Mit der Hilfe lokaler Landwirte Würmer, Fliegen, Schaben: In Gießen soll eine riesige Insektenzucht entstehen
Think big! Forscher des Fraunhofer-Instituts wollen mit dem Unternehmen Entosolutions in Gießen eine Insektenzucht im ganz großen Stil schaffen. Das Ziel: ein "mittelhessisches Silicon Valley für Insekten-Biotechnologie". Dafür braucht es die Hilfe der Bauern vor Ort.
Gießen entwickelt sich weiter zu einem Zentrum der Insekten-Biotechnologie. Wie das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) mitteilt, siedelt sich dort das junge Unternehmen Entosolutions an.
Das Unternehmen will in Gießen die industrielle Zucht und Verwertung von Mehlwürmern, Soldatenfliegen und Schaben vorantreiben. Um diese wiederum in verschiedenen Gebieten zum Einsatz zu bringen.
Auf einer Fläche hinter dem Fraunhofer-Institut soll dafür eine Halle mit rund 10.000 Quadratmetern Grundfläche entstehen. Das Konzept sieht außerdem die Einbindung von lokalen Landwirten als künftige Insektenfarmer vor.
Kosmetik, Auoindustrie, Baustoffe
Andreas Vilcinskas ist Professor an der Justus-Liebig-Universität und zudem Leiter des IME. Er erklärt: Die Ansiedlung sei von strategischer Bedeutung für die Region. "Sie stellt einen wichtigen Schritt hin zum Aufbau eines mittelhessischen 'Silicon Valley' für Insektentechnologien dar." Das Ziel sei, Insekten "im ganz großen Maßstab" zu züchten - und das nachhaltig.
Die Insekten sollen vor allem als alternative Proteinquelle für Futter- und Lebensmittel dienen. Aber längst nicht nur das, sagt der Professor. "Von den Tieren soll alles verwertet werden."
Aus den Lipiden könne man beispielsweise Hochleistungsschmierstoffe erstellen, aus dem Chitin der Panzer Inhaltsstoffe für Kosmetika.
"Und selbst das, was bei der Zucht übrig bleibt – also die Insektenkacke, wenn man so will – wird bei uns verwertet", so Vilcinskas. Diesen sogenannten Fraß könne man beispielsweise zu Biodünger mit hervorragenden Eigenschaften machen oder ihn durch Pyrolyse in Kohle verwandeln, mit der man nachhaltige Baustoffe herstellen könne.
10.000 Tonnen Insektenlarven jährlich
Laut dem bayrischen Unternehmen Entosolutions soll am Standort Gießen ein sogenanntes Technikum entstehen, in dem gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut entwickelt und geforscht werden soll. Außerdem soll ein sogenannter Ento-Hub gebaut werden, in dem bis zu 10.000 Tonnen Insektenlarven pro Jahr gezüchtet werden können.
Und weil das eine ganze Menge ist, soll die Mast der Insekten dann auch dezentral vonstattengehen, wie Firmen-Mitgründer Andreas Köck erklärt. Das Ziel sei eine mit der Forschung verbundene Kreislaufwirtschaft, die lokale Landwirtschaftsbetriebe als Insektenfarmer einbeziehen soll. "Wir verbinden eine industrielle Produktionsstruktur mit Rohstofflieferanten aus der Region, die auch als Mastbetriebe fungieren", so Köck.
Kreislaufwirtschaft mit lokalen Insektenfarmern
Die Idee laut Entosolutions: Im Gießener Hub werden die Larven gezüchtet. Dann werden sie an bestehende Landwirtschaftsbetriebe in der Umgebung geliefert, wo möglicherweise bisher Schweine oder Geflügel gezüchtet wurden.
Dort werden die Junglarven dann 42 Tage lang gemästet – mit eigenen Rohstoffen der Landwirte. Das könnte etwa Weizenkleie sein, die bei der Mehlproduktion übrig geblieben ist.
Sind die Insekten gemästet, werden sie zurück zum Hub nach Gießen gebracht und dort weiterverarbeitet. Das daraus entstehende proteinreiche Tierfutter können die Landwirte wiederum für ihr Geflügel verwenden.
Vorteil zu Riesenfabriken
Der Vorteil dieses dezentralen Mastkonzepts ist laut Köck: Wenn Landwirte nur für sich im kleinen Maßstab Insekten züchten und verarbeiten, reiche das meist nicht, um damit entsprechende Mengen an Tierfutter zu produzieren, sodass es sich für sie lohnt.
Eine reine Fabrikproduktion auf der anderen Seite, wie es sie etwa bereits im großen Stil in Frankreich gibt, sei sehr teuer und zudem anfällig für Virusinfektionen. "Wir verbinden hier erstmals beides miteinander", so Köck. Durch die dezentrale Produktion könne man Virusrisiken im Vergleich zu riesigen Fabriken minimieren.
Ziel: Hubs in allen Bundesländern
Gießen ist laut Entosolutions bisher der erste Standort, an dem das Unternehmen sein Hub-Konzept in die Praxis umsetzen will. Weitere Planungen gebe es noch in Baden-Württemberg. Ziel sei, in den kommenden fünf Jahren Hubs in allen Bundesländern zu etablieren.
Die Planung für das neue Gebäude läuft derzeit noch, der Spatenstich soll 2026 erfolgen. Die ersten Zuchten sollen aber bereits vorher in Gewächshäusern und Containern des Fraunhofer-Instituts beginnen.
Ein großer Wunsch von Entosolutions: dass bereits das Gebäude mit Baustoff-Zusätzen aus Insektenfraß gebaut werden kann.