Prozesse gegen Biontech, Astrazeneca & Co. Warum es so schwierig ist, gegen Hersteller des Corona-Impfstoffs zu klagen
Wer wegen eines Impfschadens gegen einen Pharmakonzern klagt, hat einen steinigen Weg vor sich. Die juristischen Hürden sind hoch. Die Corona-Impfstoffhersteller haben Milliardengewinne, aber wenig Risiko: Im Zweifel zahlt sowieso der Staat.
Eine Spritze, die das Leben verändert: Geimpfte, die von der Corona-Impfung schwere gesundheitliche Folgen davongetragen haben, können versuchen, die Hersteller der Vakzine auf Schmerzensgeld zu verklagen. Aber der Weg ist steinig und die Erfolgsaussichten ungewiss.
Vor hessischen Landgerichten sind dutzende Klagen gegen Hersteller von Impfstoffen anhängig. Am Dienstag hat vor dem Frankfurter Landgericht ein Prozess gegen Biontech begonnen. Die Klägerin behauptet, durch die Impfung einen Herzschaden erlitten zu haben, außerdem sei sie nicht mehr so leistungsfähig wie vorher, leide unter Konzentrationsstörungen. Sie klagt auf 150.000 Euro Entschädigung. Ihr Anwalt Tobias Ulbrich vertritt viele Klagende, während Corona vertrat er Thesen aus dem Verschwörungsmilieu.
Am Dienstag vertagte das Landgericht Frankfurt die Entscheidung auf den 14. Februar. Dann soll verkündet werden, ob die Klage abgewiesen wird, oder den Beweisanträgen von Biontech und der Klägerseite stattgegeben wird. Dass es schwere Impfschäden geben kann, ist unbestritten. Allerdings gibt es bisher in Deutschland kein Urteil gegen einen Impfkonzern. Die Kläger stehen vor hohen juristischen Hürden.
"Das ist wie David gegen Goliath"
Der Wiesbadener Anwalt Joachim Cäsar-Preller vertritt nach eigenen Angaben rund 1.000 Fälle von Impfgeschädigten in seiner Kanzlei, rund 380 seien aktuell in der Klage, sagt er. Vor Gericht geht es in diesen Fällen um die zentrale Frage, ob ein Symptom tatsächlich durch die Impfung hervorgerufen wurde. "Das ist wie David gegen Goliath", beschreibt Cäsar-Preller die Situation zwischen erkrankten Klägern und Klägerinnen auf der einen und den Pharmakonzernen auf der anderen Seite.
Dass Betroffene trotzdem den steinigen Weg vor das Gericht wählen, kann er verstehen: "Was bleibt einem sonst anderes übrig? Man ist fürs Leben gezeichnet." Während die Konzerne in der Pandemie Milliardengewinne einstrichen, stünden Klägerinnen und Kläger, die auf Schmerzensgeld hoffen, vor juristischen Hürden. Aber warum ist es so schwierig, erfolgreich zu klagen?
Nutzen und Risiken bei Corona-Impfung
Dass es Impfschäden auch mit schweren Folgen gibt, bestreiten weder die Politik noch die Hersteller. Nur überwiegt der Nutzen die Risiken: Das heißt, die allermeisten geimpften Menschen haben vom Schutz der Impfung profitiert und keine Nebenwirkungen bekommen, die schlimmer wären, als sich einer Corona-Erkrankung schutzlos auszusetzen.
Und wenn es Nebenwirkungen gab, waren die in den allermeisten Fällen verkraftbar und schnell vorüber. Manche hätten ohne Impfung gar nicht überlebt. Das ist der Nutzen.
Dagegen steht das Risiko: Einzelne können einen Impfschaden erlitten haben, der sie womöglich den Rest des Lebens einschränkt - sie hatten in der Wahrscheinlichkeitslotterie Pech. Dass Impfschäden womöglich nur sehr selten und bei wenigen Menschen in schwerer Form auftreten, bringt ihnen nichts, denn genau sie hat es getroffen und das im Zweifel sehr hart.
Dass Einzelne Pech haben, wird in Kauf genommen
Versuchen sie jetzt, wegen des erlittenen Schadens zu klagen, wird das Gesamtwohl aller Geimpften zu ihrem Problem. Dass Einzelne Pech hatten, nimmt der Gesetzgeber in Kauf. Denn vor Gericht zählt, ob die Mehrheit der Menschen profitiert hat.
Weltweit wurden geschätzt 5,6 Milliarden Menschen mindestens einmal geimpft, in Deutschland waren es rund 65 Millionen, in Hessen rund fünf Millionen. Da ist es schwer zu beweisen, dass der persönlich erlittene Schaden größer ist als der Nutzen für die Gesamtheit.
Ist die Corona-Impfung Schuld an Symptomen?
Dieses Grundproblem mache es für Menschen, die Impfschäden erlitten haben, schwierig, wenn sie vor Gericht wegen einer "unvertretbaren, schädlichen Wirkung" klagen, sagt Wolfgang Voit, Professor für Pharmarecht an der Universität Marburg.
Da Nutzen und Risiken der gesamten Patientenschaft in den Blick genommen werden, "kann es sein, dass einzelne Patienten auch schwerwiegende Nebenwirkungen haben, die letztlich nicht entschädigt werden vom Arzneimittelhersteller".
Um erfolgreich auf Schmerzensgeld und eine umfassende Entschädigung zu klagen, muss ein Patient außerdem beweisen, dass die Impfung der Grund für die Symptome ist. Das heißt, dass alle anderen möglichen Ursachen - wie Vorerkrankungen - nicht als Ursache in Frage kommen.
