Verschlossener Notausgang Vater von Hanau-Opfer stellt Strafanzeige wegen möglicher Behördenfehler
Wieder wendet sich ein Hinterbliebener des Anschlags von Hanau an die Justiz, weil das Geschehen aus seiner Sicht nicht richtig aufgearbeitet wurde. Es geht vor allem um einen Notausgang an einem der Anschlagsorte, der in der Tatnacht mutmaßlich verschlossen war.
Könnte Hamza Kurtović noch leben, wenn sich ein Notausgang in der "Arena Bar" in Hanau in der Tatnacht hätte öffnen lassen? Diese Frage treibt Hamzas Vater Armin Kurtović seit der Nacht vom 19. Februar 2020 um. Damals erschoss der psychisch gestörte und rechtsextreme Tobias R. erst neun Menschen aus rassistischen Motiven, danach seine Mutter und sich selbst.
Auch fünf Jahre nach dem Anschlag hält Armin Kurtović den Tatkomplex noch nicht für ausermittelt - vor allem in Bezug auf mögliche Behördenfehler. Auch Schlamperei in der Hanauer Stadtverwaltung habe das schreckliche Geschehen erst möglich gemacht, ist er überzeugt.
Deshalb hat Armin Kurtović bei der Staatsanwaltschaft Hanau eine umfangreiche Strafanzeige eingereicht. Die Behörde bestätigte deren Eingang am Donnerstag.
Kein Entkommen in der Tatnacht
Zentraler Punkt der Strafanzeige ist eine Tür, die in der Tatnacht wohl nicht zu öffnen war: der Notausgang der Gaststätte "Arena Bar & Café" in Hanau-Kesselstadt. In der Bar erschoss Tobias R. zwei Menschen, unter ihnen Hamza Kurtović.
Als Tobias R. eindrang, flüchteten die Gäste in den hinteren Teil der Bar. Dort gab es aber kein Entkommen vor dem Todesschützen. So haben die Ermittler das Tatgeschehen rekonstruiert. Warum retteten sie sich nicht durch den Notausgang? Weil dieser – entgegen der Vorschriften - immer verschlossen gewesen sei, und das hätten alle Bar-Gäste gewusst, glaubt Armin Kurtović.
Vorwurf: Stadtverwaltung blieb untätig
Auch die Hanauer Stadtverwaltung habe von Missständen in der Bar gewusst und weggeschaut. Das erfülle den Tatbestand der fahrlässigen Tötung. So lautet einer der Vorwürfe aus der Strafanzeige.
Die Anzeige ist mit Gutachten von zwei Juristen unterfüttert. Sie legen minutiös dar, dass die Verwaltung spätestens seit 2017 auf Probleme mit dem Notausgang aufmerksam geworden sei. Danach aber sei sie untätig geblieben. Deshalb trage sie eine Mitschuld am Tod von zwei Bar-Gästen.
Stadt Hanau weist Vorwürfe zurück
Den Vorwurf, bei der Kontrolle der "Arena Bar" geschlampt zu haben, weist Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) "auf das Schärfste zurück". So deutlich drückte er es vor einem Jahr aus, als der Hanau-Untersuchungsausschuss des Landtags seinen Abschlussbericht veröffentlicht hatte. Denn auch darin wurden mögliche Fehler der Stadtverwaltung thematisiert. Auf hr-Nachfrage bekräftigt jetzt ein Sprecher der Stadt die Position des Oberbürgermeisters.
Kaminsky argumentiert vor allem damit, dass die Stadt Hanau dem damaligen Bar-Betreiber schon 2019, im Jahr vor dem Anschlag, die Gewerbeerlaubnis für die Bar entzogen habe. Die Stadt sei also keineswegs untätig geblieben. Es habe dann einen Betreiberwechsel gegeben, und die Gewerbeanmeldung des neuen Betreibers sei nicht zu beanstanden gewesen.
Bisher kein klares Ermittlungsergebnis
Mit dem mutmaßlich verschlossenen Notausgang hat sich die Hanauer Staatsanwaltschaft schon zweimal beschäftigt, aber ohne konkretes Ergebnis. 2021 erklärte die Behörde, es lasse sich nicht klären, ob der Notausgang tatsächlich verschlossen gewesen sei. Dann aber kam der Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zu dem Ergebnis, dass sich die Tür in der Tatnacht nicht öffnen ließ.
Armin Kurtović stellte daraufhin Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft – mit Vorwürfen gegen die Polizei. Die habe den damaligen Bar-Betreiber sogar angewiesen, die Tür immer verschlossen zu halten, damit bei Polizei-Razzien kein Gast durch den Notausgang entkommen könne. Aber die Staatsanwaltschaft sah keinen hinreichenden Anfangsverdacht und leitete kein neues Ermittlungsverfahren ein.
Zur Not bis nach Straßburg
Kurtovićs aktuelle Strafanzeige ist der dritte Anlauf, mögliche Versäumnisse der Polizei strafrechtlich aufzuarbeiten. Möglicherweise ist es der letzte. Denn fünf Jahre nach der Tat kommt für viele Delikte Verjährung in Betracht.
Auf hr-Nachfrage zeigt sich Kurtovic entschlossen: Er wolle alle juristischen Mittel ausschöpfen. Wenn es sein müsse, ziehe er bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.
Ermittlungen wegen Notrufen eingestellt
Erst Ende Januar war derweil der Vater eines weiteren Anschlagsopfers mit einer Anzeige gegen führende Polizeibeamte gescheitert: Niculescu Păun, dessen Sohn Vili Viorel in Kesselstadt erschossen wurde, nachdem er den Attentäter mit seinem Wagen verfolgt hatte. Zuvor hatte er mehrfach versucht, den Notruf der Polizei zu erreichen.
Unter anderem Recherchen des hr deckten auf: Der Hanauer Notruf war in der Anschlagsnacht personell unterbesetzt. Außerdem war die Technik so veraltet, dass Notrufe nicht weitergeleitet wurden. Die zuständige Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen jedoch ein. Ein "strafbares Fehlverhalten" sei nicht zu erkennen, hieß es zur Begründung.