Wohin mit den Geflüchteten? Landkreis Gießen: Mit Holzhäusern gegen den Wohnungsmangel
Vielerorts in Hessen fehlt bezahlbarer Wohnraum, gleichzeitig müssen jede Woche hunderte Geflüchtete untergebracht werden. Der Landkreis Gießen geht nun beide Probleme gleichzeitig an: Er baut nachhaltige Holzhäuser – erst als Gemeinschaftsunterkunft, später als günstigen Wohnraum.
Photovoltaik auf dem Dach, Wärmepumpe vor der Tür, Spielplatz im Hinterhof – und das alles in zentraler Lage mitten im Ort: Das neue Mehrfamilienhaus in der Bahnhofsstraße von Allendorf/Lumda (Gießen) dürfte für viele Wohnungssuchende in der Region durchaus attraktiv klingen.
Bis das Haus auf dem regulären Wohnungsmarkt landet, wird es aber noch ein paar Jahre dauern. Denn: In zwei bis drei Wochen werden hier erstmal bis zu fünfzig Geflüchtete einziehen, zum Beispiel aus Afghanistan, Syrien und der Türkei.
Von einem Provisorium ins nächste
Die zunehmenden Flüchtlingszahlen der vergangenen Jahre stellen viele Kommunen und Landkreise vor Herausforderungen. Vielerorts hangeln sich die Verantwortlichen von einem Provisorium ins nächste, etwa mit Container-Dörfern, Leichtbauhallen oder angemieteten alten Hotels.
Immer wieder hört man von Verantwortlichen auch: Es gebe auf dem insgesamt angespannten Wohnungsmarkt für die langfristige Unterbringung von Menschen schlichtweg keine Kapazitäten mehr.
Auch im Landkreis Gießen kommen jede Woche Menschen an, die aus der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung zugewiesen werden. Derzeit sind es laut Landkreis etwa 15 Menschen pro Woche, phasenweise waren es aber auch schon deutlich mehr. Der Landkreis geht jetzt beide Probleme auf einen Schlag an: den allgemeinen Wohnungsmangel und die Unterbringung von Geflüchteten.
Holzhaus innerhalb von sechs Monaten gebaut
Dafür baut der Kreis in drei Gemeinden mehrstöckige Wohnhäuser in Holzrahmenbauweise, die erst einige Jahre als Gemeinschaftsunterkunft dienen sollen. Danach sollen sie zu regulären Mietwohnungen umgewandelt werden.
In Allendorf wählte der Kreis dafür eine Fläche, die 2016 schon mal für ein Containerdorf genutzt wurde und der Gemeinde gehört. Nach acht Jahren Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft übernimmt dann die Kommune das Gebäude und wandelt es zu bezahlbarem Wohnraum um.
Kreis: Teurer, aber nachhaltiger
Kostenpunkt für den Bau seien 3,1 Millionen Euro gewesen, erklärt Baudezernent Christopher Lipp (CDU). Das sei zwar insgesamt teurer als etwa ein Containerdorf, aber aus Sicht des Landkreises sei die Investition nachhaltiger, weil es für die Häuser eine klare, langfristige Folgenutzung gebe.
Nach dem Vorbild Allendorf baut der Landkreis derzeit auch in Hungen und Lich ähnliche Unterkünfte.
Bürgermeister: Große Nachfrage nach Wohnungen
Innerhalb von sechs Monaten wurde das zweistöckige Wohnhaus in Allendorf errichtet. Bei den Materialien habe man Wert auf regionale, nachwachsende Rohstoffe gelegt, erklärt Baudezernent Lipp.
"Die Folgenutzung als regulärer Wohnraum haben wir im Bau mit eingeplant", so Lipp. Insgesamt sollen dann zwölf Apartments mit jeweils rund fünfzig Quadratmetern Grundfläche entstehen.
Es müssten dafür nur wenige Umbaumaßnahmen erfolgen. So kann etwa der Zuschnitt der Wohneinheiten leicht geändert werden, indem jetzige Gemeinschaftsräume und Mehrbettzimmer zusammengelegt werden. Auch Anschlüsse für weitere Küchen sind bereits gelegt. Derzeit gibt es nur eine große Gemeinschaftsküche.
Besonderheit: Barrierefreie Gemeinschaftsunterkunft
Der Wohnraum wird laut Bürgermeister Sebastian Schwarz (SPD) in Allendorf dringend gebraucht. Momentan gebe es im Ort vor allem Einfamilienhäuser. Aber gerade junge Menschen und Senioren würden zunehmend kleinere, bezahlbare Wohnungen suchen. "Wir gehen davon aus, dass wir hier eine große Nachfrage haben", so Schwarz.
Generell gilt: Höchsten Komfort dürfen zukünftige Bewohner wohl nicht erwarten. Für eine Flüchtlingsunterkunft liegt das Haus aber deutlich über dem gesetzlichen Mindeststandard, wie Norbert Flach vom Sozialen Dienst des Landkreises Gießen betont.
Anders als in vielen anderen Gemeinschaftsunterkünften hätten alle Zimmer ein eigenes Bad, zudem seien die Wohneinheiten größtenteils barrierefrei. "Auch im Geflüchtetenbereich begegnen uns die Themen Krankheit und Behinderung", so Flach. "Wir haben erheblichen Bedarf, besonderen körperlichen Einschränkungen auf baulicher Ebene gerecht zu werden."
Allendorf bereitet sich vor
Wenn in wenigen Wochen die ersten Geflüchteten hier einziehen, gehen Bürgermeister Schwarz und Frank Ide (Freie Wähler), Sozialdezernent des Landkreises, davon aus: Im 4.000-Einwohner-Ort Allendorf ist man gut dafür aufgestellt.
Aufgrund der Nähe zum Kinderspielplatz wolle man vor allem Familien unterbringen, meint Ide. In kleineren, dezentralen Unterkünften gelinge die Integration erfahrungsgemäß leichter als in Gemeinschaftsunterkünften für 200 Menschen. "Wir sind hier im ländlichen Raum, ich glaube, da kann Integration noch sehr gut funktionieren." Dabei soll auch der Soziale Dienst des Kreises helfen. Er hat in der Unterkunft ein Büro, das regelmäßig besetzt ist.
Kreis rechnet mit steigenden Zahlen
Auch Bürgermeister Schwarz meint: In Allendorf gebe es zwar bereits zwei kleinere Gemeinschaftsunterkünfte, aber man habe sich trotzdem auf die nun deutlich steigenden Zahlen vorbereitet.
Im Vorfeld habe sich ein Arbeitskreis für die Flüchtlingshilfe gegründet und beispielsweise Flyer gestaltet. Es gebe im Ort auch bereits Ehrenamtliche, die sich engagieren wollen, meint er. Derzeit werde außerdem zusammengetragen, welche Vereinsangebote und Fördermöglichkeiten es beispielsweise für Kinder- und Jugendliche gibt. "Wir wollen hier eine aktive Integration leben", so Schwarz.
Die Häuser in Hungen und Lich sollen spätestens zum Jahresende fertig werden. Dann werden sie wohl auch dringend gebraucht: Spätestens im Herbst rechnet der Landkreis Gießen nämlich wieder mit steigenden Flüchtlingszahlen.
Sendung: hr-iNFO, 06.05.2024, 16 Uhr
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