Wurde ausreichend vor Risiken gewarnt?
Für Anwalt Cäsar-Preller ist entscheidend, ob ein Gericht in die Beweisaufnahme geht - oder schon vorher entscheidet, dem Fall keine Chance zu geben und die Klage abweist. Das würde jedes Gericht anders handhaben, sagt Cäsar-Preller. Beweisaufnahme bedeutet, dass etwa ein medizinischer Sachverständiger angehört und die Krankheitsgeschichte der Betroffenen angeschaut wird.
Im Fall einer Mandantin von Anwalt Cäsar-Preller, die im vergangenen August in Mainz gegen Astrazeneca klagte, wurde der Impfschaden immerhin von der Berufsgenossenschaft anerkannt. In ihrem Fall ging es aber noch um eine weitere Frage, die ein Grund für eine Klage sein kann, nämlich ob Hersteller im Einzelfall wegen unzureichender Informationen über den Impfstoff haftbar gemacht werden können. Im Mainzer Fall und bei einer weiteren Klage, die im bayerischen Bamberg verhandelt wurde, geht es um Astrazeneca und Thrombosen bei Frauen.
Beide Klägerinnen wurden geimpft, bevor Astrazeneca im März 2021 in der Fachinformation auch auf sehr seltene Fälle von Thrombosen bei Frauen unter 55 Jahren hinwies. Später wurden Astrazeneca-Impfungen für unter 60-Jährige wegen des Thromboserisikos gestoppt.
Staat erkennt wenige Corona-Impfschäden an
"Aus juristischer Sicht sind die Chancen, einen Prozess zu gewinnen, meines Erachtens nicht besonders hoch", sagt Pharmarechtler Voit mit Blick auf die juristischen Voraussetzungen für Klagen. Allerdings können Betroffene - auch ohne zu klagen - zumindest auf eine gewisse Entschädigung hoffen.
Bei Impfschäden könne es immerhin Versorgungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz geben, sagt Voit - also vom Staat. Hier reiche es, dass ein Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung wahrscheinlich ist, um eine Entschädigung zu erhalten.
Das sei zwar kein Schmerzensgeld, helfe aber etwa bei einem gewissen Verdienstausfall. Allerdings zeigen Zahlen aus Hessen, dass Versorgungsämter mehr als 90 Prozent der Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens ablehnen.
Wer bezahlt das alles?
Biontech & Co. haben bei Prozessen kein finanzielles Risiko - unabhängig vom Ausgang. Selbst wenn ein Kläger oder eine Klägerin erfolgreich sein sollte, zahlen die Impfstoffhersteller nichts. Die Europäische Kommission hatte umfassende Haftungsfreistellungen mit den Herstellern vereinbart. Statt der Konzerne haftet der Staat.
Das sei nicht unbedingt unüblich bei Impfstoffen, sagt Voit. Die Hersteller sicherten sich so ab, und der Staat wolle schnell den Impfstoff. "Und da sagen die Hersteller halt häufig, das machen wir nur, wenn wir von dem finanziellen Risiko freigestellt werden."
Teure Anwälte, hohe Kosten für Steuerzahler
Für den Staat wird es im Zweifel damit allerdings doppelt teuer: Gewinnt jemand vor Gericht gegen einen Hersteller, zahlt der Staat die Kosten. Verliert jemand vor Gericht, kann es passieren, dass der Staat auch finanziell einspringen muss, wenn es um die Prozesskosten geht, die das übersteigen können, was ein Kläger tragen kann.
"Die Pharmafirmen nehmen natürlich hochspezialisierte, sehr teure Anwälte, so dass in den Fällen, in denen eine Klage abgewehrt wird, hohe Kosten für die Rechtsabwehr entstehen, die letztlich der Staat zahlt", sagt Voit. Gewisse Zugeständnisse gebe es aber mittlerweile: Die Pharmafirmen würden anfangen, sich doch an Verfahrenskosten zu beteiligen. Müssen tun sie das nicht.
Die Erfahrung von Anwalt Cäsar-Preller ist, dass Impfkonzerne den Betroffenen nicht entgegen kommen - es wäre möglich, einen Vergleich zu verhandeln, sich auf eine gewisse Summe zu einigen und so eine Verurteilung zu verhindern. Das Geld käme dann allerdings wieder vom Staat, einen finanziellen Schaden hätten die Konzerne bei einem Vergleich nicht.
Trotzdem sieht Cäsar-Preller in dieser Hinsicht bisher keine Bereitschaft bei den Konzernen: Er vermutet, weil die Firmen eine Klagewelle fürchten. Und das könnte am Image kratzen.
Milliardengewinne und kein Risiko
Anwalt Cäsar-Preller sieht in den hohen Gewinnen der Pharmakonzerne auch eine moralische Verpflichtung: "Es wäre hochanständig, wenn die Impfstoffhersteller nicht jeden Fall vor die Gerichte zerren würden, und ich fordere sie auch auf, in vernünftige und ernsthafte Vergleichsverhandlungen zu gehen." So könne schneller eine gute Lösung für Impfgeschädigte gefunden werden.
Er sagt, es gehe auch darum, Solidarität herzustellen mit denjenigen, die einen Impfschaden erlitten haben: "Als es um das Impfen ging, sollten wir solidarisch sein, um uns und andere zu schützen. Jetzt fordere ich Solidarität mit jenen, die es nicht so gut getroffen haben."
Sendung: hr-iNFO, 23.1.2024, 7 Uhr
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