungen der einzelnen Menschen. Und wenn wir diese Kompetenzen mit auf den Weg geben, wie Empathie, wie Couragiertsein, dann erhoffen wir uns, dass wir auch die Gesellschaft zu einem Besseren verändern können."

Es wäre vielleicht kein besseres Denkmal für Tuğçe Albayrak. Aber ein nachhaltigeres.

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Redaktion: Danijel Majić

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de mit Informationen von Wolfgang Hettfleisch.