Was Sie über den Reichsbürger-Prozess in Frankfurt wissen müssen
Am Frankfurter Oberlandesgericht hat der Prozess gegen die Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß begonnen. Diese soll einen bewaffneten Umsturz geplant und dafür bereits konkrete Vorbereitungen getroffen haben. Die wichtigsten Fragen zum Mammutprozess.
Bei einer groß angelegten Razzia gegen die Reichsbürgerszene gab es im Dezember 2022 bundesweit zahlreiche Festnahmen. Auch in Hessen wurden mehrere mutmaßliche Mitglieder einer Gruppe gefasst, die einen gewaltsamen Regierungsumsturz in Deutschland geplant haben sollen. Am Dienstag (21.05.2024) hat gegen neun von insgesamt 26 Angeklagten in Frankfurt der Prozess begonnen.
- Wer muss sich vor dem Frankfurter Oberlandesgericht verantworten?
- Was wird den Angeklagten vorgeworfen?
- Welche Rolle spielten dabei Verschwörungstheorien?
- Wie weit waren die Vorbereitungen für den Umsturz gediehen?
- Warum stehen nur neun von insgesamt 26 mutmaßlichen Verschwörern in Frankfurt vor Gericht?
- Wie lange wird der Prozess dauern?
- Warum muss der Prozess in einem "Gerichtszelt" stattfinden?
Wer muss sich vor dem Frankfurter Oberlandesgericht verantworten?
Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt müssen sich neun Männer und Frauen wegen der Umsturzpläne der sogenannten "Patriotischen Union" verantworten. Im Einzelnen handelt es sich um:
Heinrich XIII. Prinz Reuß: Der aus einer ehemaligen Adelsfamilie stammende Immobilienunternehmer gilt als einer der "Rädelsführer" der Putschisten-Gruppe. Reuß sollte nach dem Umsturz an der Spitze einer provisorischen deutschen Regierung stehen.
Maximilian E.: Ehemaliger Oberst der Bundeswehr. Gehörte mehrere Jahre dem "Kommando Spezialkräfte" in Calw (Baden-Württemberg) an. Bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung trat er mehrfach als Redner auf. Zusammen mit Rüdiger von P. und Peter W. soll er den Putschisten-Bund gegründet haben. Zudem soll er versucht haben, Bundeswehrsoldaten zu werben.
Michael F.: Der aus Hannover stammende ehemalige Kriminalhauptkommissar soll sich im Oktober 2021 der Vereinigung angeschlossen haben. Innerhalb des militärischen Arms der "Patriotischen Union" soll er für das Ressort "Inneres" verantwortlich gewesen sein und Pläne für einen Umbau der deutschen Polizei nach dem Putsch erarbeitet haben.
Johanna F.-J.: Trat 2021 für die dem "Querdenker-Milieu" nahestehende Kleinpartei Die Basis bei der Bundestagswahl an. Ihr wird unter anderem vorgeworfen, von einem Verwandten 150.000 Euro organisiert zu haben, mit denen Waffen, Fahrzeuge und militärisches Equipment gekauft werden sollten.
Hans-Joachim H.: Der aus Harburg (Niedersachsen) stammende Angeklagte soll unter anderem 160.000 Euro aus eigenem Vermögen für die Putschplanungen zur Verfügung gestellt haben. Zudem soll er an Treffen teilgenommen haben, bei denen die Rekrutierung weiterer Mitglieder und Geldgeber geplant wurde.
Birgit Malsack-Winkemann: Die 59-Jährige saß von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag. Mit ihrem Ehemaligen-Ausweis hatte sie Zutritt zum Reichtagsgebäude in Berlin und soll damit Maxmilian E., Peter W. und dem in München angeklagten Harald P. Zutritt zum Parlamentsgebäude verschafft haben. Die Anklage geht davon aus, dass das Gebäude für eine bewaffnete Erstürmung am "Tag X" ausgekundschaftet werden sollte. Im "Rat" der "Patriotischen Union" soll sie für den Bereich Justiz verantwortlich gewesen sein.
Rüdiger von P.: Der ehemalige Oberstleutnant und Kommandeur eines Fallschirmjägerbataillons der Bundeswehr gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Putschisten-Vereinigung. Als Anführer des militärischen Arms soll er unter anderem für die Rekrutierung neuer Mitglieder und die Beschaffung von Waffen zuständig gewesen sein.
