Debatte über Namenswechsel Warum Wissenschaftler die Uni Kassel nach Elisabeth Selbert umbenennen wollen
Die Uni Kassel kommt bisher ohne einen klingenden Namen aus. Das soll sich ändern, fordern vor allem Stimmen aus der Wissenschaft. Ginge es nach ihnen, soll die Uni künftig nach einer der "Mütter des Grundgesetzes" benannt werden - Elisabeth Selbert. Doch für diese Idee gibt es nicht nur Beifall.
"Ich studiere an der Elisabeth Selbert-Universität."
Wenn es nach Wolfgang Schroeder geht, ist es das, was Studierende der bisher eher schlicht betitelten "Universität Kassel" künftig antworten, wenn sie nach ihrer Uni gefragt werden. Der Politikwissenschaftler hat eine Professur an eben jener Lehranstalt - und ist eine der Stimmen, die vorschlagen, die Uni nach einer der bedeutendsten Frauen der Stadtgeschichte zu benennen.
Für Schroeder ist Selbert die perfekte Namensgeberin für die Universität am Holländischen Platz. Die 1896 in Kassel geborene Juristin und SPD-Politikerin spielte eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des Grundgesetzes und setzte sich leidenschaftlich für die Gleichberechtigung von Frauen ein.
Elisabeth Selbert sei "eine ganz zentrale Akteurin unseres Demokratieverständnisses gewesen", so Schroeder. Und damit genau die richtige Person, um der Uni Kassel ein starkes Profil zu verleihen.
Eine der vier "Mütter des Grundgesetzes"
Wer in die Kasseler Innenstadt geht, kommt an Elisabeth Selbert schon jetzt kaum vorbei. Als Bronze-Statue steht sie am Scheidemannplatz. Unter den Arm hat sie Akten geklemmt, ihre aufrechte Haltung und ihr leicht nach hinten geneigter Kopf wirken herausfordernd und zugewandt zugleich. Berühmt wurde sie für ihr Mitwirken am Grundgesetz, als eine von vier Frauen im so genannten Parlamentarischen Rat.
Sie habe den wesentlichen Anstoß gegeben, dass Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes laute, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, so Politikwissenschaftler Schroeder. "Das war damals kein Selbstläufer, sondern dafür musste sie hart kämpfen."
Name als Symbol für Verbindlichkeit des Grundgesetzes
Die Idee, die 1986 verstorbene Elisabeth Selbert zur Namensgeberin der Uni zu machen, habe es immer wieder gegeben, erläuterte Schroeder. Doch aus der Idee sei nichts geworden. Man habe sich im Lehrbetrieb erst kürzlich erneut mit der Juristin und Politikerin befasst. Tenor sei gewesen, dass der Vorschlag erneut auf den Tisch müsse. Denn der Vorschlag habe heute einen anderen Beigeschmack als noch vor 20 Jahren.
![Ein Mann sitzt im Anzug in einem Büro. Er trägt Glatze, einen Anzug und eine schwarze runde Brille. Im Hintergrund ist ein Schreibtischstuhl und hohe Bücherregale zu sehen.](https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-wolfgang-schroeder-100~_t-1738747998894_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-wolfgang-schroeder-100~_t-1738747998894_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-wolfgang-schroeder-100~_t-1738747998894_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-wolfgang-schroeder-100~_t-1738747998894_v-16to9.jpg 960w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-wolfgang-schroeder-100~_t-1738747998894_v-16to9__retina.jpg 1920w)
Deutschland sehe sich damit konfrontiert, dass die Grundlagen des politischen Systems infrage gestellt würden, so Schroeders Argumentation. Das Grundgesetz und die Demokratie würden nicht mehr von allen als "wirklich verbindlich, unumstößlich und alternativlos begriffen". Die Umbenennung könne eine "überzeugende Antwort auf die gegenwärtige Krise unseres Staates und unseres politischen Systems sein".
Keine deutsche Uni trägt den Namen einer Frau
Mit von der Partie ist auch die Bildungssoziologin Jutta Allmendinger. Die Wissenschaftlerin hatte ebenfalls kürzlich in einem HNA-Interview vorgeschlagen, die Universität Kassel nach Elisabeth Selbert zu benennen.
Dies wäre in mehrfacher Hinsicht ein bedeutender Schritt, so Allmendinger, die sich für mehr Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen einsetzt. Denn es gebe derzeit in Deutschland keine nach einer Frau benannte Universität.
Dabei sind in Hessen sind eine ganze Reihe Universitäten nach Männern benannt. Beispielsweise die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, die Justus-Liebig-Universität in Gießen oder die Philipps-Universität Marburg.
Vierzig deutsche Universitäten nach Männern benannt
Lediglich ein paar Hochschulen wie beispielsweise die Alice Salomon-Hochschule in Berlin sind nach einer Frau benannt. Und das, obwohl es insgesamt 109 Universitäten in Deutschland gibt. Mehr als 40 davon tragen nach Angaben des Statistischen Bundesamts den Namen eines berühmten Mannes. Sogar international sind fast alle Universitäten nach Männern benannt.
