Antisemitismusexperte über Pink-Floyd-Musiker "Das Konzertverbot hilft Waters nur, sich als Opfer darzustellen"
Ob Roger Waters in Frankfurt auftreten darf, ist unklar. Stadt und Land haben sich wegen Antisemitismusvorwürfen dagegen ausgesprochen. Der Musiker will sich juristisch wehren. Experte Meron Mendel hält ein Verbot für nicht zielführend.
Der Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters wehrt sich juristisch gegen eine mögliche Absage seines Konzerts in der Frankfurter Festhalle Ende Mai. Stadt und Land wollen den Auftritt verhindern, sie werfen dem Musiker israelfeindliches Auftreten vor. Der Antisemitismus-Experte und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, Meron Mendel, spricht im hr-Interview über sinnvolle Zeichen gegen Judenfeindlichkeit, doppelte Standards in Bezug auf Israel und Meinungsfreiheit.
hessenschau.de: Das für Ende Mai geplante Roger Waters-Konzert in der Festhalle soll abgesagt werden. Was halten Sie von einem Verbot?
Meron Mendel: Nichts. Es dient der Sache nicht. Einmal, weil man Antisemitismus durch Verbote nicht bekämpfen kann. Die Absage des Konzerts wird keinen Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus leisten. Und dann, weil vorhersehbar ist, dass das Verwaltungsgericht diese Absage für unrechtmäßig erklären wird. Dann wird die Messe Roger Waters entweder viele Millionen Euro de facto schenken müssen oder das Konzert findet doch statt. Damit ist also niemandem geholfen.
hessenschau.de: Roger Waters unterstützt offen die Boykott-Bewegung BDS, die sich für den Boykott israelischer Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft einsetzt. Geht daraus hervor, dass er ein Antisemit ist?
Meron Mendel: Nicht alle Menschen, die BDS unterstützen, sind per se antisemitisch. Aber Roger Waters werfe ich vor, dass er doppelte Maßstäbe ansetzt, wenn er einerseits sagt, er trete in Israel nicht auf, und andere Künstler wie Nick Cave unter Druck setzt, die dort auftreten. Zugleich sagt er, dass er kein Problem damit habe, in Ländern mit diktatorischen Regierungen wie Russland oder Syrien aufzutreten.
Bei nahezu jeder diktatorischen Regierung dieser Welt trennt er zwischen der Politik und den Menschen, die dort leben. Nur im Fall von Israel will er die gesamte Bevölkerung für den Konflikt mit den Palästinensern bestrafen. Waters' Haltung zeigt, dass er im Fall von Israel doppelte Maßstäbe anlegt. Und doppelte Standards sind laut Definition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance, Anm. d. Red.) antisemitisch. Nach dieser Definition kann man zumindest ableiten, dass er antisemitische Denkmuster bedient.
hessenschau.de: Sie haben vergangene Woche für das Magazin Der Spiegel ein Streitgespräch mit Roger Waters in London geführt. Wie ist Ihr persönlicher Eindruck?
Meron Mendel: Wir hatten ein konfliktgeladenes Gespräch, auch zum Thema Ukraine, wo wir völlig unterschiedlicher Meinung waren. Tatsache ist, antisemitische Äußerungen gehören laut dem Gutachten des Verfassungsrechtlers Christoph Möllers zu Kunst- und Meinungsfreiheit, und die Grenze verläuft nicht bei der Frage, was antisemitisch ist, sondern hier: Wo beginnt Volksverhetzung?
hessenschau.de: Ist das denn volksverhetzend, was Waters macht?
Meron Mendel: Meiner Ansicht nach nicht. Jeder kann vor Gericht gegen ihn klagen. Ich bezweifle aber sehr, dass es Erfolg hätte.
hessenschau.de: Waters erhält prominente Unterstützung dabei, sich juristisch gegen die Konzertabsagen zu wehren. Auf der Plattform change.org fordern zahlreiche prominente Künstler, den Musiker doch auftreten zu lassen. Wie bewerten Sie die Kampagne und auch die Tatsache, dass jüdische Künstler sie unterstützen?
Meron Mendel: Die Petition bestätigt meine Haltung, dass Verbote kontraproduktiv sind. Es wird nicht durchgehen und hilft Roger Waters, sich als Opfer darzustellen. Und er erhält dafür weltweit eine Welle der Solidarität. Dass auch viele Unterzeichner jüdisch sind, wundert mich nicht. Viele Juden sind genau wie viele andere Menschen für Meinungsfreiheit.
Ohne sich hinter die Person Roger Waters zu stellen, kann man ja der Auffassung sein, dass in einer demokratischen, offenen Gesellschaft auch Leute, deren Meinung einem nicht gefällt, auftreten dürfen. Das teilen Juden und Nicht-Juden gleichermaßen.
hessenschau.de: Was können wir aus der Diskussion ableiten?
Meron Mendel: Roger Waters' Positionen, seine Doppelmoral, seine Neigung, Diktatoren auf der ganzen Welt toll zu finden, sind mir zuwider. Aber es geht nicht um die Frage, ob ich Roger Waters sympathisch finde, sondern es geht um die Frage, ob er im öffentlichen Raum auftreten und seine Musik machen darf.
Wir müssen einüben, diese Trennung zu machen. Wir müssen aushalten, dass im öffentlichen Raum viele Leute Gebrauch von Meinungs- und Kunstfreiheit machen, die uns total unsympathisch sind. Das ist der Skandal einer liberalen Demokratie.
Das Gespräch führte Grete Götze.
Sendung: hr1, 14.03.2023, 21 Uhr
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