Welt-Down-Syndrom-Tag Die größte Herausforderung? "Ständig für das Kind zu kämpfen"
In Deutschland leben rund 40.000 Menschen mit dem Down-Syndrom. Rosa, Ivo und Emma Rosa aus Hessen gehören dazu. Wie einzigartig ihr Leben ist und welche Höhen und Tiefen sie im Alltag erleben, erzählen ihre Mütter hier.
"Unser Leben ist wie eine Achterbahnfahrt", sagt Joanna Meyer aus Offenbach. Ihre Tochter Rosa wurde mit dem Down-Syndrom, auch Trisomie 21 genannt, geboren. Genauso wie Ivo Heger aus Frankfurt und Emma Rosa Flach aus Erzhausen (Darmstadt-Dieburg). Als die Familien von der genetischen Besonderheit ihrer Kinder erfuhren, waren der Respekt und die Verunsicherung zunächst groß.
Wie würde es sein, ein Kind mit körperlichen und geistigen Einschränkungen aufzuziehen? Welche Veränderungen kommen auf die Familie zu, ist man den Herausforderungen gewachsen? Hier berichten drei Mütter anlässlich das Welt-Down-Syndrom-Tags am 21. März von ihrem Alltag und davon, wie sie Inklusion in Hessen wahrnehmen.
Joanna Meyer und ihre Tochter Rosa aus Offenbach
Die Eltern von Rosa wussten vor der Geburt nicht, dass ihre Tochter das Down-Syndrom hat. Nach der Geburt habe sie an Burnout und Depressionen gelitten, sagt Joanna Meyer. Heute ist ihre Tochter neun Jahre alt und geht in die dritte Klasse einer integrativen Privatschule in Dietzenbach.
"Als Rosa zur Welt kam, war ich die glücklichste Mutter auf der Welt, weil ich dachte: Endlich ist sie da, ich habe so lange auf sie gewartet. Dann kam die Diagnose, dass sie Trisomie 21 hat. Und dann dachte ich: Okay, jetzt bin ich in der Hölle. Es war schon ein krasser Schock.
Ich war wütend. Ich war sauer. Warum ich? Warum muss ich das auf die Schultern bekommen? Mein Mann hat dann die Gegenfrage gestellt: Warum nicht? Und da wurde mir das erste Mal im Leben bewusst, dass man nicht alles planen kann. Gott sei Dank haben wir dann Hilfe bekommen. Eine Therapeutin war gleich im Krankenhaus, und so haben wir uns dann vorangetastet.
Rosa ist ein sehr mutiges Kind. Wenn sie zum Beispiel im Restaurant etwas will, steht sie auf und holt es sich. Das würde meine andere Tochter, die kein Down-Syndrom hat, niemals machen. Und so lernt unsere Jüngste von Rosa und guckt sich Dinge ab. Das ist großartig an ihr.
Als die Diagnose Trisomie 21 kam, war das ein krasser Schock. Da wurde mir das erste Mal im Leben bewusst, dass man nicht alles planen kann. Zitat von Joanna MeyerZitat Ende
Eine Eigenschaft an ihr, die mich persönlich sehr viel Kraft kostet, ist ihr Dickkopf. Rosa will ständig über alles diskutieren. Und wenn eine Phase bei einem Kind ohne Down-Syndrom ein Jahr dauert, weißt du, dass es bei der Rosa drei Jahre dauern kann. Also ich weiß nie, wo die Reise hingeht. Wird sie jemals selbstständig sein?
Die größte Herausforderung für mich als Mutter ist aber, ständig für das Kind kämpfen zu müssen. Wenn andere Grundschulkinder zum Beispiel fragen: Warum ist sie so komisch, und warum macht sie das? Daran merke ich, dass irrsinnig viel Aufklärungsbedarf besteht. Da sind wir noch ganz schön weit hinten. Leider.
Auch das Thema Schulwahl war wirklich schwierig. Das Zusammenspiel mit den Lehrern, den Schülern und den Teilhabeassistenten muss einfach funktionieren. Für uns kam dann nur eine Privatschule in Frage, wo man viel Geld in die Hand nehmen muss, damit das Kind dort eine Chance oder Möglichkeit hat. Derzeit fahren wir 40 Minuten pro Strecke zu ihrer Schule. Da wünsche ich mir ein größeres Angebot für Kinder mit Behinderung."
Nicole Flach und ihre Töchter Jules und Emma Rosa aus Erzhausen
Auch die Eltern von Emma Rosa erfuhren erst nach ihrer Geburt von dem dreifachen Chromosom 21. Die Siebenjährige geht in die erste Klasse einer inklusiven Grundschule - bis dahin war es ein komplizierter bürokratischer Weg. Zur vierköpfigen Familie gehört noch die fünf Jahre alte Jules.
"Nach der Geburt gab es den ersten Verdacht auf Trisomie 21. Es hört sich vielleicht hart an, aber es war Horror, weil man natürlich die ganze Schwangerschaft damit gerechnet hat, dass man ein gesundes Kind bekommt. Das war schon ein Schock.