Peter W.: Soll ebenfalls Gründungsmitglied und im militärischen Arm der Vereinigung "Adjutant" von Rädelsführer Rüdiger von P. gewesen sein. Zusammen mit der AfD-Abgeordneten Birgit Malsack-Winkemann sollen sie das Reichtstagsgebäude in Berlin ausgespäht haben. W. soll zudem ein Schießtraining organisiert haben, bei dem auch das Personal für die geplante Erstürmung ausgewählt werden sollte.
Vitalia B.: Die russische Staatsangehörige soll die "Patriotische Union" unter anderem dadurch unterstützt haben, dass sie Reuß Kontakt zum russischen Generalkonsulat in Leipzig vermittelte und ihn im Juni 2022 dorthin begleitete. Die Hoffnung der verhinderten Putschisten war, dass Russland ihre neue Regierung anerkennen und militärisch unterstützen würde.
Ein zehnter Angeklagter, Norbert G. aus Thüringen, ist im März gestorben.
Was wird den Angeklagten vorgeworfen?
Die Anklage geht davon aus, dass die Rädelsführer Maximilian E., Rüdiger von P. und Peter W. die "Patriotische Union" Ende Juli 2021 gegründet haben. Ziel der Vereinigung sei der gewaltsame Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung gewesen. Diese sollte durch eine "eigene bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform" ersetzt werden.
Konkret soll die Vereinigung spätestens ab August 2021 Vorbereitungen getroffen haben, um an einem "Tag X", mit einer bewaffneten Gruppe in das Reichstagsgebäude in Berlin einzudringen, dort Abgeordnete des Bundestags festzunehmen und so einen Systemumsturz herbeizuführen. Für ihr Vorhaben versuchte die Gruppe militärisches Personal zu werben und Waffen zu besorgen, so die Anklage. Zudem wurde mindestens ein Schießtraining durchgeführt.
Im Zuge der Machtübernahme sollten dann Institutionen und Amtsträger auf Landes-, Kreis- und kommunaler Ebene beseitigt werden. Die Anklage geht davon aus, dass den Mitgliedern der "Patriotischen Union" bewusst war, dass im Zuge dieser Aktionen auch Menschen getötet würden.
Konkret werden den Angeklagten daher Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens beziehungsweise Beihilfe dazu vorgeworfen. Reuß, Rüdiger von P. und Peter W. müssen sich zudem wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verantworten. W. zusätzlich auch noch wegen einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat durch die Verschaffung und Aufbewahrung einer Schusswaffe.
Welche Rolle spielten dabei Verschwörungserzählungen?
Eine ziemlich zentrale. Fast alle Angeklagten hingen bereits vor Gründung der "Patriotischen Union" Verschwörungserzählungen an. Reuß etwa sorgte bereits 2019 mit einem Auftritt in Zürich für Aufsehen, bei dem er erklärte, die jüdische Bankiersfamilie Rothschild habe Kriege finanziert, um unliebsame Monarchien zu stürzen. Später wurde er zu einem bekannten Gesicht der Reichsbürgerszene, welche die Legitimität der Bundesrepublik in Abrede stellt.
Die Anklage hält fest, dass die Angeklagten "einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen, bestehend aus Narrativen der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene sowie der QAnon-Ideologie" anhingen. So waren sie fest davon überzeugt, dass Deutschland von Angehörigen eines "Deep State" regiert werde. Befreiung verspreche die sogenannte "Allianz" ein technisch überlegener Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika.
Diese "Allianz", so die Überzeugung der verhinderten Putschisten, würde ein Signal für den Beginn des "Tag X" geben. Daraufhin sollten bewaffnete Mitglieder das Bundesparlament stürmen und so den Umsturz einleiten. Anschließend würde die "Allianz" die Machtübernahme durch Reuß und Co. absichern.
Wie weit waren die Vorbereitungen für den Umsturz?
