Krankheitswelle und Erziehermangel Kitas im Notbetrieb: "So schlimm wie jetzt war es noch nie"
Eingeschränkte Betreuungszeiten, zusammengelegte Gruppen: Viele Kitas in Hessen befinden sich derzeit im Notbetrieb. Zum Fachkräftemangel kommt jetzt auch noch die Erkältungs- und Grippewelle dazu. Eltern stellt das vor Probleme. Träger suchen im Ausland nach Personal.
Zwei Kündigungen liegen auf dem Schreibtisch von Daniela Keil, dazu noch einige Krankmeldungen – und jeden Tag muss sie damit rechnen, dass es noch mehr werden. "Teilweise fallen momentan Erzieherinnen wegen Infekten aus, teilweise aber auch aufgrund von Überlastung", berichtet sie.
Keil ist stellvertretende Leiterin der Kita in Allendorf (Lumda), einer Kleinstadt im Kreis Gießen. Weil in der Einrichtung massiv Personal fehlt, steht hier gerade alles auf Notbetrieb, wie Keil erklärt: Gruppen werden zusammengelegt, viele Kinder müssen früher abgeholt werden, die unter Dreijährigen sogar teilweise schon um 13.15 Uhr. Keil weiß: Für viele Familien ist das schwierig. Aber wie soll es sonst gehen, wenn überall im Dienstplan Lücken klaffen?
Viele Städte melden Ausfälle
Die Kita in Allendorf ist nicht die einzige, die nach Corona nun in einer anderen Art Krisenmodus festhängt. Der Fachkräftemangel ist ohnehin schon akut, überall fehlen Betreuungsplätze, die Wartelisten sind lang. Hinzu kommt nun noch die heftige Erkältungs- und Grippewelle, die insbesondere unter Kindern grassiert – und damit auch oft das Personal miterwischt.
Eine hr-Umfrage unter Städten und Landkreisen in Hessen offenbarte: An vielen Orten hat sich der Erziehermangel in letzter Zeit nochmal deutlich verschärft, auch aufgrund von aktuellen Krankheitswellen. In Marburg und Gießen kam es beispielsweise in allen städtischen Kitas in den vergangenen Monaten zu punktuellen Einschränkungen. Auch Fulda, Kassel und Wiesbaden melden, dass Betreuungszeiten verringert oder Eltern gebeten wurden, ihre Kinder möglichst zu Hause zu betreuen.
Gute-Kita-Gesetz kann noch nicht umgesetzt werden
Nicht nur in Städten, sondern auch vielen kleineren Kommunen gibt es zunehmend Probleme, die Kinderbetreuung zu organisieren. Der Kreis Groß-Gerau berichtet: Die Häufigkeit der Meldungen über Personalknappheit habe in den Einrichtungen im Kreisgebiet in den vergangenen Monaten zugenommen, immer öfter sei es zu Einschränkungen gekommen. Kreisweit seien derzeit etwa 125 Fachkraftstellen unbesetzt. Hinzu kämen mehr als 100 langfristige Personalausfälle, etwa durch Erkrankungen oder Beschäftigungsverbot während einer Schwangerschaft.
Durch den steigenden Bedarf an Betreuung, bei gleichzeitig sinkendem Fachkraftangebot, können viele Träger außerdem das Gute-Kita-Gesetzes noch nicht umsetzen, wie etwa im Schwalm-Eder-Kreis. Das Gute-Kita-Gesetz schreibt eigentlich vor, dass es in hessischen Kitas künftig sogar eine höhere Personalquote geben soll als bisher. Für die Umsetzung haben Kitas noch bis Mitte 2024 Zeit.
