Alarmknopf ohne Hilfsfristen Warum beim Hausnotruf nicht immer schnelle Hilfe kommt
Hausnotrufsysteme versprechen schnelle Hilfe im Notfall und sollen älteren Menschen Sicherheit geben. Mitunter gelingt das aber nicht. Der Todesfall einer Frau aus Mittelhessen lässt ihre Angehörigen wütend und ratlos zurück.
In die Trauer mischt sich Ungewissheit: Seit Dezember vergangenen Jahres treibt Thomas Hartmann die Frage um, ob seine Mutter noch leben könnte. Sie starb in der Nacht vom 14. Dezember – aus seiner Sicht völlig unvorhersehbar.
Seine Mutter lebte allein in der Nähe von Wetzlar (Lahn-Dill) und war Kundin eines Hausnotrufdienstes des Malteser Hilfsdienstes in Wetzlar. Dieser ist einer von verschiedenen Anbietern solcher Dienste. Mit ihnen können sich allein lebende Personen in Notlagen, bei denen sie nicht rechtzeitig das Telefon erreichen können, bemerkbar machen.
Systeme ermöglichen selbstbestimmtes Leben
Über einen Alarmknopf am Handgelenk oder an einer Halskette und einer Freisprechanlage sind sie dabei bis zu 24 Stunden an sieben Tagen die Woche mit einer Zentrale verbunden, die bei Bedarf hilft oder Hilfe organisiert. Das System wird unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflegekasse bezahlt, privat bezahlte Zusatzleistungen sind möglich.
Das System soll die öffentlich-rechtlich geregelten Rettungsdienste und ihre Leitstellen, aber auch die stationäre Pflege entlasten – und vor allem Senioren und Seniorinnen wie Herrn Hartmanns Mutter ein selbstbestimmtes Leben in möglichst großer Sicherheit geben.
Angehörige haben Fragen zu Reaktionszeit
In besagter Nacht aktivierte die Mutter um 3.14 Uhr ihren Alarmknopf, auf den Rückruf rund eine Minute später reagierte sie nicht. Um 3.57 Uhr war schließlich ein Mitarbeiter des Dienstes vor Ort und alarmierte den Rettungsdienst. Der traf wenige Minuten später ein, konnte um 4.09 Uhr aber nur noch ihren den Tod feststellen.
Ihre Familie ließ sich die Telefon- und Einsatzprotokolle vorlegen, seitdem beschäftigt sie die Frage, warum nicht sofort der Rettungsdienst gerufen wurde, nachdem die Mutter nicht mehr antwortete. Dem hr liegen diese Protokolle vor.
Malteser: Kein Automatismus bei Nicht-Reaktion
Auf Anfrage sagt Silvia Bergmann, Sprecherin des Malteser Hilfsdiensts der Diözesangeschäftsstelle Diözese Limburg, der Hilfsdienst bedaure, dass er in diesem Fall nicht helfen konnte, das Leben zu retten. "Wenn ein Mitarbeitender keine Antwort bekommt, dann kann er am Telefon nicht automatisch davon ausgehen, hier besteht Lebensgefahr", erklärt sie weiter.
Es könne zum Beispiel passieren, dass der Kontakt nicht hergestellt werden könne, weil eine Person in der Waschküche hinfalle und sich nicht mehr allein aufrichten könne, das Hausnotrufgerät mit dem Lautsprecher aber im Wohnzimmer stehe. "Es ist also möglich, dass ein Mensch sogar antwortet, man es in der Zentrale aber nicht hören kann, weil der Patient in einem weit entfernten Raum ist", sagt Bergmann.
Malteser: Rettungsdienst wurde alarmiert
Im weiteren Verlauf informiere der Mitarbeitende im "Hintergrunddienst" (so nennt sich der 24-Stunden-Dienst, Anm.d.Red.) dann sofort die Person, die vertraglich festgehalten sei, "beziehungsweise er muss die Person informieren, die den Schlüssel hat. In diesem Fall war der Schlüssel gemäß Wunsch der Kundin nur über den Hausnotruf hinterlegt", sagt Bergmann.
