Welt-Down-Syndrom-Tag Betroffene fordern neue Debatte über vorgeburtliche Bluttests

Seit knapp drei Jahren zahlen die gesetzlichen Krankenkassen Bluttests auf Trisomien für Schwangere. Geplant waren die Tests für Einzelfälle, doch erste Erhebungen zeigen: Sie werden reihenweise eingesetzt. Behindertenverbände fordern, die Kostenübernahme wieder auf den Prüfstand zu stellen.

Sujet-Bild: Eine Fötus-Figur in einer Petrischale
Seit 2022 bekommen schwangere Frauen Bluttests auf Trisomien auch von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt. Bild © picture-alliance/dpa

Als die Söhne von Christoph Frieling und Nina Barth geboren wurden, stellten die Familien fest, dass in Frankfurt eine Anlaufstelle fehlte. Die Söhne, heute sechs und sieben Jahre alt, kamen mit dem Down-Syndrom zur Welt und es gab keine Institution, an die sie sich mit ihren speziellen Fragen wenden konnten.

Nachdem sie andere Betroffene zum Austausch gefunden hatten, beschlossen sie 2019, diese Lücke selbst zu füllen. Sie gründeten den Verein "21malDrei" für Familien mit Kindern mit Down-Syndrom.

Bluttests für Schwangere nun Kassenleistung

Seit einigen Monaten bemerkt der Verein nun, dass sich eine neue Lücke auftut. "Es kommen weniger bis keine Kinder nach", erzählt Nina Barth. "Wir haben auch deutlich weniger Gespräche mit Schwangeren." Auch Frühfördereinrichtungen verzeichneten Rückgänge.

Das könne eine natürliche Schwankung sein, ergänzt Christoph Frieling, doch beide vermuten, dass noch etwas anderes ursächlich sein könnte: Seit dem 1. Juli 2022 sind so genannte nichtinvasive Pränataltests (NIPT) als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung verfügbar – vorher mussten Schwangere diesen Bluttest privat bezahlen.

Bluttests scheinen Regeluntersuchung zu werden

Mit dem Test können Ärzte im Blut der Mutter nach Erbgutfehlern des Fötus suchen, etwa auf die Trisomie 21, die das Down-Syndrom auslöst. Ursprünglich war geplant, ihn nur in Einzelfällen einzusetzen, doch er ist möglicherweise zu einer Regeluntersuchung geworden.

Nichtinvasive vorgeburtliche Bluttests (Nipt) stehen Frauen seit 2012 zur Verfügung, allerdings mussten sie sie in der Regel selbst bezahlen. Beim Test wird eine Blutprobe der werdenden Mutter auf vordefinierte Erbgutfehler des Fötus untersucht. Ist das Testergebnis negativ, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass das Ungeborene Trisomie 13, 18 oder 21 hat.

Ist es hingegen auffällig, muss ein weiterer Eingriff folgen, um eine sichere Diagnose zu stellen - etwa eine Fruchtwasseruntersuchung. Diese hat ein gewisses Risiko für eine Fehlgeburt.

2019 entschied der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Gremium aus Ärztinnen, Ärzten, Krankenkassen und Kliniken, dass NIPT auf die Trisomien 13, 18 und 21 Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) werden sollten. Das sollte in begründeten Einzelfällen und nach ärztlicher Beratung geschehen. Vorangegangen waren lange Debatten.

Argumente für den Test waren, er sei im Gegensatz zu invasiven Methoden ohne Risiko für Mutter und Kind. Außerdem werde ein Ungleichgewicht aufgehoben: Vorher sei es eine Frage der finanziellen Mittel gewesen, ob Frauen den Test nutzen konnten oder auf invasive Verfahren angewiesen waren.

Gegner führten damals unter anderem schon ethische Bedenken an. Zudem sei der Test-Anlass, das "subjektive Empfinden" der Schwangeren, schwammig definiert. Üblicherweise sei außerdem eine medizinische Indikation Voraussetzung für eine Finanzierung durch die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und nicht eine individuelle Entscheidung der Versicherten.

Da andere Trisomien öfter schon per Ultraschall erkannt werden können, befürchten Kritiker, NIPT hätten sich zu einem Screening vor allem auf das Down-Syndrom entwickelt.

"Wir haben Daten, dass zwischen 40 und 80 Prozent der Frauen den Test in Anspruch nehmen", berichtet Matthias Fromhardt, der Ethikbeauftragte des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM). "Das heißt, wir haben inzwischen ein Screening auf Trisomie 13, 18 und 21."

Selbst jüngere Frauen nähmen den Test in Anspruch, obwohl die Falschpositivquote bei Frauen zwischen 20 und 30 Jahren bei rund 30 Prozent liege. Erste Berechnungen von Krankenkassen bestätigen die Zahlen.

Uneinheitliche Zahlen zu Fruchtwasseruntersuchung

Der Test ist derweil keine Diagnose. Diese erhalten Schwangere nur durch eine Fruchtwasseruntersuchung. Hier verzeichnen etwa die Barmer Krankenkasse steigende, die AOK sinkende Zahlen, wie sie auf hr-Anfrage mitteilten. Unsicher ist zudem noch, ob auch die Zahl der Abtreibungen gestiegen ist, da diese teils anders erfasst werden.

Betroffene haben schon die Kassenzulassung kritisch gesehen und fühlen sich in ihren Befürchtungen bestätigt: "Die Solidargemeinschaft der Versicherten sagt den werdenden Eltern: Die Suche nach Trisomie 21 ist medizinisch sinnvoll, verantwortlich und wir finanzieren das", erklärt auch Claudia Heinkel vom Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik. "Die Botschaft ist: Kinder mit Down-Syndrom sind vermeidbar."