Überlastung verschärft Personalmangel
Durch den Personalmangel wird außerdem auch das restliche Kita-Personal mehr belastet – was erneut zu Kündigungen, Stundenreduzierungen oder Krankmeldungen führen kann. Es ist ein Teufelskreis, der an Berichte aus dem Pflegebereich erinnert. Eine junge Erzieherin aus Marburg erzählt: Bei ihr in der Einrichtung seien aufgrund des ständigen Fachkräftemangels viele Kolleginnen körperlich und psychisch erschöpft, fast niemand wolle diesen Job noch in Vollzeit machen.
Oft sei sie die einzige Fachkraft mit 20 Kindern, nur unterstützt von Aushilfen oder Praktikanten – obwohl sie selbst erst seit zwei Jahren fertig mit der Ausbildung sei. "Es ist einfach frustrierend, weil man kaum noch so pädagogisch arbeiten kann, wie man es eigentlich gelernt hat", sagt sie. "Wenn ich zum Beispiel mit den Vorschulkindern ein besonderes Projekt machen oder mit einer kleinen Gruppe kneten will, scheitert das oft daran, dass ich die einzige Fachkraft im Raum bin und nicht weg darf." Auch sie selbst frage sich oft, wie lange sie diesen Job so noch weitermachen will.
Allein in Frankfurt fehlen 500 Erzieher
Prognosen zeigen: In Hessen werden bis 2030 rund 25.000 neue Erzieherinnen und Erzieher gebraucht. Allein in Frankfurt fehlen nach Angaben der Stadt schon jetzt 500. Inzwischen ist der Mangel an Erzieherinnen und Erziehern damit ähnlich massiv wie der Mangel an Pflegekräften – und das bei steigendem Bedarf an Betreuung. Ab 2026 werden beispielsweise Grundschulkinder einen Rechtsanspruch auf einen Hortplatz haben.
Unvermeidbar ist also die Frage: Wo sollen all die neuen Fachkräfte herkommen? Immer wieder steht auch die Ausbildung in der Kritik. Bisher konnte die bis zu fünf Jahre dauern – größtenteils ohne Gehalt. Das Land hat inzwischen eine Fachkräfteoffensive gestartet und baut sein alternatives praxisintegriertes Ausbildunsgkonzept aus: Angehende Erzieherinnen und Erzieher arbeiten dabei von Anfang in einem Betrieb mit, dafür bekommen sie ein Azubi-Gehalt. 1.800 solcher vom Land geförderten "PiVa"-Stellen gibt es bereits, in den kommenden zwei Jahren sollen es noch 1.400 mehr werden.
Träger suchen Fachkräfte im Ausland
Doch das allein wird nicht helfen, wie viele verschiedene Träger dem hr mitteilen. So wie Dirk Oßwald von der Lebenshilfe Gießen, die im Landkreis 14 Einrichtungen mit rund 1.000 Betreuungsplätzen betreibt, darunter ist auch die Kita in Allendorf. "Betreuungsnotstand kam in der Vergangenheit punktuell schon mal vor", sagt Oßwald. Aber in letzter Zeit habe er sich massiv verstärkt. "So schlimm wie jetzt, war es noch nie", sagt auch er. Die Ausbildung müsste attraktiver, die Arbeitsbedingungen besser, die Hürden für Quereinsteiger gesenkt werden, meint er. "Und wir werden in Zukunft auch nicht darum herumkommen, ausländische Fachkräfte in sehr hoher Zahl in das System der Pädagogik zu integrieren."
Was im Erziehungsbereich noch die Ausnahme ist, ist in der Pflege schon lange Usus: Krankenhäuser oder Pflegeheime werben über Agenturen Fachkräfte beispielsweise aus den Philippinen, Indien oder Brasilien an. Sie haben vor Ort eine mehrjährige Ausbildung gemacht, aber in Deutschland bessere Berufschancen. In Deutsch-Intensivkursen müssen sie das Sprachnniveau B1 erreichen, um hier arbeiten zu dürfen.
