Mitten im Zahnmedizin-Studium Uni Marburg schließt HIV-positiven Studenten aus
Eigentlich muss eine HIV-Infektion einer Uni nicht gemeldet werden, auch nicht im Gesundheitsbereich. Ein Marburger Student der Zahnmedizin tat es doch - und darf nun nicht weitermachen.
Am schlimmsten waren die Untersuchungen bei der Betriebsärztin. "Demütigend", nennt sie Frank Martin. "Sie fragte mich nach meinen Sexualpraktiken, nach meinen Medikamenten und notierte sich akribisch alles in meiner Akte, jedes Mal." Und jedes Mal habe sie nach HIV-assoziierten Symptomen gesucht, jede noch so kleine trockene Hautstelle unter die Lupe genommen.
Frank Martin heißt eigentlich anders. Seit 2012 weiß er, dass er HIV-positiv ist. Eine Diagnose, die bis Ende der 1990er Jahre einem Todesurteil gleichkam. Doch seitdem gibt es gut wirksame Medikamente, die die Lebenserwartung Infizierter auf ein Normalmaß erhöhen. Zudem drücken sie die so genannte Viruslast und machen eine Weitergabe des Erregers fast unmöglich, wenn die Viruslast unterhalb von 200 Viruskopien pro Milliliter Blut liegt (siehe Infobox).
Normales Leben - bis zum Ausschluss vom Studium
Und so war es für den heute 34-Jährigen nach einem ersten Schock klar, dass er zwar täglich antivirale Medikamente nehmen muss, sein Leben aber weitgehend normal führen wird - inklusive eines Studiums der Zahnmedizin, von dem er schon in Kindertagen geträumt hatte. Erfolgreich absolvierte er die beiden theoretischen Studienabschnitte an der Philipps-Universität in Marburg.
Im Jahr 2020 sollte der dritte, der klinische Teil am Uniklinikum Gießen-Marburg (UKGM) folgen, etwa ein Kurs der kieferorthopädischen Technik. Doch dazu kam es nicht: Die Universität schloss Martin von den Kursen aus, weil sie in ihm eine Gefahr für seine Kommilitonen und damit auch für spätere Patienten sieht.
Ärztin: Kein Weiterstudieren garantiert
Vor diesem klinischen Studienabschnitt hatte es eine arbeitsmedizinische Eignungsuntersuchung beim betriebsärztlichen Dienst der Uni gegeben, in deren Rahmen Martin einen Bogen ausfüllen musste, in dem er nach Infektionskrankheiten gefragt wurde. Zunächst machte er dazu keine Angaben, was er aus rechtlicher Sicht auch nicht muss.
Doch die diensthabende Betriebsärztin ließ nicht locker und so lenkte er ein, ließ sich sogar zu einem HIV-Test überreden, wie er erzählt. Als der positive Befund vorgelegen habe, habe die Ärztin sehr schnell deutlich gemacht, dass sie kein Weiterstudieren garantieren könne, was Martin "nach 40 Jahren Forschung zum Thema HIV für einen schlechten Scherz" hielt.
Zunächst für ein Jahr ausgeschlossen
Doch die Ärztin berief eine Expertenkommission ein und ließ sich vom Hausarzt Martins Laborwerte des vorangegangenen Jahres schicken. In dieser Periode lag er zwei Mal leicht über der Nachweisgrenze. Mit einer Verspätung von sechs Monaten kam die Kommission deswegen zu dem Urteil, dass Martin ein Jahr lang vom Studium ausgeschlossen werde. Zudem müsse er jeden Monat über einen Test nachweisen, dass er nicht ansteckend ist. Die Tests für jeweils 145 Euro musste er aus eigener Tasche zahlen, was er neun Monate lang tat.
Als die praktischen Kurse im Sommer 2021 näher rückten, bekam Martin keine Eignungsbescheinigung, weil er sich zudem ab Februar 2021 der Kontrolle verweigerte und keine Testergebnisse mehr vorlegte.
