Studentin vor 15 Jahren ermordet Hochschule Darmstadt erinnert an Femizid an Büsra G.
Vor 15 Jahren wurde in der Hochschule Darmstadt eine Studentin von ihrem Ex-Freund erstochen. Mit einer Gedenktafel erinnert die Hochschule an die Tote - und mahnt, dass sich solche Femizide nicht wiederholen dürfen.
Am 10. November 2009 wird die Hochschule Darmstadt von einem Verbrechen erschüttert. Die Studentin Büsra G. wird vor den Augen von Kommilitonen und Lehrenden ermordet. Der Täter: ihr Ex-Freund. Er sticht mit einem Messer von hinten auf die 26-Jährige ein. Sie verblutet.
Entsetzen und Schock
15 Jahre später lässt das Ereignis die Hochschule noch immer nicht los. Seit der Tat erinnert ein Baum an die getötete Mechatronikstudentin, jetzt hat die Hochschule zusätzlich eine Gedenktafel für Büsra G. aufgestellt. Sie wurde am Mittwoch während einer Feierstunde eingeweiht.
"Es herrschte Sprachlosigkeit vor", erinnert sich Pressesprecher Martin Wünderlich an den Tag der Tat: "Entsetzen, Schock, dass so etwas bei uns passieren kann." Viele Kränze seien am Tatort niedergelegt worden. Schon am nächsten Tag gab es an der Hochschule eine Trauerfeier, an der viele Menschen teilnahmen und ihre Betroffenheit zeigten.
Der Täter, ebenfalls ein Mechatronikstudent der Hochschule, wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hatte er sich nicht damit abfinden wollen, dass Büsra sich von ihm getrennt hatte. Er habe sich "über sein Opfer erheben" wollte, urteilte der Vorsitzende Richter am Landgericht Darmstadt.
Femizid versus "Familiendrama"
Solche Morde an Frauen werden heutzutage vielfach als Femizid bezeichnet. Der Begriff war vor 15 Jahren in Deutschland allenfalls im akademischen Diskurs, kaum aber in der Gesellschaft verbreitet. Vor allem die feministische Bewegung hat ihn in den vergangenen Jahren etabliert.
Madeline Götz ist im Vorstand des Darmstädter Frauenhauses. Ihr ist die Verwendung des Begriffs Femizid zur Benennung der Tat wichtig. Er mache deutlich, dass eine Frau aufgrund ihres Geschlechts ermordet wurde. Darauf wollte Götz auch in ihrer Rede auf der Gedenkfeier eingehen.
Dominanz und Besitzdenken
"In den Medien werden solche Fälle oft als Eifersuchtstat oder Familiendrama bezeichnet", sagt Götz. Dabei entstehe der Eindruck, es handele sich um Einzelfälle. Es stehe aber oft männliche Dominanz oder männliches Besitzdenken dahinter, das im schlimmsten Fall zum Mord führen könne.
"Es gibt eine Struktur, die so etwas begünstigt. Um das deutlich zu machen, ist so ein Begriff hilfreich", sagt Götz. Männern werde oft vermittelt, sie müssten in einer Beziehung die Starken sein und den Ton angeben. Wenn eine Frau sich dann trennen wolle, könne dies bei Männern "zu einem Gefühl von Kontrollverlust führen, das sie in manchen Fällen durch Gewalt äußern".
Quer durch alle Schichten
Auch die Leiterin des Büros für Chancengleichheit beim Landkreis Darmstadt-Dieburg, Mareen Hechler, hält die Verwendung des Wortes Femizid für wichtig. "Familiendrama beinhaltet immer, dass die Frau auch ein bisschen mit schuld ist", findet Hechler: "Um aus der Nummer wieder rauszukommen und den Blick darauf zu richten, dass Grenzen nicht eingehalten werden, ist so ein Begriff hilfreich."
Übereinstimmend berichten Götz und Hechler, dass sich die Fälle gleichmäßig durch alle gesellschaftlichen Schichten und durch alle Kulturkreise zögen. Dies werde durch statistische Daten belegt. "Tatsächlich liegt Gewalt gegen Frauen quer zu allen ökonomischen Schichten, quer zu Bildung, quer zu Religion, quer zu ethnischer Herkunft", sagt Hechler.
Zeitzeuge erinnert sich
Einer, den die Tat von 2009 noch heute sehr berührt, ist Bernhard Schwetter, Professor für Maschinenbau an der Hochschule Darmstadt. Wenn es keine Gedenkveranstaltung gegeben hätte, "hätte ich selbst etwas kleines organisiert", sagt er.
Schetter kannte sowohl Büsra G. als auch ihren Mörder persönlich. Zur Tatzeit war er in einem anderen Raum in der Nähe, hörte es rumpeln und bekam die Unruhe mit. Später erfuhr er, was passiert war und dass seine Studentin im Krankenhaus ihren Verletzungen erlegen war.
"Ich war sehr, sehr betroffen"
"Ich war sehr, sehr betroffen", erzählt er. Büsra G. hatte sich Schetter zufolge bereits von ihrem Partner und späteren Mörder gelöst. Eigentlich habe sie Darmstadt schon verlassen, sei an jenem Tag nur noch einmal in die Hochschule gekommen, um letzte Angelegenheiten zu klären.
Dabei sei es zu der Tat gekommen. Die Polizei habe das halbe Haus abgesperrt. "Als wieder alles freigegeben war, war da ein 100 Quadratmeter großes Meer aus Blumen und Kerzen", beschreibt er die Anteilnahme der Studierenden. Alle im Fachbereich seien tief betroffen gewesen.
Zeugnis für eine Tote
Was Schetter besonders berührte: Die damalige Hochschulpräsidentin sei mit dem Wunsch auf ihn zugekommen, ein Abschlusszeugnis für die Verstorbene zu erstellen, die bereits alle Prüfungen erfolgreich abgelegt hatte. "Man würde so etwas natürlich gerne feierlich übergeben und in ihr strahlendes Gesicht schauen."
Stattdessen sei das Zeugnis der aus der Türkei angereisten Mutter der Getöteten ausgehändigt worden, so Schetter. "Ich bin froh, dass sich die Hochschule an so etwas erinnern will", sagt er.
Präsident: Bis heute Bestürzung
Der Präsident der Hochschule, Arnd Steinmetz, erklärt: "Bis heute äußern alte und neue Hochschulmitglieder ihre Bestürzung und Anteilnahme am Femizid an unserer Studentin vor 15 Jahren." Diesem Bedürfnis wollte man mit der Gedenkveranstaltung Raum geben. "Damit geht einher zu zeigen, dass wir auch schwere und bedrückende Themen als Teil unserer Erinnerungskultur verstehen."
Auf Steinmetz' Betreiben wurde an der Hochschule ein Forum "Erinnerungskultur" gegründet. Es soll sich mit Fällen wie dem Mord an Büsra G. befassen, aber auch mit dem Umgang mit Verlust und Trauer im Allgemeinen, wie Pressesprecher Wünderlich-Dubsky erläutert.
Die Gedenkveranstaltung war das erste Ergebnis der Arbeit des Forums. Bislang es ist es ein lockerer Bund, bestehend aus einer Handvoll Hochschulmitglieder. Wünderlich-Dubsky erwartet weiteren Zulauf, das Interesse sei groß. Zeitzeuge Schetter würde das begrüßen, wie er sagt: "Ich finde, das steht unserer Hochschule gut zu Gesicht."