Als Freiwilliger im Kriegsgebiet Unter Lebensgefahr in der Ukraine: Wie ein Bensheimer an der Front mit anpackt
Seit dem Sommer ist der 29 Jahre alte Lars im ukrainischen Kriegsgebiet und verteilt Hilfsgüter an die Menschen, die nahe der Front ausharren. Dafür hat der Bensheimer seinen Job am Landestheater Marburg an den Nagel gehängt.
Helm, schusssichere Weste, Sonnenbrille. So ist Lars, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, derzeit oft in der Ukraine unterwegs. Seit drei Monaten lebt er in einem kleinen Lager in der Nähe der ostukrainischen Stadt Kramatorsk, das derzeit umkämpfte Bachmut ist etwa 30 Kilometer entfernt. So oft er kann, fährt er mit seinem Team aus anderen Freiwilligen und Übersetzern in nahe gelegene Dörfer.
Im Kofferraum seines Geländewagens mit rotem Kreuz auf der Motorhaube hat er dann Spenden von Hilfsorganisationen, darunter Lebensmittel, Stromgeneratoren, Hygieneartikel und eine "rollende Apotheke", wie Lars sie nennt.
Beschuss ist Alltag
Jeder einzelne Einsatz kann dabei lebensgefährlich sein. Für den Hessischen Rundfunk hat der Bensheimer mehrere Tage lang seinen Alltag mit einer Kamera dokumentiert. Die Bilder zeigen, wie Lars und sein Team Medikamente in einem Dorf nahe der Front verteilen. "Wir sind in relativer Gefahr", erklärt Lars gerade in Richtung Kamera, da zuckt er zusammen.
Dort, wo eben noch das Auto seines Teams stand, schlägt Artillerie ein. Lars rennt, die Kamerabilder verschwimmen. Später erklärt er im Rückblick: "Das war einfach Pech. So etwas kann nahe der Front immer passieren."
"Irgendwie gewöhnt man sich dran"
Die Gefahr seines Einsatzes in der Ukraine sei ihm durchaus bewusst, sagt Lars und wirkt dabei ruhig, fast abgeklärt. Seine persönliche Grenze hat er eineinhalb Kilometer von der Frontlinie entfernt gezogen. Näher ran will er nicht – wegen der russischen Scharfschützen.
Inzwischen, sagt Lars, gehören entfernte Explosionen für ihn zum Alltag. Eingehenden Beschuss könne er von ausgehendem Beschuss allein am Geräusch unterscheiden. "Aber es ist nicht wirklich Angst. Irgendwie gewöhnt man sich dran."
Vom Lichttechniker zum Helfer
Noch vor einem Jahr war das anders. Als die russischen Truppen in die Ukraine einmarschierten, arbeitete Lars als Lichttechniker am Landestheater Marburg. Er war weder Sanitäter noch Mechaniker, noch hatte er Vorkenntnisse in humanitärer Arbeit.
Trotzdem ließ ihm das Kriegsgeschehen im Osten Europas keine Ruhe: "Ich saß da und dachte: Okay, irgendwas muss ich tun." Bereits im April vergangenen Jahres fuhr er erste Hilfstransporte aus Deutschland in die Ukraine. Im Sommer gab er seinen Job auf und beschloss, als Freiwilliger in der Ukraine zu bleiben. Seit mehr als drei Monaten ist er nun im Donbass.
Genaue Planung notwendig
Mit anderen Freiwilligen zusammen verbringt er dort die Tage mit der Planung ihrer nächsten Fahrten. Denn in den Dörfern nahe der Front gibt es oftmals keinen Strom mehr, die Apotheken sind geschlossen, die Läden leer. Viele der Menschen dort verbringen ihre Tage in den Kellern.
Wichtige Fragen sind also: Was muss wohin? Wie sicher ist die Lage vor Ort? Informationen darüber holen sich Lars und sein Team über Dolmetscher oder sogenannte Babuschkas, die die Situation gut kennen. "Das eigentliche Rausfahren ist nur ein kleiner Teil dessen, was wir machen. Hauptsächlich organisieren wir", erklärt Lars.
Unterstützung von der Bergstraße
Zur Organisation gehört auch der Austausch mit Paul Guire in Bensheim. Einmal im Monat fährt der 63-Jährige von dort für mehrere Tage in die Ukraine. In seinem Transporter hat er dann dabei, was gerade gebraucht wird: Kerzen für die Schützengräben, Medikamente wie Schmerzmittel, Antibiotika und Blutdrucksenker, aber auch warme Fleecejacken und Rucksäcke.
Paul Guire fährt die Hilfsgüter meist nach Lwiw kurz hinter der polnischen Grenze, um sie von dort aus per Post an die Front zu schicken, auch zu Lars. Über den 29-Jährigen sagt er: "Der ist für mich ein Held. Er verdient Respekt, ist mutig und muss aber auch ein bisschen crazy sein."
Das Telefonat mit den Eltern als Auszeit
Für Lars beginnt die Zeit in der Ukraine langsam zu verschwimmen. Oftmals wisse er gar nicht mehr, welcher Wochentag gerade sei. Nur Sonntage seien besonders, da würden oft seine Eltern aus Bensheim anrufen. "Ich will gar nicht viel erzählen, was ich mache. Ich will hören, was zuhause – im normalen Leben – passiert." Eine Art Pause sei das. Auch wenn es ein richtiges "Abschalten" in dem intensiven Alltag nahe der Front schlichtweg nicht gebe.
Trotzdem ist für Lars nicht absehbar, wann er an die Bergstraße zurückkehren wird: "Wir sind hier noch nicht fertig", sagt er dazu. "Am liebsten wäre mir, wir könnten beim Wiederaufbau helfen." Doch mit der aktuellen Lage im Blick weiß er auch: So schnell wird das vermutlich kaum gehen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 24.02.2023, 19.30 Uhr
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