Krieg in der Ukraine Verhaftet, verschleppt, verschwunden: Menschenrechtler fordern Hilfe für gefangene Zivilisten

Während des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, wurden mehrere tausend Zivilisten gefangen genommen und nach Russland verschleppt. Menschenrechtler und Angehörige fordern in Frankfurt die Politik dazu auf, sich für deren Freilassung einzusetzen.

Zufahrt zu einer Strafkolonie in Russland.
Viele gefangene Zivilisten enden in russischen Strafkolonien. Bild © picture-alliance/dpa
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Vladyslav Dobrovolskyi wollte einer befreundeten Familie Lebensmittel bringen, als er von russischen Militärs im März 2022 festgenommen wurde. Drei Tage lang - so Zeugenaussagen - wurden er und weitere Gefangene bei Minustemperaturen in Erdlöchern festgehalten, ehe sie nach Russland verschleppt wurden. Wo er sich jetzt befindet, ist unklar.

Einige Tage zuvor wurde Oleksandr Zaporozhets von zehn russischen Soldaten umstellt, als er gerade dabei war einen Mobilfunkturm zu warten. Er wurde in einen gepanzerten Transporter gesteckt und abtransportiert. Zustand und Aufenthaltsort: unbekannt.

Kostiantyn Zinovkin wurde im Mai 2023 festgenommen. Er hatte im von Russland besetzten Melitopol pro-ukrainische Demonstrationen organisiert und öffentlich ein Bild des russischen Staatschefs Wladimir Putin verbrannt. Russland bezichtigt ihn des Terrorismus. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Rund 14.000 Zivilisten in russischer Gefangenschaft

Die Wände in dem schmalen Konferenzraum im Frankfurter Karmeliterkloster sind mit Pastellfarben gestrichen. Trotz der hellen Farben ist die Stimmung im Saal am Montagvormittag gedrückt.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) und ukrainische Nichtregierungsorganisation "Zivilisten in Gefangenschaft" haben zu einer gemeinsamen Pressekonferenz eingeladen, um eine breite Öffentlichkeit über Schicksale wie die von Vladyslav Dobrovolskyi, Oleksandr Zaporozhets, Kostiantyn Zinovkin zu informieren.

Insgesamt elf ukrainische Frauen kommen zu Wort. Alle tragen Schwarz. Sie berichten von den Schicksalen ihrer Väter, Brüder oder Ehemänner, die von der russischen Armee verschleppt wurden.

Elf Schicksale, die symbolisch für rund 14.000 weitere gefangene Zivilisten stehen. Bei einigen wissen die Angehörigen zumindest, in welche Strafkolonie die Verschleppten gebracht wurden. Bei anderen ist nicht einmal klar, ob sie noch leben.

Zeugin von Folter, Vergewaltigungen und psychischer Tortur

"In Gefangenschaft bleibt das Leben stehen", sagt Olena Yahupova, Sprecherin von "Zivilisten in Gefangenschaft". Sechs Monate hat sie selbst in russischer Gefangenschaft verbracht. Erlebte "Folter, Vergewaltigungen und psychische Torturen" mit, wie sie berichtet.

Sie selbst habe ein Schädel-Hirn-Trauma und Verletzungen am Rücken davongetragen, die sie bis heute beeinträchtigen. Ein Zufall habe dafür gesorgt, dass sie schließlich aus russischer Haft entlassen wurde, so Yahupova. Seitdem setzt sie sich für die Freilassung weiterer Zivilistinnen und Zivilisten ein.

Alle ukrainischen Frauen berichten, dass sie kaum Kontakt zu ihren gefangenen Angehörigen haben. Ihre Hoffnung: Unterstützung durch deutsche und europäische Politiker.

Politische Patenschaften sollen Druck erhöhen

"Die Welt muss erfahren, was dort passiert", sagt Martina Feldmayer, Landtagsabgeordnete der Grünen aus Frankfurt. Eine Möglichkeit, die sie nutzt, sind von der IGFM vermittelte "politische Patenschaften". Dabei verpflichten sich Patinnen und Paten, dass sie sich konkret für einen oder mehrere Gefangene mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln einsetzen.

Feldmayer hat die Patenschaft für Vasily Dmytryk übernommen. Der 72-Jährige wurde im März 2022 ohne Angabe von Gründen festgenommen, als er an einem russischen Militärstützpunkt vorbeilief. Dmytryk ist an Krebs erkrankt. Aufenthaltsort und Gesundheitszustand - völlig unklar.

Pressekonferenz zum Schicksal in Russland inhaftierter ukrainischer Zivilisten.
IGFM und die NGO "Zivilisten in Gefangenschaft" informieren über die Schicksale verschleppter Ukrainer. Bild © hessenschau.de

Martina Feldmayer hat sich bereits an die russische Botschaft und die Menschenrechtsbeauftragte der russischen Staatsduma gewandt. Eine Reaktion blieb bislang aus. Daher setzt die Grünen-Parlamentarierin auch auf die Macht der sozialen Medien. Unter anderem auf Instagram informiert sie regelmäßig über Dmytriks Schicksal.

"Ich mache darauf aufmerksam, dass er freigelassen werden muss und versuche so auch etwas Druck aufzubauen", sagt Feldmayer. In einem anderen Fall sei so schon ein ukrainischer Gefangener, für den sie die Patenschaft übernommen hatte, entlassen worden.

Politische Sanktionen gefordert

Der ukrainische Anwalt Oleksandr Tarasov fordert ein schärferes Schwert von der europäischen Politik.

Sanktionen gegen jene Russen, die an den Verschleppungen beteiligt waren: Etwa, indem ihr Vermögen eingefroren wird, durch Verbote von Berufs- und Geschäftstätigkeiten in der EU, Verbot von Gesellschaften, an denen sie beteiligt sind. "Und dass sie festgenommen werden, sobald sie irgendwo die Grenze überschreiten", so Tarasov.

Zum Schluss der Pressekonferenz in Frankfurt halten alle Beteiligten Fotos der elf ukrainischen Zivilisten in die Höhe. Elf Gesichter ohne Stimme - weshalb andere für sie sprechen müssen.

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Quelle: hessenschau.de