40 Jahre Gedenkstätte Eingeritzte Spuren in den Wänden zeugen von Nazi-Verbrechen im KZ Breitenau
Es sieht aus wie ein Kloster, war aber im "Dritten Reich" ein Konzentrationslager: Die Gedenkstätte im ehemaligen Kloster Breitenau ist bis heute ein Ort voller Gegensätze. Seine grauenvolle Geschichte wurde vor Jahrzehnten durch Zufall aufgedeckt.
Im Jahr 1979 erhält Dietfrid Krause-Vilmar einen schier unlösbaren Auftrag: Mit zwei Kollegen soll der damals noch junge Geschichtsprofessor für die Kasseler Stadtverordnetenversammlung die NS-Vergangenheit der Großstadt aufarbeiten.
Während eines wissenschaftlichen Interviews für das Mammutprojekt fallen zwei Worte, die ihn stutzig machen: "Akten" und "Breitenau". Durch diesen Zufall findet er einen totgeschwiegenen Ort des Verbrechens – und eines der frühesten Konzentrationslager der NS-Geschichte.
"Beim Wort Akten klingelt es bei jedem Historiker ganz laut"
Bis in die siebziger Jahre standen die Akten zum Konzentrations- und Strafgefangenenlager Breitenau im Keller eines kleinen Fachwerkhauses auf dem historischen Klostergelände bei Guxhagen, unbeachtet und verstaubt. Krause-Vilmar fand sie dort.
"Das waren Papierberge", erzählt der Historiker, "und hinter jedem Blatt ist eine ganze Lebensgeschichte versteckt, eine Leidensgeschichte." Dem heute 84-Jährigen sei sofort klar gewesen, was dort vor ihm schlummerte. Es folgten Jahrzehnte der wissenschaftlichen Aufarbeitung.
Eine lange Geschichte der Verbrechen in Breitenau
Vor exakt 150 Jahren richtete der preußische Staat im ehemaligen Kloster Breitenau eine Anstalt ein. "Arme Menschen wurden hier kriminalisiert und sollten der Norm der Mehrheitsgesellschaft angepasst werden", erklärt die Leiterin der Gedenkstätte Ann Katrin Düben. Ab 1933 sei dieser Umgang immer radikaler geworden.
Unmittelbar nach der Machtübertragung hätten die Nationalsozialisten Anspruch auf das Heim erhoben. Schon am Tag nach der Übernahme der Bauten seien erste politische Häftlinge untergebracht worden, sagt Düben. Danach entfaltete sich die gesamte nationalsozialistische Verbrechens- und Verfolgungsgeschichte in Guxhagen-Breitenau.
8.500 Häftlinge aus 21 Nationen
Bereits in den Jahren 1933 und 1934 eingerichtet, gilt der Ort als eines der frühesten Konzentrationslager des Dritten Reiches. Sechs Jahre später folgten nach der Verfolgung politisch Oppositioneller die Inhaftierung von Jugendlichen, Zwangssterilisationen, die Deportation von Jüdinnen und Juden und Zwangsarbeit.
Im sogenannten Arbeitserziehungslager Breitenau der Kasseler Gestapo waren insgesamt etwa 8.500 Häftlinge mit 21 verschiedenen Nationalitäten inhaftiert. Viele von ihnen hinterließen der Nachwelt eingeritzte Botschaften in den Isolationszellen. Eines dieser Schicksale arbeitete die Gedenkstätte kürzlich in einem Podcast auf.
Im KZ Breitenau starben Unschuldige, während Nazi-Karrieren begannen
Auch für die Vernetzung von Tätern spielte das frühe KZ Breitenau eine große Rolle: So war Karl Otto Koch, der berüchtigte Lagerkommandant von Buchenwald, Ausbilder der örtlichen SS-Wachmannschaften.
Neuen Erkenntnissen zufolge nahm Koch Personen aus diesen SS-Wachmannschaften mit, die ihn auf dem Weg durch das KZ-System begleiteten. "Das heißt: Hier begannen tatsächlich Karrieren", sagt Gedenkstättenleiterin Ann Katrin Düben. Noch einen Tag vor der Befreiung durch die Amerikaner erschoss die Gestapo auf dem Gelände 28 Gefangene.
Die Idylle als Herausforderung für den Gedenkort
Heute wirkt das Gelände der Gedenkstätte rund um das umgebaute Klostergebäude aus dem Jahr 1113 friedlich, teilweise sogar idyllisch. Für die Einrichtung ist das laut Düben herausfordernd: Besucher seien erstmal etwas orientierungslos, oft fiele es schwer nachzuvollziehen, was wo geschah.
Nach 40 Jahren der Aufarbeitung solle deshalb nun das historische Gelände zum Sprechen gebracht werden. Düben wolle eine verbesserte Wegführung anbieten und das Klostergebäude zugänglicher machen.
Weitere Forschung in den kommenden Jahren
"Breitenau schließt nie ab", sagt auch Krause-Vilmar. Die Spuren des Faschismus blieben in den Familien der Opfer und prägten diese über Generationen hinweg.
Die Akten hätten zwar die Unschuld aller Opfer und die Existenz des Konzentrationslagers belegt, sagt er. Gerade im Hinblick auf die Schicksale der Inhaftierten und der Baugeschichte gäbe es aber noch Forschungslücken, die es zu Füllen gelte.