Rollstuhlzugang zum Strandbad und Klapprampen Was hessische Städte für mehr Barrierefreiheit tun können
Menschen mit Behinderung sind Teil der Gesellschaft. Trotzdem gibt es für sie in Innenstädten zahlreiche Hindernisse. Zwei Beispiele aus Hessen zeigen, wie der Weg zur Barrierefreiheit aussehen kann.
Hohe Bordsteinkanten, Treppen vor den Eingängen zu Geschäften oder Cafés, Stufen auf öffentlichen Plätzen - all das sind Hürden für Menschen im Rollstuhl, mit Rollator oder anderen Gehhilfen. Damit keiner vom öffentlichen Leben ausgeschlossen wird, hat sich die Stadtverwaltung von Bad Arolsen (Waldeck-Frankenberg) vor 23 Jahren dazu entschlossen, Bauprojekte direkt barrierefrei zu planen.
Bad Arolsens Bürgermeister Marko Lambion (unabhängig) betont, dass Inklusion für die Kleinstadt eine wichtige und selbstverständliche Aufgabe sei. In die Projektplanung binde man von Anfang an Menschen mit Behinderung ein: "Das sind unsere Fachleute, die sehen die Barrieren und weisen uns auf Veränderungsmöglichkeiten hin", sagt Lambion.
Barrierefreies Strandbad
In der Kurstadt gibt es seit über 20 Jahren die Initiative Barrierefreies Leben in Bad Arolsen (BLiBa). Deren Vorsitzender Jürgen Damm ist vor allem auf ein Projekt stolz: Das Strandbad am nahegelegenen Twistesee hat einen barrierefreien Einstieg.
"Alle Menschen wollen ins Wasser - auch die mit Rollstuhl", sagt Damm. Mit einem normalen Rollstuhl gehe das aber nicht. Seit drei Jahren gibt es deshalb am Twistesee einen speziellen Steg für Rollstuhlfahrer, an dem ein wasserfester Rollstuhl zur Verfügung steht. Der Steg hat rund 43.000 Euro gekostet und wurde zu 90 Prozent durch Mittel des hessischen Sozialministeriums gefördert.
Anfang April kündigte die Landesregierung an, in Zukunft jährlich 8,5 Millionen Euro in die Barrierefreiheit von Kommunen zu investieren. Wie viel Fördergeld im vergangenen Jahr in barrierefreie Projekte floss, konnte ein Regierungssprecher auf Anfrage jedoch nicht beantworten. Unklar ist auch, ob hessische Orte eher besser oder schlechter dastehen dabei.
Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung
Klar ist aber, dass nicht in allen Städten so viel für Barrierefreiheit getan wurde wie in Bad Arolsen. Darauf wollen viele Veranstaltungen am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung an diesem Freitag aufmerksam machen - auch in hessischen Städten.
In Herborn (Lahn-Dill) etwa haben sich behinderte Menschen malen lassen - so wie die Barrieren, auf die sie tagtäglich stoßen. In Kassel gibt es Fotos von Barrieren zu sehen. In Marburg will eine Demonstration ohne Menschen auf den Fachkräftemangel im Sozialsystem hinweisen.
Die Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung, Rika Esser, sieht noch viel Arbeit, was die Barrierefreiheit in Hessens Städten und Gemeinden betrifft. Dennoch gebe es schon reichlich positive Beispiele für "Aktivitäten zur Verbesserung der Barrierefreiheit", wie Esser es nennt. Wichtig scheint ihr, "dass vor Ort entwickelte Lösungen und gute Praxisbeispiele landesweit Schule machen".
Altstadt voller Hürden
Wo es noch viel zu tun gibt, ist zum Beispiel Bad Sooden-Allendorf (Werra-Meißner). Obwohl es ebenso wie Bad Arolsen eine Kurstadt ist und dort aufgrund des Kurbetriebs viele Menschen mit Geheinschränkungen unterwegs sind, ist die Innenstadt voller Treppen, holprigem Kopfsteinpflaster und Stufen.
Bürgermeister Frank Hix (CDU) ist sich dessen bewusst. Aus diesem Grund habe sich die Stadt 2020 für das Förderprogramm "Lebendige Zentren" des Landes beworben. Über einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren erhält Bad Sooden-Allendorf nun rund 15 Millionen Euro. "Ein Schwerpunkt ist der Umbau zu barrierefreien Kernstädten", erklärt Hix. Nach und nach werde die Altstadt nun umgebaut.
Dass in Bad Sooden-Allendorf inzwischen mehr auf barrierefreie oder wenigstens barrierearme Zugänglichkeit geachtet wird, liegt aber auch am Einsatz von Marco Schnyder.
Betroffene bewirken Veränderung
Der Mann aus Göttingen (Niedersachsen) kommt einmal jährlich zur Reha nach Bad Sooden-Allendorf. Er ist auf seinen Rollstuhl angewiesen und hat während eines Aufenthalts festgestellt, dass er so gut wie kein Geschäft betreten konnte, da immer Stufen zum Eingang führten.
Schnyder erinnert sich an den Wendepunkt vor ein paar Jahren: "Ich bin mit anderen Patienten zum Rathaus gegangen und habe dort das Gespräch gesucht, damit Bad Sooden-Allendorf barrierefreier wird." So wurden als erste Maßnahme Klapprampen an Geschäfte verteilt. Diese können bei Bedarf über die Eingangstreppen gelegt werden, damit Rollstuhlfahrer in die Geschäfte kommen.
Im Juli will Schnyder gemeinsam mit anderen Rollstuhlfahrern durch die Innenstadt fahren und schauen, wo es weiterhin Ausbaubedarf gibt. Ihre Erkenntnisse wollen sie an die Stadt weitergeben.
Förderung durch das Land
Das Beispiel Bad Sooden-Allendorf zeigt, dass es ein langer Weg hin zu barrierefreien Innenstädten sein kann. Auch in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens zeigen sich Defizite. So teilte das hessische Verkehrsministerium im vergangenen Jahr mit, dass rund die Hälfte aller Bahnhöfe in Hessen nicht barrierefrei ist.
Das Land unterstützt Investitionen in Barrierefreiheit auch durch ein Förderprogramm, für das sich Gemeinden als inklusive Modellregion des Landes bewerben können. 18 Städte und Kommunen haben sich dafür gemeldet. Zwei Jahre lang fördert das Land finanziell die Umsetzung ihrer Ziele zu mehr Barrierefreiheit.
Um besonders gelungene Projekte für das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung zu würdigen, wird seit vergangenem Jahr der Hessische Inklusionspreis verliehen. Die Preisverleihung findet am 5. Mai in Frankfurt statt.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 05.05.2023, 16.45 Uhr
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