Eltern, die den Test nicht machen wollten, stünden inzwischen selbst vor Ärzten unter einem gewaltigen Rechtfertigungsdruck, wissen Barth und Frieling zu berichten.

Der Mensch besitzt 23 Chromosomenpaare, die Träger seiner Erbinformation sind. Liegt ein Chromosom nicht in der normalen Anzahl vor, sprechen Experten von Fehlverteilungen (Aneuploidien). Liegt ein bestimmtes Chromosom dreifach statt zweifach vor, spricht man von einer Trisomie.

Trisomie 21 (Down-Syndrom)

Das Down-Syndrom zeigt sich in geistiger Behinderung und körperlichen Fehlbildungen in unterschiedlicher Ausprägung und Stärke. Kinder mit Down-Syndrom haben oft nur leichte Beeinträchtigungen oder Verzögerungen in ihrer Entwicklung und können letztendlich vieles, das andere auch können. Einige leben als Erwachsene weitgehend selbstständig. Andere brauchen mehr Unterstützung. Viele werden 60 Jahre und älter. In Deutschland leben 30.000 bis 50.000 Menschen mit Down-Syndrom.

Trisomie 18 (Edwards-Syndrom)

Kinder mit Trisomie 18 haben unterschiedliche Fehlbildungen, etwa am Kopf, am Körper und an den inneren Organen, fast alle haben einen schweren Herzfehler und sind geistig stark behindert. Oft gibt der Ultraschall erste Hinweise. Die meisten Kinder sterben noch im Mutterleib oder in den ersten Tagen nach der Geburt. Etwa zehn Prozent der lebend Geborenen können bis zu fünf Jahre oder älter werden. Das sind aber in erster Linie Kinder mit leichteren Fehlbildungen.

Trisomie 13 (Pätau-Syndrom)

Diese Kinder haben verschiedene, fast immer schwere körperliche Fehlbildungen, die sich auch im Ultraschallbild zeigen, und eine starke geistige Behinderung. Ihre Lebenserwartung ist ähnlich wie die von Kindern mit einer Trisomie 18.

Kürzungen für "vermeidbare" Kinder?

Die Folgen könnten gravierend sein, sagen sie: Längerfristig minderten weniger Menschen mit Behinderung die Diversität der Gesellschaft. Fehlende Sichtbarkeit und fehlender Umgang mit diesen Menschen könne in der Folge die Offenheit ihnen gegenüber mindern.

Möglich sei zudem, dass sich die Politik irgendwann fragen könnte, warum die Gemeinschaft weiterhin Hilfsmittel und Unterstützung für "vermeidbare" Kinder zahlen solle.

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"Es gibt Politiker, die Inklusion jetzt schon als Ideologieprojekt bezeichnen", sagt Nina Barth und sorgt sich: Was, wenn lebensverlängernde Herz-OPs für Menschen mit Down-Syndrom nicht mehr gezahlt würden?

"Wusstet ihr das vorher?"

Die Tests kosteten nach aktuellen Berechnungen 60 bis 80 Millionen Euro im Jahr, ergänzt Claudia Heinkel. Das Geld könnten Eltern mit Kindern mit Behinderung für ihre alltäglichen Hilfsmittel gut gebrauchen.

Der Kampf um Hilfsmittel, die den Kindern zustünden, sei mitunter "unwürdig" und widerspreche "all dem, was wir als Land mit der UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert haben", sagt sie.

Von unterschiedlichen Erfahrungen mit der Bürokratie wissen Nina Barth und Christoph Frieling zu berichten - und auch die Akzeptanz in der Gesellschaft sei unterschiedlich ausgeprägt. Es gebe viele sehr engagierte Menschen, aber: "Immer wieder kommt die Frage: Wusstet ihr das vorher?", berichtet Nina Barth. "Und dabei schwingt mit: Hätte man das nicht verhindern können?"

Umfangreiches Monitoring gefordert

Experten wie Matthias Fromhardt vom UKGM oder vom Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik fordern nun unter anderem, dass ein unabhängiges Gremium die Testpraxis noch einmal bewerten soll, unter anderem über ein umfangreiches Monitoring, um an weitere belastbare Daten auch zu Abtreibungen zu kommen.

Zudem sei eine umfassende Beratung Schwangerer schon vor dem Test wichtig. Ärztinnen und Ärzte hätten kaum ausreichend Zeit dafür. Und bislang erhältliche Broschüren ließen Fragen offen.

"Kaum jemand ist sich im Klaren darüber, welche Konsequenzen der Test haben kann", fasst Barth zusammen. Deswegen sei eine Beratung durch betroffene Familien denkbar.

Bluttests haben "disruptives Potential"

Für Claudia Heinkel geht es dabei nicht nur um die Inklusion von Menschen mit Down-Syndrom. Sie erinnert daran, "dass 96 Prozent der Behinderungen bei der Geburt oder im Laufe des Lebens entstehen".

Generell müsse außerdem entschieden werden, wie mit solchen Tests weiter verfahren wird, sagt Heinkel. Ihr Leistungsspektrum sei quasi unbegrenzt und etwa auch auf die Suche nach dem Brustkrebs-Gen anwendbar. "Die Tests haben ein disruptives Potenzial", betont sie.

Die Gesellschaft müsse sich dringend fragen: "Wo ziehen wir die Grenze? Und: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?"

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de