Klimawandel und Gesundheit Wenn der Heuschnupfen schon im Januar kommt

Der Klimawandel hat dramatische Folgen - auch für die Gesundheit der Menschen. Die Hausärzte in Hessen müssen auf hohe Temperaturen, schlechte Luft und gefährliche Insekten reagieren. Auch die Praxen wollen ihren CO2-Ausstoß verringern.

Eine Frau misst einer älteren Frau den Blutdruck. Die Szene ist vor blauem Hintergund, bei dem Wetterillustrationen und eine brennenden Weltkugel durchscheinen.
Die Ginsheimer Hausärztin Ulrike Berg misst Blutdruck bei ihrer Patientin Ursula Gebhardt. Bild © hr, hessenschau.de, Adobe Stock
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Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Gesundheit

Sonne
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Der Klimawandel ist bei Hausärztin Ulrike Berg angekommen. Im Wartezimmer ihrer Praxis in Ginsheim-Gustavsburg (Groß-Gerau) hängen Klima-Tipps eingerahmt an der Wand. Im Flur ist eine ganze Galerie von Zeichnungen nur zum Thema Klimawandel zu sehen.

Die veränderten Umwelteinflüsse beschäftigen nicht nur die Ärztin - sondern auch ihre Patienten. Pollen fliegen fast das ganze Jahr. "Wir sehen Menschen, die plötzlich mit ihren Allergien im Januar hier aufschlagen", sagt Berg. Anderes Beispiel: Im Sommer nehmen Hautreizungen durch die Bisse der Kriebelmücke zu.

Tigermücke, Hitzewellen, Klimaangst

"Wenn ich fünf Jahre zurückdenke, wusste ich gar nicht, dass es das gibt", sagt die Ärztin über die Kriebelmücke. Dabei handelt es sich um aus Skandinavien eingewanderten Insekten. Bekannter ist die Asiatische Tigermücke: Sie wurde 2018 erstmals in Hessen nachgewiesen und kann Krankheitserreger wie das Dengue-, das Chikungunya- und das Zika-Virus übertragen.

Auch Hitzschläge nehmen zu. Lange Phasen mit Temperaturen von 35 Grad und mehr hätten in den vergangenen zehn Jahren zugenommen, sagt Berg: "Das ist besonders belastend für den Kreislauf und trifft vor allen Dingen Menschen, die viele Vorerkrankungen haben."

Eine Frau im weißen Kittel und Stethoskop um den Hals blickt in die Kamera.
Hausärztin Pirkko Weise behandelt immer mehr Patienten mit Sorgen um die Zukunft. Bild © Stefanie Döll

Die Ängste und Sorgen der Patienten rund um den Klimawandel seien sehr beratungsintensiv, sagt auch Pirkko Weise, eine Hausärztin in Lollar (Gießen). Psychische Erkrankungen nähmen zu - als Folge der vielen aktuellen Krisen, wie Weise berichtet: "Viele junge Erwachsene haben Panik-Probleme, weil sie sich um ihre Zukunft sorgen."

Mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Bis zu zehn Prozent mehr Patienten kämen aufgrund der Folgen des Klimawandels in die Kliniken, vermutet Professor David Leistner. Belastbare längerfristige Daten gebe es dazu aber noch nicht, schränkt der Direktor der Kardiologie am Uniklinikum Frankfurt ein: "Vor zehn Jahren hat man sich noch nicht für den Einfluss von Umweltfaktoren oder vom Klimawandel interessiert." Das habe sich mittlerweile geändert.

Die veränderten Umwelteinflüsse seien jetzt ein bekanntes Problem. "Bei Feinstaub und Fluglärm weiß man bereits sehr genau, dass sie einen Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System haben", sagt Leistner. Bei der Untersuchung der gesundheitlichen Folgen des Klimawandels stehe man noch am Anfang.

Belastung für ältere Patienten

Auch auf die Organisation ihrer Praxis wirke sich die Erderwärmung aus, sagt Hausärztin Weise. Weil die Hitzetage zunehmen, heize sich auch das Wartezimmer im Sommer immer mehr auf. Das kann vor allem für ältere Patienten gefährlich werden.

"Beim Blutabnehmen kippen die öfter um", sagt Weise. Also versuche sich die Praxis anzupassen. Eine stromfressende Klimaanlage im Wartezimmer würde allerdings wieder das Klima belasten. Eine mögliche Lösung sind spezielle Vorhänge, die das Sonnenlicht nicht hineinlassen. Oder dass man älteren Patienten bevorzugt Termine am frühen Morgen oder am späteren Nachmittag gibt, damit sie nicht während der heißeren Mittagsstunden los müssten.

Weitere Informationen

Weltklimakonferenz in Dubai

Die 28. Weltklimakonferenz (COP) begann am 30. November in Dubai. Zwei Wochen lang debattieren Vertreter von Staaten und Nichtregierungsorganisationen sowie Forscher über Wege zu mehr Klimaschutz. Konsens unter Wissenschaftlern ist, dass sich alle deutlich mehr anstrengen müssen. Die Welt steuert auf eine Erwärmung von 2,9 Grad über dem Wert vor der Industrialisierung zu - als gerade noch verträglich gelten 1,5 Grad, die im Pariser Klimaschutzabkommen ja auch vereinbart wurden.
Erstmals bei einer COP findet ein "Health Day" statt. Die Veranstaltung am 3. Dezember soll unter anderem laut Weltgesundheitsorganisation WHO Gesundheitsargumente für den Klimaschutz fördern.

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Fast zwei Drittel der Treibhausgase in einer Praxis werden nach Angaben der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit durch die Verabreichung von Medikamenten freigesetzt.

CO2-Ausstoß durch Medikamentenverabreichung

In ihrer Praxis in Ginsheim-Gustavsburg versucht Hausärztin Berg deswegen Pulver-Inhalatoren zu verwenden statt einem Dosier-Aerosol, wie ihn alle Asthmatiker kennen. "So ein Ding entspricht dem CO2-Ausstoß einer 280 Kilometer langen Autofahrt", erklärt Berg. Ein Pulver-Inhalator entspreche acht Kilometern.

Ob der Klimawandel noch zu stoppen ist oder nicht - in ihrer Praxis in Ginsheim-Gustavsburg möchte Ulrike Berg noch alles versuchen, den Planeten zu retten. Oder zumindest einen kleinen Beitrag dazu zu leisten. Auch wenn es deswegen Streitgespräche mit Patienten in der Sprechstunde gibt.

"Ich werde manchmal ein bisschen unangenehm, weil ich denke, die fünfte Kreuzfahrt für jemanden, der seine Enkelkinder aufwachsen sehen möchte, muss nicht sein", sagt Berg. Manche Patienten kämen deswegen nicht mehr. 

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 01.12.2023, 19.30 Uhr

Redaktion: Fabian Weidenhausen, Stephan Loichinger

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Quelle: Stephan Hübner, Lisa Muckelberg, hessenschau.de