"Kapazitäten nahezu erschöpft" Zunahme von Flüchtlingen - Kommunen fordern mehr Hilfen
Die Unterbringungssituation von Geflüchteten ist in vielen Städten und Gemeinden angespannt. Die Kommunen bemängeln fehlende Hilfe durch Land und Bund. Alleine in die Wetterau kamen in einem Jahr neunmal mehr Geflüchtete.
Mit der steigenden Zahl von Flüchtlingen bauen die hessischen Kommunen ihre Unterbringungskapazitäten aus und beklagen teils mangelnde Unterstützung von Bund und Land.
Seit Jahresbeginn wurden nach Angaben des Sozialministeriums mehr als 13.500 Asylsuchende über die Erstaufnahme in Hessen registriert. Sie werden bundesweit über den "Königsteiner Schlüssel" auf die Länder verteilt. Zudem wurden seit Frühjahr 2022 rund 73.100 Geflüchtete aus der Ukraine durch die Zuweisungsstelle am Regierungspräsidium Darmstadt den Landkreisen und kreisfreien Städten zugewiesen.
Nach jüngsten Angaben der EU-Kommissarin für Migration und Inneres, Ylva Johansson, sind auf der sogenannten Balkanroute dreimal so viele Menschen unterwegs wie im Vorjahr. Die Bundespolizei registrierte bis Ende September an den Grenzen fast 58.000 unerlaubte Einreisen - mit stark steigender Tendenz. Allein im September waren es nach vorläufigen Zahlen 12.720 Fälle, gut doppelt so viele wie ein Jahr zuvor.
Land erwartet Mitverantwortung vom Bund
Im Bereich der Erstaufnahme Hessens in Gießen sind dem Ministerium zufolge von den rund 8.000 zur Verfügung stehenden Plätzen 7.251 belegt. Zudem seien in der Notunterkunft in Alsfeld (Vogelsberg) von den 800 zur Verfügung stehenden Plätzen rund 280 belegt. Die Landesregierung stehe im ständigen Austausch mit Kommunen und kommunalen Spitzenverbänden und sei sich daher bewusst, dass die Unterbringungssituation in den Kommunen infolge der Aufnahme großer Zahlen von sowohl ukrainischen Kriegsvertriebenen als auch Asylbewerbern hessenweit sehr angespannt sei, erklärte das Sozialministerium.
Die Landesregierung erwarte, dass der Bund seiner Mitverantwortung bei der Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe nachkomme. Derzeit fänden Gespräche zwischen Bund und den Ländern zur konkreten Ausgestaltung und Höhe statt.
Flüchtlingsbeauftragte stellt Unterstützung in Aussicht
Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), stellt den Kommunen weitere finanzielle Unterstützung zur Flüchtlingsunterbringung in Aussicht. Sie sei sehr zuversichtlich, dass beim Treffen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Regierungschefinnen und -chefs der Bundesländer am Mittwoch eine gute Lösung gefunden werde, sagte Alabali-Radovan am Dienstag im Morgenmagazin des ZDF. "Deutschland ist gefordert, aber nicht überfordert", sagte sie.
Die SPD-Politikerin unterstrich, dass der Bund den Städten und Gemeinden bereits zwei Milliarden Euro zur Versorgung von Menschen aus der Ukraine zur Verfügung gestellt und deren Grundsicherungsleistungen übernommen habe.
Wetterau: Zuzug von Geflüchteten ums Neunfache angestiegen
In einem offenen Brief der Stadtoberhäupter und der Kreisspitze im Wetteraukreis an die Landes- und Bundesregierung heißt es: "Sorgen Sie mit der Übernahme der finanziellen Aufwendungen für Klarheit in der kommunalen Haushaltsplanung." Und weiter: "Kommunizieren Sie auf Augenhöhe mit den Kommunen und machen die aktuelle Flüchtlingssituation zur Chefsache."
Der reine Zuzug von Geflüchteten in den Kreis sei innerhalb eines Jahres von 2021 auf 2022 um das Neunfache angestiegen. "Kamen 2021 insgesamt 590 Geflüchtete im Wetteraukreis an, werden es nach den aktuellen Prognosen im Jahr 2022 mehr als 5.300 sein."
Wiesbaden: Pauschale bei weitem nicht ausreichend
Nach Einschätzung der Stadt Wiesbaden ist die vom Land Hessen gewährte Pauschale für die Unterbringung von Menschen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 1.066 Euro bei weitem nicht ausreichend. Das sei bereits vor der Inflation der Fall gewesen, habe sich seitdem aber nochmals verschärft. Bei der Sozialhilfe für Vertriebene, wie sie für Menschen aus der Ukraine seit dem 1. Juni gelte, trage der Bund die existenzsichernden Leistungen, 40 Prozent der Unterbringungskosten aber die Kommunen.
In der Landeshauptstadt sind seit März 4.100 Menschen aus der Ukraine registriert. Noch in der Stadt seien etwa 3.500 Ukrainerinnen und Ukrainer. Hinzu kommen nach Angaben der Stadt seit März 350 Personen aus anderen Herkunftsländern, die Wiesbaden aus der Erstaufnahme des Landes Hessen zugewiesen wurden oder die als Spätaussiedler oder afghanische Ortskräfte kamen.
Lange Aufenthalte in Notunterkünften in Frankfurt
Auch in Frankfurt ist nach Angaben der Stadt die Pauschale nicht kostendeckend. Der Zuzug von Menschen aus der Ukraine habe nur mit Hotelkapazitäten und Turnhallen als Notunterkünften bewältigt werden können. "Wie bekannt, stellt sich die Wohnungs- und Immobilienmarktlage in Frankfurt seit Jahren als sehr angespannt dar." Das habe auch Auswirkungen auf die Unterbringung Geflüchteter. So komme es zu langen Aufenthalten in Not- und Übergangsunterkünften, weil die Anschlussversorgung mit Wohnraum äußerst schwierig sei.
Das Sozialamt in Kassel kritisierte: "Es gibt nach wie vor noch keinerlei Finanzierungsregelungen, so dass bisher die Kommunen die Hauptlast tragen." Die Stadt Darmstadt teilte mit, für bestimmte Personenkreise könnten Erstattungen gegenüber Land und Bund geltend gemacht werden. Die seien aber nicht kostendeckend. "Für die Personalaufwendungen besteht keine Kostenerstattungsmöglichkeit - diese gehen voll zu Lasten der Kommune."
Kapazitäten im Kreis Groß-Gerau nahezu erschöpft
Die Stadt nutze derzeit 48 Unterkünfte mit insgesamt 2.100 Plätzen. "Kapazitäten sind noch vorhanden und müssen im Hinblick auf den Winter sowie in Erwartung steigender Flüchtlingszahlen noch ausgebaut werden", teilte das Sozialamt mit. Der Kreis Groß-Gerau erklärte: "Die Kapazitäten sind nahezu erschöpft."
Die Stadt Marburg teilte mit: "Die personellen Kapazitäten für die Betreuung von Geflüchteten und Kriegsvertriebenen in Marburg sind ausgeschöpft. Wenn weitere Gemeinschaftsunterkünfte eingerichtet werden, wird auch mehr Personal benötigt." Dies berichten auch andere Kommunen.
Sendung: hr-iNFO, 01.11.2022, 7 Uhr
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