Wird die Vogelgrippe zur Gefahr für Menschen? "Das Risiko ist gering, aber nicht null"

In Frankfurt ist bei einer Gans die Vogelgrippe H5N1 nachgewiesen worden, in den USA erstmals ein Mensch daran gestorben. Der Marburger Virologe Stephan Becker erklärt, ob wir uns in Hessen Sorgen machen müssen.

Kanadagänse am Ufer
Kanadagänse am Ufer Bild © Imago Images
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Hochansteckende Geflügelpest erreicht Frankfurt

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Die Vogelgrippe hat Frankfurt erreicht, die hochansteckende Viruserkrankung wurde bei einer Kanadagans in Frankfurt-Eschersheim in der Nähe der Nidda festgestellt. Stephan Becker, Virologe und Leiter des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität Marburg, erklärt, ob das Virus auch für Menschen gefährlich ist.

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Das Gespräch führte Stephan Reich

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hessenschau.de: Stephan Becker, in Frankfurt ist bei einer Kanadagans die Vogelgrippe H5N1 nachgewiesen worden. Praktisch zeitgleich gab es Berichte über den ersten H5N1-Todesfall in den USA. Müssen wir uns in Hessen Sorgen machen?

Stephan Becker: Nein. Die Vogelgrippe beschäftigt uns seit 1997. Damals stellte sich heraus, dass Menschen an H5N1 erkranken können, wenn sie in engen Kontakt mit erkrankten Vögeln kommen. Es gibt einige Fachleute, die seither vermuten, dass H5N1 eine Pandemie auslösen kann. Bislang ist das aber nicht passiert.

Die Schwelle, die das Virus überschreiten muss, um Menschen so zu infizieren, dass diese auch andere Menschen infizieren können, scheint also sehr hoch zu sein. Seit 2003 haben sich nur etwa 950 Menschen infiziert. Davon ist die Hälfte verstorben.

Bedenkt man, wie viele Millionen Vögel in dieser Zeit gestorben sind und es häufigen Kontakt zwischen Menschen und krankem Geflügel gab, versteht man, dass die Übertragbarkeit von H5N1 auf den Menschen nicht sehr hoch ist.

hessenschau.de: Aber es gibt eine neue H5N1-Dynamik, oder?

Becker: Ja. Seit etwa 2020 gibt es einen riesigen Ausbruch unter Vögeln, insbesondere in den USA. Und dort ist das Virus auch auf Kühe übergegangen. Dass es H5N1 geglückt ist, sich in einem Säugetier zu vermehren und von Säugetier zu Säugetier weitergegeben wird, ist kein gutes Zeichen.

Bei Kühen vermehrt sich das Virus in den Eutern, wahrscheinlich wird es beim Melken über die Melkmaschine zur nächsten Kuh weitergegeben. Aber eine Melkmaschine spielt für eine menschliche Übertragung natürlich keine große Rolle.

Virologe Stephan Becker
Virologe Stephan Becker Bild © picture-alliance/dpa

hessenschau.de: Wie ist die Dynamik hierzulande?

Becker: Hier kommt das Virus nur selten vor, wie eben in der Kanadagans in Frankfurt. Daher halte ich das Risiko für Deutschland und Hessen für gering. In den USA ist das Risiko schon etwas größer, eben weil sich das Virus an Säugetiere angepasst hat. Besorgniserregend ist vor allem: Je mehr Virus unterwegs ist, desto größer ist die Gefahr, dass es sich irgendwann auch so verändert, dass es sich gut an den Menschen anpasst.

hessenschau.de: Wie gefährlich ist H5N1 für den Menschen?

Becker: Ich glaube, das hängt davon ab, wie viel Virus man abbekommt und auch wie man es abbekommt. Der verstorbene Patient in den USA hatte das Virus von einem Wildvogel, in den Milchbetrieben haben sich dutzende Arbeiter an den Kühen angesteckt. Bei vielen der Farmarbeiter verursachte die Infektion hauptsächlich eine Bindehautentzündung, selten die sonst üblichen respiratorischen Symptome.

Es kann also sein, dass sie das Virus von den Melkmaschinen an den Fingern hatten und sich damit die Augen rieben. Es kann auch sein, dass die Menge des Virus nicht so hoch war.

hessenschau.de: Sind auch Kühe in Deutschland betroffen?

Becker: Das Friedrich-Löffler-Institut, das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit, hat Milchkühe aus Deutschland untersucht und bei keinem Tier irgendwelche Anzeichen für eine Infektion gefunden. Das ist schon einmal eine gute Nachricht. Das Problem bei Wildvögeln wie der Kanadagans ist, dass sie auch häufiger Kontakt zu Zuchtgeflügel haben, das sich dabei infiziert, etwa in Freigehegen.

hessenschau.de: Was passiert, wenn Zuchtgeflügel erkrankt?

Becker: Diese gezüchteten Tiere sind anfälliger für Viren als Wildvögel. Es kann also sein, dass die Tiere bei einem erhöhten Infektionsgeschehen im Stall bleiben müssen. Haben sie sich infiziert, werden die Tiere oft sehr krank und sterben recht schnell. Dann muss man sehr vorsichtig sein. Da gibt es dann auch Vorschriften im Umgang, die verhindern sollen, dass sich die Arbeiter infizieren und sich das Virus verbreitet. Etwa Handschuhe, Atemschutz und Schutzbrille.

hessenschau.de: Aber insgesamt ist das Risiko für Menschen in Hessen gering?

Becker: Ja, das Risiko einer Ansteckung ist gering. Fassen Sie keine toten Vögel an, sollten Sie welche finden. Und wenn Sie Haustiere haben, beispielsweise Katzen, die möglicherweise auch in Kontakt mit Vögeln sein könnten, und Sie merken, dass sie krank sind, dann lassen Sie das Tier schnell vom Tierarzt überprüfen. Und seien Sie bis dahin ein wenig vorsichtiger beim engen Kontakt mit dem Tier.

Aber trotzdem müssen wir das Virus natürlich ganz genau beobachten. Die Chance, dass es sich an den Menschen anpasst und dann auch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden kann, ist nicht null. Wir haben zwar noch nie gesehen, dass das passiert. Allerdings hatten wir auch noch nie so viel Virus im Umlauf. Und wir hatten auch noch nie eine Ausbreitung in Kuhherden. Das Risiko wird also größer.

hessenschau.de: Sehen Sie die Gefahr einer Pandemie?

Becker: Auch hier: Die Gefahr ist gering, sie ist aber auch nicht null. Es fehlt die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch, die sehen wir noch nicht. Und es gibt auch andere Faktoren, die mich gelassener auf das Geschehen blicken lassen als etwa bei Corona.

hessenschau.de: Welche denn?

Becker: Erstens gibt es Hinweise darauf, dass eine Immunantwort auf unsere normale Grippe auch dabei hilft, eine schwere Infektion von H5N1 zu überstehen. Zweitens gibt es Medikamente gegen die Vogelgrippe. Die wirken besonders gut, wenn man sie früh in der Infektion einnimmt. Und drittens gibt es auch Impfstoffe. Die werden von der Bundesregierung momentan zwar noch nicht bevorratet, man meint aber, sie im Falle eines Falles schnell besorgen zu können. Deswegen sieht die Situation günstiger aus als bei Corona, als wir zu Beginn praktisch nichts hatten.

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Quelle: hessenschau.de