Fünf Jahre AWO-Affäre Warten auf den großen AWO-Betrugsprozess
Mit einem hr-Bericht über das höhere Gehalt der Ehefrau des damaligen Frankfurter Oberbürgermeisters Feldmann kam vor fünf Jahren die AWO-Affäre ins Rollen. Zahlreiche Strafverfahren wurden geführt. Doch der große Prozess, bei dem es um möglichen Millionenbetrug geht, steht noch aus.
Am 19. November 2019 berichtete der hr über das ungewöhnlich hohe Gehalt, das die Ehefrau des damaligen Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Frankfurt bekam. Anonyme Hinweisgeber hatten zunächst der Frankfurter Neuen Presse und dann dem hr eine Fülle von internen Informationen zukommen lassen. Darin ging es um mehrere Fälle von überhöhten Gehältern, um Luxus-Dienstwagen und Scheinanstellungen.
Damit begann die Affäre, in deren Verlauf etliche Politiker, Verbandsfunktionäre und Amtsträger ihre Stellung verloren. Zwischenzeitlich wurde gegen 120 Personen ermittelt. Meist ging es um Minijobs, die Günstlinge der AWO-Funktionäre gewährt bekamen, ohne dafür arbeiten zu müssen. Diese Fälle sind juristisch zumeist abgearbeitet.
Doch bei Amts- und Landgerichten laufen noch weitere Prozesse. Und in mindestens zwei Strafsachen haben die Gerichte noch nicht entschieden, ob die Anklage zugelassen und ein Hauptverfahren eröffnet wird. Das gilt auch für ein Kernstück des Skandals: Vier Beschuldigten wird Untreue und Betrug bei der Abrechnung der Kosten von zwei Frankfurter Flüchtlingsunterkünften vorgeworfen.
Der prominenteste Politiker, der im Zuge der Affäre sein Amt verlor, war der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD). Der hr-Bericht über die Besserstellung seiner Frau als Leiterin einer AWO-Kita brachte ihn schnell in Erklärungsnot.
Nicht zuletzt, weil er selbst mit den Hauptakteuren der AWO-Kreisverbände Frankfurt und Wiesbaden, dem Ehepaar Jürgen und Hannelore Richter, verbandelt war.
Frage um Feldmann-Pension noch ungeklärt
In einem Bürgerentscheid stellten die Frankfurterinnen und Frankfurter Feldmann Ende 2022 den Stuhl vor die Tür – ein Novum in der Stadtgeschichte. Kurz danach wurde er vom Landgericht wegen Vorteilsannahme im Amt zu einer Geldstrafe verurteilt.
Das Urteil gegen Feldmann, der die SPD nach vielen Jahren der Parteizugehörigkeit verließ, ist seit mehr als einem Jahr rechtskräftig. Aber noch ist ungeklärt, ob der inzwischen 66-Jährige seine Pensionsansprüche als Oberbürgermeister verliert. Zuständig ist das hessische Innenministerium.
Eine "Abschlussentscheidung in dem Disziplinarverfahren" sei bislang nicht getroffen worden, erklärt die Sprecherin des Ministeriums. Zur Frage, ob Feldmanns Altersbezüge bis zum Abschluss des Disziplinarverfahrens gekürzt würden, will sich das Ministerium "aufgrund von Persönlichkeitsrechten" nicht äußern.
Betrugsverdachtsfälle noch nicht geklärt
Ein weiterer Hauptstrang der AWO-Affäre neben dem Fall Feldmann ging auf eine Strafanzeige zurück, die im August 2019 bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt eingegangen war. Ein anonymer Insider gab Hintergrundwissen zu fragwürdigen Geschäften der AWO-Führungsriege preis. Im Kern ging es um falsche Abrechnungen bei zwei von der AWO betriebenen Flüchtlingsheimen und bei einer Sicherheitsfirma der AWO. Die Stadt Frankfurt soll dabei um Millionen betrogen worden sein.