Lebenshilfe holt Personal aus der Türkei und Südamerika
Oßwald will dieses System nun probeweise auf den Pädagogik-Betrieb anwenden: "Wir wollen als bundesweit einer der ersten Träger einen Modellversuch starten." 15 Erzieherinnen aus der Türkei und aus Südamerika sollen nächstes Jahr für die Lebenshilfe in Gießen arbeiten – vielleicht also irgendwann auch in Allendorf.
Noch klaffen dort aber viele Lücken im Dienstplan. Trotzdem versuche das Team, optimistisch zu bleiben und alles zu tun, um den Betrieb am Laufen zu halten, berichtet die stellvertretende Kita-Leiterin Keil. "Auch wenn das momentan für viele der Mitarbeiterinnen Überstunden und freiwilliges Engagement bedeutet."
Sendung: hr-iNFO, 14.12.22, 16.30 Uhr
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40 Kommentare
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Ich bin Erzieherin in Eppstein. Wir sind personell am unteren Limit. 3 Gruppen 5 Erzieher plus Aushilfen. Fehlt eine Erzieherin ist es normal, dass man mit 22 alleine ist. In der Intergarazionsgruppe, das gleiche. Wie es nächstes Jahr weiter geht? Eine Kollegin hat gekündigt eine andere ist schwanger. Wir hangeln uns von Woche zu Woche. Wenn ich von Kolleginnen oder der Chefin höre, "wir müssen weitermachen, das geht schon irgendwie, was sollen wir denn machen" bin ich wütend darüber und resigniert. Eigentlich besteht unsere Arbeit nur noch darum, die Kinder zu beaufsichtigen. Pädagogische Arbeit kommt viel zu kurz.
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Ja, und dann bitte aber Kurzarbeit für die Kitamitarbeitenden - nicht wie während der Kitaschließungen während des Lockdowns. Welche andere Branche hatte denn nur ca. 10 Arbeit bei 100 Gehalt? Unsere Kita hat es trotzdem geschafft, bei jeder Gelegenheit zu klagen, wie schlimm alles war. Dafür hatten wir gar keine Zeit, wir hatten im Wohnheimbereich deutlich mehr Arbeit, haben ständig Verordnungen im laufenden Betrieb angepasst, die BewohnerInnen während der Werkstattzeit (ebenfalls geschlossen) zusätzlich betreut und das Ganze ohne Refinanzierung. Ganz zu Schweigen von den Ausbrüchen. KollegInnen in Bereichen weiterarbeiten lassen zu müssen, wissend dass sie sich anstecken werden. Kranke KollegInnen haben einfach weitergearbeitet - anders wäre es gar nicht gegangen. Viele KollegInnen haben aus dieser Zeit Überstunden im dreistelligen Bereich. Aber wenn man nicht jammert, wird das überhaupt nicht gesehen.
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ES geht nicht nur um Personalmangel, ich mach mir Sorgen um die Bildung die nicht stattfindet!
Deutschland schau bitte über die Grenzen hinaus! Was passiert mit den Kindern die zur Zeit in Deutschland leben?
Die Erzieherinnen sind auch nicht genug ausgebildet und auch wenn sie gut ausgebildet wären, würden sie trotzdem es nicht packen, 8 Stunden pro Tag zu arbeiten und noch im Stande am nächsten Tag gute Angebote zu liefern! Nicht zu sprechen von Fachschrifte zu lesen, .......... Erzieherinnen sind missbraucht als Putzkräfte und Betreuerinnen.
Diese Zustände verursachen Mobbing, denn jede Erzieherin möchte die Küche nicht machen oder andere solche Sachen! Das wiederum fließt in der Erziehung mit ein
Die neuen Generationen werden nur streiten und viele Wege suchen um nicht,arbeiten zu müssen.
Bitte nehmen Sie Beispiel aus dem Ausland!
Arbeiten Sie auch an die Ausbildung der Erzieher. Es muss akademisch sein!
Es ist echt traurig was unserer Zukunft, den Kindern, passiert!
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