Andreas Hoffmann im Interview Neuer documenta-Geschäftsführer steht für offene Kommunikation
Auf dem neuen Geschäftsführer ruhen große Hoffnungen: Andreas Hoffmann soll die Kunstschau documenta in Kassel nach den Skandalen im vergangenen Jahr in ruhigeres Fahrwasser führen. Im Interview erklärt er, wie er in künftigen Krisen reagieren will.
Das Gespräch führte Jens Wellhöner.
Ende der weiteren InformationenSeit 1. Mai ist Andreas Hoffmann neuer Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH. "Mit der Personalentscheidung für den neuen Geschäftsführer geht auch eine Weichenstellung für die Zukunft der documenta in Kassel einher", hatten die Vorsitzenden des Aufsichtsrats, der scheidende OB Christian Geselle (SPD) und Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), bei der Bekanntgabe gesagt.
Denn die Bilanz der 15. documenta 2022 war zwiespältig: Einerseits wurden erfreuliche Zuschauerzahlen verzeichnet, das Publikum war jung und divers wie selten zuvor. Andererseits war die Weltkunstschau von Anfang an von Antisemitismus-Vorwürfen überschattet. Generaldirektorin Sabine Schormann wurde vorgeworfen, darauf nicht angemessen reagiert zu haben. Sie trat noch während der laufenden documenta 15 zurück, die Geschäfte übernahm übergangsweise Alexander Farenholtz.
Es habe an klaren Verantwortungsstrukturen und an Verfahren der Konfliktbearbeitung gefehlt - zu diesem Ergebnis war ein Experten-Gremium zur Aufarbeitung des Antisemitismus-Eklats gekommen. Die sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler führten die Vorfälle auf strukturelle Schwächen zurück. Diese soll der neue Geschäftsführer beheben.
hessenschau.de: Bei der vergangenen documenta herrschte eine kollektive Verantwortungslosigkeit, keiner wollte die Verantwortung für die Vorkommnisse übernehmen. Wie wollen Sie das als Geschäftsführer in Zukunft vermeiden?
Andreas Hoffmann: Wir sind schon mittendrin. Bei der documenta fifteen muss man sicher festhalten, dass mit Blick auf die Antisemitismus-Vorfälle zu spät reagiert, zu passiv kommuniziert und vielleicht auch zu wenig umfassend kontextualisiert worden ist.
Der große Unterschied zur Situation im vergangenen Sommer ist, dass wir jetzt die beiden Gutachten zur Kunstarbeit und den Abschlussbericht der kunstwissenschaftlichen Begleitung der documenta fifteen vorliegen haben. Die Dokumente beantworten die Fragen: Welche Aufgaben, welche Rollen, welche Pflichten und Rechte haben sowohl die künstlerische Leitung als auch die kaufmännische Geschäftsführung der documenta?
Auf der Basis dieser Gutachten findet seit der vergangenen Woche eine große Organisationsuntersuchung statt. Die nimmt die documenta in ihren Strukturen, in der Zusammensetzung ihrer Gremien noch einmal neu in den Blick. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit dieser Strukturreform gute Voraussetzungen dafür schaffen, für die Zukunft gerüstet zu sein.
hessenschau.de: Mal angenommen, es würde wieder zu so einem Eklat kommen. Was würden Sie dann tun?
Hoffmann: Das eine Gutachten nimmt ja sehr konkret die documenta fifteen zum Ausgangspunkt für eine Analyse der beiden Seiten. Auf der einen Seite haben wir eine künstlerische Leitung, auch in Zukunft, die immer Kunstfreiheit genießt. Das ist wichtig und das ist verfassungsrechtlich geschützt.
Auf der anderen Seite haben wir die Kunstverwaltung, die kaufmännische Leitung, die Geschäftsführung, die von dieser Kunstfreiheit nicht profitiert. Damit ist sie einem Pflichtenkatalog unterlegen.
Zu diesem Pflichtenkatalog gehört auch der Einsatz gegen Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung. Das bedeutet sehr klar, dass ein kaufmännischer Geschäftsführer in einer solchen Situation reagieren muss. Er wird sofort den Kontakt zur künstlerischen Leitung suchen, in einen intensiven Dialog eintreten. Er wird aber auch, wenn das nicht reicht, selbst kontextualisieren und eingreifen müssen.