Die Staatsanwaltschaft Frankfurt erhob wegen des mutmaßlichen Betrugs um die Flüchtlingsheime im August 2022 Anklage gegen Hannelore und Jürgen Richter, einen Rechtsanwalt, der Positionen in beiden AWO-Kreisverbänden innehatte, und eine Finanzbuchhalterin. Das Landgericht schickte die Akten 2023 zurück und forderte Nachermittlungen.
Inzwischen wurde die Anklage neu gefasst und liegt erneut dem Landgericht vor. Eine Nachfrage ergab, dass die zuständige Wirtschaftsstrafkammer noch nicht darüber entschieden hat, ob ein Prozess eröffnet wird – und wenn ja, wann. Prozessbeteiligte gehen allerdings davon aus, dass die Hauptverhandlung im kommenden Jahr eröffnet wird. Im siebten Jahr nach den ersten Schlagzeilen zur AWO-Affäre würde damit ein erster großer Betrugsprozess beginnen.
Kein weiterer Verdacht auf Millionenbetrug
Zu Beginn der AWO-Affäre bestand der Verdacht, dass über ein Tochterunternehmen der AWO-Frankfurt Millionenbetrug begangen wurde. Das Sicherheitsunternehmen AWO Protect habe, so der damalige Verdacht, ähnlich wie bei den Flüchtlingsheimen, zu viel für Personal abgerechnet. Die Mitarbeiter sollen auch die Flüchtlingsheime bewacht haben. Der Anfangsverdacht auf Betrug wurde durch die Ermittlungen jedoch nicht erhärtet.
"Es sind keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte dafür bekannt geworden, dass Sicherheitsmitarbeiter fingiert wurden und auf diese Weise überhöhte Abrechnungen generiert wurden," erklärt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt auf hr-Anfrage. Dennoch haben die Ermittlungen im Zusammenhang mit der AWO Protect strafrechtliche Konsequenzen für die ehemaligen Verantwortlichen.
So hat die Staatsanwaltschaft im April 2023 Anklage gegen den Geschäftsführer des Sicherheitsunternehmens erhoben. Er soll in 20 Fällen Untreue begangen haben. Einer ehemaligen leitenden Mitarbeiterin der AWO werden fünf Fälle von Untreue vorgeworfen. Insgesamt sollen der Stadt Frankfurt und der AWO Frankfurt dadurch ein Schaden von rund 500.000 Euro entstanden sein.
Die Anklage liegt beim Landgericht und wurde noch nicht zugelassen. Fünf weitere Verfahren, in denen es um Beihilfe zur Untreue im Zusammenhang mit der AWO Protect gegangen ist, sind inzwischen vor Gericht gelandet und wurden mit Geldstrafen abgeschlossen. Ein Beihilfeverfahren läuft noch.
Verhandlung im Fall Manjura steht noch aus
Die AWO-Affäre beendete auch die politische Laufbahn des Wiesbadener Sozialdezernenten Christoph Manjura (SPD). Im August 2022 hatte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden Anklage gegen ihn wegen Beihilfe zur Untreue erhoben. Er soll durch einen Scheinjob bei der AWO Wiesbaden von deren damaliger Geschäftsführerin Hannelore Richter dazu gebracht worden sein, die Interessen der AWO "wohlwollend berücksichtigen". Er bestreitet diesen Vorwurf.
Wann das Landgericht Wiesbaden in der Sache Manjura verhandeln wird, steht noch nicht fest. "Vorrangige Haftsachen lasten die Kammer weiterhin aus", erklärt eine Sprecherin.
Als Manjura sich aus der Politik zurückzog, kündigte er ein Sabbatical von bis zu einem Jahr an. "Jetzt sind es bereits sechzehn Monate geworden. Zeit, die ich vor allem unseren Kindern widme", schreibt er auf Anfrage, und in der er das tue, was gemeinhin "Sorgearbeit" genannt werde.