Laut Anklage sehr konkret. Der sogenannte "Rat" fungierte demnach nicht nur als Spitze der Vereinigung, sondern auch als eine Art Schatten-Kabinett einer künftigen deutschen Übergangsregierung. Reuß sollte dabei als provisorisches Staatsoberhaupt die Verhandlungen mit der "Allianz" leiten, während weiteren Mitgliedern bereits Zuständigkeiten wie "Justiz" oder "Gesundheit" zugeteilt waren.
Angegliedert an den "Rat" war der "militärische Arm". Diesem Teil der Vereinigung oblag es, die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt durchzusetzen. Bewerkstelligt werden sollte dies über ein bereits im Aufbau befindliches deutschlandweites System von insgesamt 286 militärisch organisierten Verbänden, den sogenannten "Heimatschutzkompanien".
Die "Patriotische Union" verfügte über finanzielle Mittel in Höhe von etwa 500.000 Euro. Diese sollen unter anderem zur Beschaffung eines Waffenarsenals genutzt worden sein. Dieses umfasste zum Zeitpunkt der Festnahme von Reuß und seinen mutmaßlichen Mitverschwörern rund 380 Schusswaffen, beinahe 350 Hieb- und Stichwaffen und fast 500 weitere Waffen - sowie mindestens 148.000 Munitionsteile und weiteres militärisches Material.
Warum stehen nur 9 von insgesamt 26 mutmaßlichen Verschwörern in Frankfurt vor Gericht?
Man könnte die Frage mit einem Wort beantworten: Prozessökonomie. Tatsächlich handelt es sich eigentlich um einen zusammenhängenden Tatkomplex. Doch weil es um eine große Anzahl von Angeklagten und durchaus komplexe Tatvorwürfe geht, wurde entschieden, über die mutmaßlichen Putschpläne an drei Oberlandesgerichten (OLG) zu verhandeln.
Bereits begonnen hat die Hauptverhandlung am OLG Stuttgart. Dort müssen sich ebenfalls neun mutmaßliche Mitverschwörer verantworten. Einer von ihnen wegen versuchten Mordes. Er hatte bei seiner Festnahme auf Polizisten geschossen.
Hingegen startet die Hauptverhandlung am OLG München erst Anfang Juni. Hier stehen acht Angeklagte vor Gericht.
Wie lange wird der Prozess gegen die Gruppe um Prinz Reuß dauern?
Voraussagen über die Länge der Hauptverhandlung sind grundsätzlich schwierig. Rein theoretisch wäre es beispielsweise möglich, dass alle Angeklagten bereits am ersten Prozesstag vollumfängliche Geständnisse ablegen und damit den Prozess verkürzen. Doch davon ist nicht auszugehen.
Das Frankfurter OLG jedenfalls hat nicht weniger als 49 Prozesstage bis Mitte Januar 2025 angesetzt. Die Erfahrung mit ähnlichen Staatsschutzverfahren in den vergangenen Jahren (beispielsweise im Mordfall Lübcke oder gegen Bundeswehroffizier Franco A.) zeigen, dass diese oft mehr Zeit in Anspruch nehmen als ursprünglich geplant.
Warum muss der Reichsbürger-Prozess in einem "Gerichtszelt" stattfinden?
In verschiedenen Medienberichten ist zwar von einem "Zelt" die Rede, rein optisch erinnert das Gerichtsprovisorium im Frankfurter Stadtteil Sossenheim aber eher an eine Lagerhalle. Der vorübergehende Umzug wird notwendig, weil im Frankfurter Gerichtsviertel an der Konstablerwache umfangreiche Gebäudesanierungen und Neubauten anstehen. Unter anderem wird das Gerichtsgebäude C - in dem bislang die Staatsschutzverfahren stattfanden - abgerissen. Zudem wird wegen der großen Anzahl an Angeklagten, Anwälten, Zeugen und Zuschauern mehr Platz als sonst benötigt.
Das in Sossenheim errichtete Behelfsgebäude soll für mindestens ein Jahr genutzt werden. Trotz des provisorischen Eindrucks handelt es sich um eine Hochsicherheitsanlage, die unter anderem zehn Einzelzellen für die Angeklagten beherbergt. Insgesamt soll das "Gerichtszelt" 170 Menschen Platz bieten. Davon sind allein 120 Plätze für die Öffentlichkeit und Medien vorgesehen.
Sendung: hr-iNFO, 21.05.2024, 6 Uhr
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