Tag der seltenen Krankheiten Sechs Jahre wartete Emmas Familie auf eine Diagnose
Weltweit gibt es nur 400 registrierte Fälle des Xia-Gibbs-Syndroms. Die 13-jährige Emma Schiener aus dem südhessischen Groß-Umstadt ist einer davon. Dass die Krankheit so selten ist, macht vieles kompliziert – bis zur Diagnose dauerte es sechs Jahre.
Emma Schiener zieht neben der Terrassentür im hellen Esszimmer ihre weißen Sneaker an. Nur beim Klettverschluss hilft Mutter Kerstin ein bisschen. Danach geht die 13-Jährige raus, mit vorsichtigen Schritten die Treppe herunter.
Emma hat das Xia-Gibbs-Syndrom, die Folge eines extrem seltenen Gen-Defekts. Sie spricht wenig, antwortet aber auf Fragen. Zu den weiteren Hauptsymptomen gehören unter anderem eine eingeschränkte motorische Entwicklung, epileptische Anfälle oder Verhaltensauffälligkeiten.
Vater Andreas erinnert sich, wie es zwei Tage nach der Geburt ihrer Tochter anfing: "Sie wurde mit einem blauen Nasen-Mund-Dreieck auf die Intensivstation nach Darmstadt verlegt. Da haben wir geahnt: Da stimmt was nicht." Der Beginn einer langen Reise, bis die Ursachen geklärt werden konnten.
"Wir haben nichts gefunden"
Jörg Klepper ist Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin im Klinikum Aschaffenburg und Emmas behandelnder Arzt, seit sie 1,5 Jahre alt war. "Wir haben dann umfangreiche Stoffwechseldiagnostik gemacht, oder Kernspins, haben aber nichts gefunden." Sechs Jahre dauert es, bis Jörg Klepper mit einem Team von Genetikern eine Antwort findet: Der Grund für Emmas Mehrfachbehinderung ist das Xia-Gibbs-Syndrom.
Der Arzt informiert sofort die Eltern. Kerstin Schiener weiß noch, wie sie 2016 auf die Diagnose reagierte: "Ich war froh, dass wir endlich was Greifbares hatten. Es war erleichternd, aber auch seltsam, weil man mit dem Syndrom nicht wirklich was anfangen konnte."
Es kommt häufig vor, dass die Diagnose bei seltenen Krankheiten länger dauert oder komplett ausbleibt. Es gibt wenig Forschung, wenig Erfahrungswerte unter Medizinern. Dabei ist es wichtig, die Krankheit zu identifizieren, sagt Jörg Klepper: "Auch wenn wir vielleicht jetzt noch nicht viel von dieser Krankheit verstehen – vielleicht ist die Medizin in fünf Jahren schon viel weiter." Und auch Mutter Kerstin ist dankbar: "Die Diagnose macht es mir viel einfacher bei Krankenkassen, Behören und Ämtern."
Keine festgelegte Therapie
Aktuell ist Emmas Gendefekt nicht heilbar. Jörg Klepper und Familie Schiener versuchen, Emma Therapien zu organisieren, die ein möglichst selbstständiges Leben ermöglichen sollen. Kerstin Schiener zählt auf: "Ergotherapie, Physiotherapie, Rehasport, seit kurzem auch Rehatanzen, und noch vieles mehr."
Vater Andreas ergänzt: "Wir probieren viel aus, um herauszufinden, was ihr gut tut." Eine festgelegte Therapie gebe es bei Xia-Gibbs nicht, die Forschungslage sei zu dünn, bestätigt Jörg Klepper.
Das sei in seinen Augen ein Problem bei vielen seltenen Krankheiten: "Emma hat das Recht auf die bestmögliche Versorgung, auch mit Medikamenten. Aber bei seltenen Krankheiten sieht die Pharmaindustrie nur einen kleinen Absatzmarkt." Studien werden selten bewilligt, Medikamente sind teuer.
"Wir sind nicht allein"
Unter anderem, um die Krankheit bekannter zu machen, haben Andreas und Kerstin Schiener einen Verein gegründet. Er richtet sich an betroffene Familien und soll der Vernetzung zwischen Eltern und Ärztinnen und Ärzten dienen, sagt Andreas Schiener: "Damit wir mehr medizinische Experten finden, die dann wiederum vielleicht aus ihren Erfahrungen berichten können, welche Therapien besonders helfen."
Die Hoffnung: Je mehr Menschen von Emmas Krankheit erfahren und sich zu Xia-Gibbs austauschen, desto besser können Betroffene in Zukunft versorgt werden.
Daneben gehe es natürlich auch um den Austausch zwischen den Familien zum alltäglichen Umgang mit der Krankheit. Andreas Schiener habe der sehr gut getan: "Wir sind nicht allein. Wir sind mit derselben Erkrankung unterwegs und arbeiten jetzt gemeinsam am selben Ziel."
Redaktion: Caroline Wornath
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 29.02.2024, 19.30 Uhr