![Eine Platte mit einer Inschrift ist in den Steinboden gelassen. Darauf steht: Elisabeth Selbert Männer und Frauen sind gleichberechtigt.](https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-106~_t-1738748005221_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-106~_t-1738748005221_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-106~_t-1738748005221_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-106~_t-1738748005221_v-16to9.jpg 960w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-106~_t-1738748005221_v-16to9__retina.jpg 1920w)
Wissenschaftsminister: Selbert als Namensgeberin "bestens geeignet"
Die Entscheidung über eine mögliche Umbenennung sieht Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) allein bei den Gremien der Universität. Doch auch wenn das Land Hessen dabei nicht direkt mitbestimme, könne es für Hessen ein positives Signal sein, wenn Kassel bundesweit die erste Uni mit einer weiblichen Namensgeberin wäre.
Aus persönlicher Sicht und als Bürger der Region Kassel findet Gremmels, dass "Elisabeth Selbert als Mutter des Grundgesetzes und des Gleichstellungs-Artikels bestens geeignet wäre, eine solche Namensgeberin zu sein". Er sei gespannt, wie die Gremien der Uni diesen Vorschlag aufgreifen werden.
Uni Kassel würdigt Selbert - und winkt ab
Die Uni Kassel zeigt sich davon bislang wenig begeistert. Gelegentlich erreichen die Uni-Leitung Vorschläge zu einem neuen Namen, heißt es dort. Diese würden aber nicht offiziell eingereicht, sondern entstünden außerhalb und erreichten die Uni meist über die Presse, so ein Sprecher auf hr-Anfrage. Im aktuellen Fall habe man durch das Interview mit Jutta Allmendinger von der Idee erfahren. Der Vorschlag sei derzeit weder bei der Uni-Leitung noch im Senat Thema.
Eine Umbenennung würde einen "erheblichen Aufwand" bedeuten, wie der Sprecher betonte. Angesichts zahlreicher Transformationsprozesse wolle man die Ressourcen "lieber in andere Aufgaben stecken" - wie zum Beispiel den Aufbau neuer Studiengänge.
Zudem halte man einen langen Namen, der "international schwer nachzuvollziehen und geographisch nicht zuzuordnen ist", nicht für geeignet. Der Sprecher betonte jedoch auch die Bedeutung von Elisabeth Selbert. Dass diese "sehr geschätzt" werde, zeige auch eine Veranstaltungsreihe der Universität zu Elisabeth Selbert.
"Wer kennt in China schon Ludwig und Maximilian?"
Argumente, Elisabeth Selbert mangele es an internationaler Bekanntheit, will Politikwissenschaftler Schroeder nicht gelten lassen. "Wer kennt in China, in Brasilien, oder in den USA Ludwig und Maximilian?", spielt Schroeder auf die bekannteste deutsche Universität in München an, die "Ludwig-Maximilians-Universität".
Auch wenn der Politikwissenschaftler für das Zögern der Uni Verständnis hat - aufgeben will er noch nicht. Nun müsse man die Argumente für die Umbenennung schärfen.
Unterstützung aus Selberts Familie
Elisabeth Selberts Enkelin würde sich freuen, wenn es doch noch gelingt. Auch wenn ihre 1986 verstorbene Großmutter selbst wohl eher bescheiden auf eine solche Auszeichnung reagiert hätte, erzählt Susanne Selbert.
![Eine Frau steht in einem Garten. Sie lehnt sich an einen Briefkasten an der Hauswand und lächelt. Im Hintergrund sind Bäume und ein Gartenweg zu sehen.](https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-elisabeth-selbert-102~_t-1738750315621_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-elisabeth-selbert-102~_t-1738750315621_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-elisabeth-selbert-102~_t-1738750315621_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-elisabeth-selbert-102~_t-1738750315621_v-16to9.jpg 960w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-elisabeth-selbert-102~_t-1738750315621_v-16to9__retina.jpg 1920w)
"Meine Großmutter war eine sehr starke Frau, wenn es darum ging, für die Rechte anderer einzutreten, für die Sache einzutreten, für die Gleichberechtigung zu kämpfen und für die Demokratie", so die die ehemalige Vize-Landrätin im Kreis Kassel. Ihre berühmte Großmutter habe vor allem den weiblichen Nachkommen Selbstbewusstsein vorgelebt. "Ihr müsst auf eigenen Füßen stehen", sei das Credo gewesen.
"Ach Kinners, das tut doch nicht Not"
Gleichzeitig beschreibt sie Selbert als zurückhaltend, wenn es um die eigenen Verdienste ging. Sie könne sich gut vorstellen, wie die Großmutter auf diese Idee reagiert hätte: "Ach Kinners, das tut doch nicht Not", hätte sie gesagt, sagt Selbert und lacht. Doch wahrscheinlich wäre sie "im Grunde ihres Herzens stolz und total froh gewesen".
![Ein Foto in einem weißen Rahmen liegt auf einem Holztisch. Es zeigt eine junge und eine alte Frau. Beide lächeln.](https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-120~_t-1738925552268_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-120~_t-1738925552268_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-120~_t-1738925552268_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-120~_t-1738925552268_v-16to9.jpg 960w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/uni-kassel-120~_t-1738925552268_v-16to9__retina.jpg 1920w)