Wir versuchen, unser Leben so wie jede andere Familie auch zu leben, aber das klappt nicht immer. Denn natürlich ist unser Alltag geprägt von Therapien mit Emma Rosa, von Arztbesuchen, von Behördenterminen, vom Austausch mit anderen Eltern. Das ist ein ganz, ganz großer Zeitfaktor in unserem Leben.
Es gibt noch Emma Rosas kleine Schwester, und natürlich machen wir mit unserem Kind auch ganz normale Sachen: zum Beispiel ins Schwimmbad fahren, Freunde treffen, in Urlaub fahren. Es gibt Sachen, dir wir mit ihr nicht machen können, ins Kino gehen zum Beispiel, weil sie einfach mit der Lautstärke ein Problem hat. Aber so etwas gibt es bei jedem anderen Kind ja auch.
Das Schönste an einem Kind mit Down-Syndrom ist, dass sie völlig unverfälscht sind. Die sind immer gerade heraus. Sie sind so, wie sie sind. Zitat von Nicole FlachZitat Ende
Mittlerweile geht Emma Rosa in die erste Klasse auf eine inklusive Grundschule. Wir haben uns lange Gedanken um die Schulwahl gemacht, weil das nicht einfach ist. Für uns war klar, dass sie inklusiv beschult werden soll. In ihrer Grundschule hat ein Drittel der Kinder in jeder Klasse Förderbedarf.
Wir wollten, dass sie auch mit anderen gehandicapten Kindern zusammen ist. Sie sollte kein Sonderling sein. Unsere Kinder können alles lernen wie andere Kinder auch, nur eben in ihrem Tempo. Und sie brauchen dabei individuelle Unterstützung.
Das Schönste an einem Kind mit Down-Syndrom ist für mich, dass diese Kinder völlig unverfälscht sind. Die sind immer gerade heraus. Da gibt es keinen Neid gegenüber anderen. Oder Hänseleien. Sie sind so, wie sie sind. Und sie haben eine absolute Empathie und Sensibilität für ihre Mitmenschen.
Die größte Einschränkung, die man im Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom hat, ist, dass man um alles kämpfen muss. Von der Politik würde ich mir wünschen, dass wir Eltern nicht mit so viel Behörden-Kämpfen zu tun haben müssen. Das ist sehr kräftezehrend und geht an die Substanz. Ich wünsche mir von der Gesellschaft noch mehr Offenheit gegenüber unseren Kindern."
Nina Heger und ihr Sohn Ivo aus Frankfurt
Ivo Heger ist 16 Monate alt. Seine Eltern erfuhren mittels eines Bluttests während der Schwangerschaft von Nina Heger von der Diagnose Trisomie 21. Inzwischen besucht Ivo eine integrative Krabbelstube in Frankfurt.
"Ivo ist ein absolutes Wunschkind. Wir hatten es schon länger mit dem Kinderkriegen probiert. Als dann beim Bluttest rauskam, dass er mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 Prozent Trisomie 21 hat, hatten wir Schwierigkeiten mit der Diagnose, weil ich in meinem Leben nie Berührungspunkte mit Menschen mit Beeinträchtigung gehabt hatte, das gebe ich ehrlich zu.
Das Frankfurter Bürgerhospital hat uns dann an eine psychosoziale Beratungsstelle vermittelt. Dort wurde uns geholfen, unsere Gedanken zu sortieren. In einem Elternforum habe ich eine betroffene Mutter kennen gelernt, der ich alle Fragen stellen konnte. Das hat mir sehr geholfen und mich berührt. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viel Unterstützung von außen bekommen.
Seit Ivo ein Jahr alt ist, geht er in eine integrative Krabbelgruppe in Frankfurt. Ivo ist dort sehr beliebt. Er ist ein sehr fröhliches, sensibles und aufmerksames Kind. Er hat auch seine Fans, drei Mädels, die ihn ganz toll finden und sich immer freuen, wenn sie ihn sehen.
Ich wünsche mir weniger Vorurteile aus der Gesellschaft gegenüber Kindern mit Beeinträchtigungen. Zitat von Nina HegerZitat Ende
Ivo schläft die Nacht durch, seit er sechs Wochen alt ist. Herausforderungen gibt es auch. Ivo hat einen sehr schwachen Muskeltonus und kann erst seit ein paar Tagen alleine sitzen und robben. Einmal die Woche geht er zur Physiotherapie und regelmäßig zur Logopädie.
Für Ivos Zukunft wünsche ich mir weniger Vorurteile aus der Gesellschaft gegenüber Kindern mit Beeinträchtigungen. Ich hatte auch meine Vorurteile. Deswegen sind Inklusion und integrative Kitas und Krabbelstuben extrem wichtig, weil dort Kinder und Eltern in Kontakt kommen und sehen, dass Kinder wie Ivo genauso süße kleine Fratze sind wie andere Kinder auch.
Eltern, die ein Kind mit Down-Syndrom erwarten, rate ich, andere Familien kennen zu lernen. Es gibt in jeder Stadt Gruppen und Selbsthilfegruppen, die offen und gewillt sind, alle Fragen zu beantworten und zu unterstützen bei den Sorgen und Ängsten, die man hat."
Protokolle: Anna Dangel, Sophia Luft, Milena Pieper
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 21.03.2023, 19.30 Uhr
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