Weiterhin fahre der Mitarbeitende zu der betreffenden Wohnung. "Das ist hier passiert", betont Bergmann. "Da muss er dann schauen, wie er helfen kann und ruft gegebenenfalls den Rettungsdienst – was hier auch passiert ist."
Keine Hilfsfristen vorgesehen
In den dem hr vorliegenden Vertragsunterlagen sind keine Reaktions- oder Hilfsfristen vereinbart, letztere sind anders als beim Rettungsdienst auch nicht per se vorgesehen. Eine mögliche Zeitverzögerung, um erst den Haustürschlüssel zu holen, ist nicht thematisiert.
Aus den Vertragsunterlagen geht allerdings auch hervor, dass Hausnotruf-Mitarbeitende durchaus den Rettungsdienst rufen können, auch früher und ohne mit dem Schlüssel vor Ort zu sein. Der Rettungsdienst hätte dann die Tür aufbrechen müssen. Laut Vertrag gegebenenfalls auf Kosten der Mutter.
BGH-Urteil nimmt Dienste in Haftung
Die Rechtsanwältin Verena Querling ist Expertin für das Thema Hausnotruf bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Sie verweist auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2017. Bei dem verhandelten Fall ging es um die Frage, wofür Hausnotrufdienste haftbar sind.
Ein Mann hatte nach einem Schlaganfall einen Alarm abgesetzt und reagierte erst mit Stöhnen und dann nicht mehr auf Rückfragen. Der Mitarbeiter des Hausnotrufs beauftragte schließlich einen Sicherheitsdienst damit, nach dem Mann sehen – dieser setze ihn auf eine Couch, ohne ärztliche Hilfe zu holen.
Verbraucherschützerin: Daten immer aktuell halten
Hier habe der BGH geurteilt, dass der Rettungsdienst hätte kommen müssen, berichtet Querling. Zudem müsse der Hausnotrufdienst laut Urteil Mitarbeiter einsetzen, die den Gesundheitszustand eines Vertragsteilnehmers einschätzen können.
Dafür müssten die Teilnehmer ihre Gesundheitsdaten aber stets aktuell halten, betont Querling: "Grundsätzlich ist es wichtig, den Hausnotruf über gesundheitliche Risiken zu informieren, damit diese in der Zentrale im Notfall sofort vorliegen."
Malteser: Mitarbeitende sind ausgebildet
Dies gelte auch beim Malteser Hausnotruf, sagt Silvia Bergmann. Der Dienst empfehle seinen Kunden grundsätzlich, ihn über Gesundheitsveränderungen auf den aktuellen Stand zu bringen. Auch seien die Mitarbeitenden "dahingehend ausgebildet, mit solchen Situationen umzugehen und am Telefon eine erste Einschätzung zu treffen".
Eine Nachfrage, ob die Gesundheitsdaten der Mutter vollständig waren, blieb unbeantwortet. Diese seien so grundlegend gewesen, dass ein Hilfsdienst eigentlich davon wissen sollte, sagt Thomas Hartmann.
Angehöriger: "Verpasste Chance geht an Substanz"
Der Fall der Mutter ist für Verbraucherschützerin Verena Querling schwer einzuschätzen, wie sie betont. Das sei auch eine medizinische Frage: "Wir können nicht sagen, dass die Frau gerettet worden wäre, wenn der Rettungsdienst sofort gerufen worden wäre, das wissen wir einfach nicht."
Thomas Hartmann wird all das noch länger beschäftigen. "Ich kann immer noch nicht fassen, warum nicht auf Leben und Tod sofort der Rettungsdienst alarmiert wurde", sagt er. "Meine Mutter hatte keine Chance auf Ersthilfemaßnahmen, die sie hätten reanimieren können. Diese verpasste Chance, das ist es, was mir an die Substanz geht."