Politische Karriere von Grünen-Politiker Burcu beendet
In Zusammenhang mit der AWO-Affäre tauchte auch der Name des Grünen-Politikers und damaligen Landtagsabgeordneten Taylan Burcu auf. Bevor er 2018 in den hessischen Landtag gewählt worden war, war Burcu kurzzeitig Geschäftsführer eines Tochterunternehmens der AWO-Wiesbaden. Sein Gehalt in Höhe von rund 40.000 Euro zahlte jedoch ein Tochterunternehmen der AWO Frankfurt.
Nachdem das pleite gegangen war, forderte der Insolvenzverwalter das Geld von Burcu zurück. Der Streit endete mit einem Vergleich vor dem hessischen Landesarbeitsgericht. "Allein aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und im Erledigungsinteresse hat sich Herr Burcu nun doch freiwillig bereiterklärt, diesen Vorschlag – ohne Anerkennung einer entsprechenden Verpflichtung – zu akzeptieren," erklärt sein Medienanwalt auf hr-Anfrage.
Demnach soll Burcu etwa 20 Prozent des ursprünglich geforderten Betrags zurückgezahlt haben. Seine politische Karriere ist vorbei, zur Landtagswahl 2023 hatte er nicht erneut kandidiert.
Klagen vor Zivilgerichten gehen voran
Zivilrechtlich ist die Aufarbeitung des Skandals weiter fortgeschritten. Eine Zivilkammer des Frankfurter Landgerichts verhandelt aktuell über eine Klage der AWO Frankfurt gegen ihren ehemaligen Geschäftsführer Jürgen Richter.
Der Kreisverband will von ihm 460.000 Euro Schadenersatz. Diese Summe soll Richter an die AWO Protect kurz vor ihrer Pleite überwiesen haben. Das Urteil in diesem Verfahren soll am 28. November verkündet werden.
Kurz vor dem Abschluss steht auch ein Prozess, in dem die Stadt Frankfurt von der AWO Frankfurt 2,6 Millionen Euro zurückfordert. Es geht um überhöhte Rechnungen für die beiden schon erwähnten Flüchtlingsheime im Gutleutviertel und in Niederrad. Eine gütliche Einigung war im September gescheitert.
Mit Transparenz gegen verlorenes Vertrauen
Frankfurts Sozialdezernentin Elke Voitl (Bündnis90/Die Grünen) erklärt das auch mit der Schockwirkung, die der AWO-Skandal vor fünf Jahren in der Öffentlichkeit ausgelöst hat. Wegen des entstandenen Vertrauensverlusts sei Transparenz geboten. "Deshalb wollen und brauchen wir eine gerichtliche Entscheidung."
Die AWO-Kreisverbände Frankfurt und Wiesbaden haben kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe 2019 jeweils einen klaren Schnitt gemacht. Alle damals verantwortlichen Führungskräfte und deren ehrenamtlichen Kontrolleure mussten ihre Posten räumen.
Blick nach vorne bei der Arbeiterwohlfahrt
Längst lenken andere ehrenamtlich und professionell die Geschicke der Kreisverbände. Die neuen Verantwortlichen haben die alten Praktiken der Günstlings- und Vetternwirtschaft scharf verurteilt und bessere Kontrollsysteme eingeführt.
Petra Rossbrey, die heutige Vorsitzende des Präsidiums der Frankfurter AWO, blickt inzwischen lieber nach vorn. Sie wäre froh, wenn es bald gelänge, auch die juristische Aufarbeitung der skandalösen Vergangenheit abzuschließen. "Zu wissen, dass diese Leute nicht mit ihren Machenschaften davonkommen", wäre auch ein wichtiges Signal nach innen, sagt sie. Eine Genugtuung nicht zuletzt für jene, die ehrenamtlich für die AWO tätig seien.