Trotz Ende der Grenzblockade Warum Hilfsgüter für die Ukraine im nordhessischen Gudensberg festhängen
Medizinische Ausrüstung, Öfen, Winterkleidung: In Gudensberg stapeln sich dringend benötigte Hilfsgüter für die Ukraine. Trotz der offiziellen Beendigung einer Blockade an der polnisch-ukrainischen Grenze hakt der Transport noch immer.
"Eine kleine Investition, die Leben rettet", sagt Wolfgang Mand vom Gudensberger Partnerschaftsverein. In einer Halle in der Kleinstadt im Schwalm-Eder-Kreis demonstriert er die Funktion einer Aderpresse am Oberschenkel. Das sogenannte Tourniquet ist eine schwarze Schlaufe mit einem Plastikknebel und hat einen enormen Wert für Soldaten im Einsatz.
Vor allem bei Großverletzungen an Armen und Beinen, so Mand. Denn damit könne man die Hauptarterien abbinden, um nicht an hohem Blutverlust zu sterben. Durch den Druck wird die Blutung gestillt, bis Rettung da ist. Realität in der Ukraine. Kartonweise lagert der 20-Euro-Artikel hier beim Deutschen Roten Kreuz. Im Kriegsgebiet werden sie dringend erwartet. Doch der Nachschub stockt - denn die Grenzübergänge zur Ukraine waren monatelang blockiert.
Hilfslieferungen stocken
Der letzte Transport ist Ende Oktober mit medizinischen Großgeräten vom Hof gefahren - und war der 51. Lkw mit Hilfsgütern. Trotz der Blockade haben die Mitglieder des Partnerschaftsvereins nicht aufgehört, die Lager zu füllen. Der Verein sammelt seit Februar 2022 Hilfsgüter für die ukrainische Partnerstadt Schtschyrez. Erst mit einem Transporter, mittlerweile mit einem 40-Tonner.
Seit Wochen sind die Transporte an der polnischen Grenze nicht mehr durchgekommen, die Hilfslieferungen in die 1.250 Kilometer entfernte Stadt mussten aussetzten. Der Grund: Polnische Transportunternehmer hatten seit Anfang November gemeinsam mit Bauern drei Grenzübergänge zur Ukraine blockiert. Damit hatten sie gegen die billigere Konkurrenz aus dem Nachbarland protestiert.
Denn die Ukraine hatte vor dem Krieg den Großteil ihrer Exporte auf dem Seeweg transportiert. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges hatte man die Güter auf die Straße verlagert. Die EU hatte deshalb die notwendigen Transportgenehmigungen aufgehoben. Zuletzt hatten sich auch slowakische Lkw-Fahrer an der Blockade beteiligt.
Blockade an ukrainischer Grenze vorerst aufgehoben
Seit gut einer Woche haben die Protestierenden die Blockade offiziell bis zum 1. März ausgesetzt. Nun sollen gemeinsame Lösungen gefunden werden. Dazu hatten sich am Dienstag der neue polnische Regierungschef Donald Tusk und Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj ausgetauscht.
In Gudensberg hat man diese Nachricht erleichtert aufgenommen. Denn nicht nur die Tourniquets sollen endlich in die Ukraine gebracht werden. In einer Halle stehen 400 Kisten, meterhoch gestapelt. In einem Drahtkorb Feuerlöscher, dazu unzählige Schulmöbel, Werkstattöfen und Feldbetten. Doch der Transport hakt immer noch.
Videokonferenz mit Stromausfall und Luftalarm
Die Staus an der Grenze seien weiterhin zu lang, berichtet der Bürgermeister von Schtschyrez, Oleh Vasylyshyn auf der wöchentlichen Videokonferenz mit der nordhessischen Partnerstadt. Das Risiko, den teuren Lkw aus der Ukraine auf Verdacht zu schicken, um die Hilfsgüter abzuholen, sei zu hoch.
Vasylyshyn und Dolmetscherin Irina Mykytka berichten auf einem großen Bildschirm von der aktuellen Lage vor Ort. Möglich macht das ein Stromaggregat aus einer früheren Hilfslieferung. Denn der Strom in der ukrainischen Stadt ist seit Stunden weg, Luftalarm wurde ausgelöst.
Am anderen Ende in Gudensberg ist auch Bürgermeisterin Sina Massow (SPD) extra vorbeigekommen. Sie ist stolz darauf, wie sehr sich die Menschen hier für Schtschyrez engagieren. In der nordhessischen Kleinstadt seien derzeit viele Geflüchtete aus der ganzen Welt untergebracht, ein Großteil davon aus der Ukraine.
Neben der ganzen Dramatik sei die Konferenz ein Beisammensein unter Freunden. Beide Städte haben viel Zeit in die Partnerschaft gesteckt. Immer wieder haben Besuche stattgefunden, Feste wurden gefeiert, ein Austausch für Jugendliche organisiert. Das alles war vor dem Krieg.
Seitdem sei man sich noch mal näher gekommen, sagt Wolfgang Mand vom Partnerschaftsverein. Man habe sich vorher "gegenseitige Hilfe und Solidarität in extremen Situationen versichert", so Mand, das sei jetzt eingetreten. Diese Hilfe beschränkt sich nicht nur auf die Lieferung von Spenden. In diesem Jahr werden Jugendliche aus Schtschyrez endlich wieder nach Gudensberg kommen "und den Frieden genießen" , so Bürgermeister Vasylyshyn.
Vorher soll der nächste Hilfstransport endlich losgeschickt werden - mit Kartons voller Kleidung, Schulmöbeln und Aderpressen - und Platz machen für weitere Spenden.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 23.01.2024, 19:30 Uhr
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