Anwalt: Uni wollte disziplinieren
Martin ging gerichtlich gegen seinen Ausschluss vor - vertreten vom Kölner Rechtsanwalt Jacob Hösl, der sagt: Das Problem sei auch ohne eine Kommission lösbar gewesen. Und: "Die Auflagen hatten einen bestrafenden Charakter, weil die praktischen Kurse zu dem Zeitpunkt noch gar nicht angefangen hatten. Es geht aber darum, Gefahren abzuwenden und nicht Disziplin durchzusetzen."
Um diese Auffassung bei Gericht zu stützen, ließ der Anwalt ein Gutachten über die Wirksamkeit der Medikamententherapie und mögliche Abweichungen bei der Viruslast bei einem der führenden Aids-Wissenschaftler Deutschlands, Jürgen Rockstroh, erstellen. Er ist Leiter der Infektiologie am Universitätsklinikum Bonn und forscht seit 1989 zu HIV.
Uni erlässt Betretungsverbot
Eine erste Entscheidung in der Sache traf im November 2021 das Verwaltungsgericht in Gießen. Es folgte dem Gutachten und stellte fest, dass es aus infektiologischer Sicht keinen Grund für den Ausschluss von den praktischen Kursen gebe. "Die Freude war riesig", sagt Martin. "Wir hatten das Gefühl: Minderheiten werden in Deutschland tatsächlich geschützt."
Doch die Universität blieb bei dem Teilnahmeverbot. Auf hr-Anfrage teilte sie mit, sie werde sich nicht im Detail äußern, nur so viel: Sie sei immer bemüht, "Lösungen für den Einzelfall zu finden und ein Studium zu ermöglichen. Werden Lösungsvorschläge nicht angenommen oder die Lösungswege nicht eingehalten, bleibt zu unserem Bedauern nur der Weg eines jeweils befristeten Ausschlusses von Veranstaltungen im Studium."
Bei allen Vorschlägen habe die Uni an ihn immer strengere Maßstäbe angelegt, als an operierende HIV-positive Chirurgen, entgegnet Martin. In seinem Fall erstellte die Hochschule ein "Gefahrenkataster", das Verletzungsrisiken während der praktischen Kurse katalogisiert, erließ sogar ein Betretungsverbot für Martin, der auch dagegen Widerspruch einlegte.
Gerichtshof lehnt Expertise ab
Der Fall landete schließlich beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Dieser gab Anfang Januar 2022 in einem Eilverfahren der Uni recht und ließ auch keine Rechtsmittel zu. "Eine abenteuerliche Entscheidung", sagt Rechtsanwalt Hösl, der ob der Begründung der Richter immer noch fassungslos ist: Sie lehnten Rockstrohs Expertise ab, weil dieser ein Humanmediziner sei, "der die Praxis in den fraglichen zahnmedizinischen Lehrveranstaltungen nicht aus eigenem Erleben kennen dürfte".
Auch wenn Martins Einsprüche gegen Ausschlussbescheide der nachfolgenden Semester noch laufen - faktisch kann er in Marburg damit nicht weiterstudieren. "Dass HIV-Positive aus Teilen einer staatlichen Universität entfernt werden können, weil sie als Gefahrenobjekt gesehen werden, ist für mich einfach unfassbar", konstatiert er. "Und das geht sogar bei Gerichten durch."
Fehlende Unterstützung in Ministerien
Bitter sei auch die fehlende Unterstützung von Ministerien und deren Antidiskriminierungsstellen gewesen, berichtet Martin. Trotz der Existenzsorgen, die er durch den bislang fehlenden Abschluss und die Gerichtskosten hat, will der Student seinen Traum vom Zahnarztberuf nicht aufgeben. Dass er ihn in Marburg verwirklichen kann, ist unwahrscheinlich.
Über konkretere Pläne möchte Frank Martin nicht sprechen – aus Angst, sich seine Zukunft wieder zu verbauen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 01.12.2022, 19.30 Uhr
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