Die Rechtsauffassung dazu ist nach dem Gutachten des Staats- und Verfassungsrechtlers Christoph Möller sehr viel klarer. Jetzt ist klar, dass im Falle eines Nicht-Eingreifens auch die Gefahr einer Pflichtverletzung im Raum steht.
Wichtig ist aber auch, dass die Rolle des Geschäftsführers keine proaktive sein kann. Vorab-Sichtung einer documenta, durchsehen, ob etwas Kritisches dabei ist – das ist Zensur. Aber sobald konkrete Verdachtsmomente im Raum stehen, muss der Geschäftsführer handeln.
hessenschau.de: Sie finden klare Worte. Das hat man sich lange gewünscht vergangenes Jahr.
Hoffmann: Es ist meine Pflicht. Aber die Rechtssituation, die Frage: Was darf, was muss die jeweilige Seite, wie weit darf sie gehen? Das war im vergangenen Sommer nicht so klar. Man muss sich auch die Presseberichterstattung zu diesem Thema anschauen. Dann wird sehr schnell deutlich, wie viel Unsicherheit bestanden hat.
Es ist gut, dass wir nun mit der begonnenen Organisationsuntersuchung die Möglichkeit haben, auf eine neue, verbesserte Rechtslage zu reagieren. Die können wir zur Grundlage machen für Strukturen, für Prozesse und für Reaktionsmuster, die wir für Krisenfälle vorbereiten müssen.
hessenschau.de: Sie wollen die Linie fortsetzen, ein jüngeres Publikum anzusprechen. Ruangrupa hat bereits ein jüngeres und diverseres Publikum angesprochen. Wie wollen Sie daran anknüpfen?
Hoffmann: Wenn man auf die documenta fifteen schaut, muss man klar sagen: Ja, wir haben den Antisemitismus-Schleier. Wir haben ein Problemfeld, das sich nicht wegdiskutieren lässt. Das will ich auch gar nicht.
Aber wenn man einmal den Schleier ein bisschen lüftet und auf die Errungenschaften schaut, muss ich sagen: Diese documenta hatte zentrale, großartige Punkte. Sie hat wie keine andere visionär in den Bereich der kollektiven Ressourcenverwaltung geblickt. Sie hat auf Themen wie Nachhaltigkeit und Partizipation geblickt. Dafür hat sie sehr starke Bilder gefunden.
Auch die Form der Kunstvermittlung durch die Sobat-Sobat (Kunstvermittler, die Besuchern auf Augenhöhe begegnen, die Redaktion) ist eine Errungenschaft, die wir in die Zukunft mitnehmen müssen.
Es wird spannend sein, die nächsten Jahre zu gucken, wie sich die Bewertung der documenta verändern wird und wie die Impulse aufgenommen werden, denn es sind Themen, die letztlich alle betreffen.
hessenschau.de: Bei der vergangenen documenta gab es Ärger wegen prekärer Anstellungsverhältnisse. Interims-Geschäftsführer Alexander Fahrenholz hatte angeregt, einen Betriebsrat einzuführen. Was sagen Sie dazu?
Hoffmann: Diese Anregung haben wir zum Teil tatsächlich schon aufgenommen. Die documenta und Fridericianums gGmbH hat einen Betriebsrat gewählt, der sich im April konstituiert hat. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit.
Es ist wichtig, dass wir innerhalb der Organisation eine moderne Struktur haben und 'state of the art' sind. Darüber hinaus haben wir ein hervorragendes, ein herausragend qualifiziertes Team.
Wir haben natürlich immer das Problem, dass wir einen Festival-Betrieb haben. Die Belegschaft verändert sich wie eine Sinuskurve. Der Personalbedarf ist im Jahr einer documenta immens. Wir wachsen von 100, 120 bis auf über 1.000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Die lassen sich schwer alle kontinuierlich beschäftigen.
Die Vergütungskultur im Kulturbetrieb ist nicht optimal. Da ist die documenta letztlich Teil eines größeren Ganzen. Das werden wir nicht von unserer Seite allein ändern können. Aber es sind trotzdem Themen, die wir angehen können.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 09.05.2023, 16:45 Uhr
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