Stadt beklagt zunehmende Aggressionen "Die Hemmungen fallen immer weiter" - Rüsselsheim macht Rathaus dicht

Öl-Attacke auf das Ordnungsamt, eine mit Kot beschmierte Eingangstür und immer mehr Beleidigungen gegen Mitarbeiter: Rüsselsheims Oberbürgermeister Burghardt beklagt eine zunehmend aggressive Stimmung in der Bevölkerung. Aus Sicherheitsgründen hat er den Zugang zum Rathaus nun eingeschränkt.

Der Eingangsbereich des Rüsselsheimer Ordnungsamts ist mit Altöl beschmiert worden.
Der Eingangsbereich des Rüsselsheimer Ordnungsamts ist mit Altöl beschmiert worden. Bild © Stadt Rüsselsheim am Main

Der ganze Eingangsbereich des denkmalgeschützten Palais Verna in Rüsselsheim war mit Öl beschmiert. Die Tür, die Wände, die Treppe – das Öl - vermutlich Altöl - war überall. Es habe richtig "wild" ausgesehen, was sich da vergangene Woche vor Oberbürgermeister Patrick Burghardt (CDU) und den Mitarbeitenden des im Palais ansässigen Ordnungsamts ausbreitete.

"Da hat irgendjemand offenbar seinen Frust rausgelassen", sagt Burghardt. Frust über einen Strafzettel vielleicht, oder irgendeine andere Entscheidung des Ordnungsamts. Das weiß niemand. Auch wer das Altöl gegen das Eingangsportal geschüttet hat, ist nicht bekannt. Aber für den Oberbürgermeister ist klar: Das war ein Angriff auf eine Einrichtung der Stadt und die Menschen, die dort arbeiten.

"Stimmung deutlich aggressiver"

Es war nicht der erste Angriff, wie Burghardt berichtet. Noch am Tag der Öl-Attacke wurde die Eingangstür des Umweltamts mit Kot beschmiert. Auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt berichteten immer wieder von Beleidigungen und verbalen Attacken. "Die Stimmung da draußen ist deutlich aggressiver geworden", sagt der Oberbürgermeister.

Die Vorfälle reichten von verbalen Entgleisungen bis hin zu Anschreien, sogar Morddrohungen seien schon dabei gewesen. "Anfang Januar hatten wir die Situation, dass ein aggressiver Straftäter im Büro einer Mitarbeiterin stand und sie bedroht hat", erinnert sich Burghardt.

Rathaus geschlossen, Alarmknöpfe am Arbeitsplatz

Verletzt wurde bislang noch niemand, doch so weit will es Burghardt nicht kommen lassen. Als Reaktion auf die Entwicklung ließ er Anfang Februar die Türen zum Rathaus schließen. Seitdem wird nur noch eingelassen, wer einen Termin hat. "Wir mussten etwas tun", rechtfertigt Burghardt diese Entscheidung. Die Menschen fühlten sich beim Arbeiten nicht mehr wohl.

Um die Sicherheit noch weiter zu erhöhen, ließ die Stadt an allen Arbeitsplätzen einen Alarmknopf einrichten. Bei einer Bedrohung können die Mitarbeitenden ihn drücken, woraufhin ein stiller Alarm ausgelöst wird. Die Kolleginnen und Kollegen auf dem Flur erhalten dann eine Meldung und können zu Hilfe eilen. "Wir haben auch immer wieder die Polizei im Haus, die aggressive Bürger mitnimmt", so Burghardt. Zudem bietet die Stadt ihren Beschäftigten Deeskalationstrainings und Schulungen zum Umgang mit heiklen Situationen an.  

Burghardt hätte diesen Schritt aber gerne vermieden, denn für ihn ist ein offenes Rathaus auch Ausdruck für eine offene Stadtgesellschaft. "Es ging aber nicht mehr anders", sagt er. Die Sicherheit der Mitarbeitenden habe in diesem Fall Priorität.

Migrationshintergrund spielt keine Rolle

Dass es so weit kommen musste, bereitet dem Stadtoberhaupt Sorgen. "Der Habitus von Teilen der Bevölkerung hat sich stark verändert", beobachtet Burghardt. "Die Hemmungen fallen immer weiter." Dabei sei es ihm aber wichtig zu betonen, dass ein möglicher Migrationshintergrund hierbei keine Rolle spiele. "In den sozialen Netzwerken wird von rechts schon wieder Stimmung gemacht", so Burghardt. Die Aggression komme sogar vermehrt von Menschen ohne Migrationshintergrund.

Und die Entwicklung werde schlimmer. Von 2011 bis 2018 war Burghardt schon einmal Oberbürgermeister von Rüsselsheim. In dieser Zeit seien solche Übergriffe kein Thema gewesen. "Allein im vergangenen Jahr habe ich drei Mal so viele Hausverbote aussprechen müssen, wie in meiner gesamten ersten Amtszeit", sagt er. An Silvester seien zudem erstmals in Rüsselsheim mehrfach Feuerwehrkräfte beim Einsatz angegriffen worden.

Für Burghardt sind die Vorfälle in seiner Stadt auch Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Die lässt sich auch mit Zahlen belegen: In Hessen gab es im vergangenen Jahr deutlich mehr Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger als noch im Jahr 2023. Das geht aus einer vorläufigen Auswertung des Bundesinnenministeriums hervor.

Opfer sind demnach oft Bürgermeister, Landräte, Stadtverordnete und Abgeordnete. Der brutale Angriff eines Rechtsextremen auf SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden sorgte bundesweit für Schlagzeilen, Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) warnte daraufhin vor einer Gewaltspirale.

Poseck macht für dafür politische Extremisten verantwortlich. "Sie säen Hass und ernten Gewalt", sagte er nach dem Angriff auf Ecke. Burghardt nimmt dagegen auch die politische Mitte in die Pflicht: "Ich habe das Gefühl, die Welt verändert sich gerade. Auch durch die ganzen Diskussionen, die wir gerade im Bundestag führen."

Dass sich die Situation bald entspannt, glaubt er nicht: "Das Rad lässt sich nicht mehr so leicht zurückdrehen." Die Türen am Rüsselsheimer Rathaus werden wohl noch lange Zeit geschlossen bleiben.

Sendung: hr4,

Quelle: hessenschau.de