Archäologischer Sensationsfund "Der älteste Christ nördlich der Alpen war Frankfurter"
Es ist ein Fund, der die Geschichtsschreibung verändern könnte: In Frankfurt wurde ein 1.800 Jahre altes Amulett mit Inschrift gefunden. Experten halten es für das älteste Zeugnis christlichen Glaubens nördlich der Alpen.
"Es ist eine Sensation": Mit diesen Worten stellte der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) am Mittwoch einen archäologischen Grabungsfund aus der Römerzeit vor – ein Silberamulett, darin eine eingerollte Silberfolie mit Inschrift.
Insgesamt 18 gravierte Zeilen zeigen: Das Amulett ist ein christliches Fundstück, das etwa 1.800 Jahre alt ist. "Damit ist die sogenannte Frankfurter Inschrift der älteste Nachweis für christliches Leben und die Ausübung christlicher Religion nördlich der Alpen", sagte Josef.
"Ein echter Frankfurter"
Gefunden wurde das Amulett bereits 2018 auf einem römischen Friedhof auf dem Gebiet von Frankfurts antiker Vorgängerstadt Nida. Es habe sich an einem männlichen Skelett in dem neu entdeckten Gräberfeld im heutigen Stadtteil Praunheim befunden.
Der zum Zeitpunkt seines Todes zwischen 35 und 45 Jahre alte Mann hat den Untersuchungen zufolge in der Römerstadt Nida gelebt und ist im dritten Jahrhundert nach Christus gestorben.
"Ein echter Frankfurter", betonte Oberbürgermeister Josef. Zwar muss den Experten zufolge noch abschließend untersucht werden, ob der Mann tatsächlich Bürger von Nida gewesen ist. Es spreche aber vieles dafür.
Der Fund sei deshalb auch für die Geschichtsschreibung der Stadt wegweisend – und Frankfurt habe für immer einen Platz in der christlichen Geschichte, so Josef.
Während das Christentum heute eine Weltreligion sei, seien seine Anhänger zu Zeiten der Römer teilweise verfolgt worden. Josef schließt daraus: Schon in der Römerzeit sei Frankfurt "ein multikulturelles, lebendiges Zentrum" gewesen.
(Im Namen?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!
Im Namen Jesu Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt
widersetzt sich nach [Kräften?]
allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?).
Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden
Eintritt.
Dieses Rettungsmittel(?) schütze
den Menschen, der sich
hingibt dem Willen
des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn,
da sich ja vor Jesus Christus
alle Knie beugen: die Himmlischen,
die Irdischen und
die Unterirdischen, und jede Zunge
bekenne sich (zu Jesus Christus).
Stand: 4. Dezember 2024
Die in lateinischer Sprache gehaltene Inschrift hat Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität entschlüsselt. Er habe dazu Fachleute unter anderem aus der Theologiegeschichte hinzugezogen, so der Archäologe und Experte für lateinische Inschriften. "Stück für Stück haben wir uns gemeinsam dem Text genähert und ihn letztlich entziffert." Die Inschrift verehrt Jesus Christus als Gottes Sohn und zitiert einen Hymnus im biblischen Philipperbrief 2,10-11.
Durch die Bodenlagerung seien einzelne Randpartien verloren gegangen, die Ergänzung der betreffenden Textpassagen bleibe daher "diskutabel", so Scholz. Es sei außergewöhnlich, dass die Inschrift vollständig lateinisch sei. Normalerweise seien entsprechende Gravuren in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst. Der Text sei zudem "sehr ausgefeilt". Scholz schließt daraus, dass der Verfasser "ein elaborierter Schreiber" war.
Ungewöhnlich sei auch, dass es in der Inschrift keinen Hinweis auf einen anderen Glauben neben dem Christentum gebe. Bis ins 5. Jahrhundert hinein sei es bei Edelmetallamuletten dieser Art üblich gewesen, verschiedene Glaubensrichtungen zu mischen. Das gefundene Amulett sei aber "rein christlich".
Einige Formulierungen waren bislang erst viel später bezeugt, etwa die Nennung des Heiligen Titus, eines Schülers und Vertrauten des Apostels Paulus, sowie die eigentlich erst aus dem 4. Jahrhundert nach Christus in der christlichen Liturgie bekannte Anrufung "Heilig, heilig, heilig!" (Trishagion).
Die "Frankfurter Silberinschrift" übersetzt ins Deutsche
(Im Namen?) des Heiligen Titus.
Heilig, heilig, heilig!
Im Namen Jesu Christi, Gottes Sohn!
Der Herr der Welt
widersetzt sich nach [Kräften?]
allen Anfällen(?)/Rückschlägen(?).
Der Gott(?) gewährt dem Wohlbefinden
Eintritt.
Dieses Rettungsmittel(?) schütze
den Menschen, der sich
hingibt dem Willen
des Herrn Jesus Christus, Gottes Sohn,
da sich ja vor Jesus Christus
alle Knie beugen: die Himmlischen,
die Irdischen und
die Unterirdischen, und jede Zunge
bekenne sich (zu Jesus Christus).
Stand: 4. Dezember 2024
Die in lateinischer Sprache gehaltene Inschrift hat Markus Scholz von der Frankfurter Goethe-Universität entschlüsselt. Er habe dazu Fachleute unter anderem aus der Theologiegeschichte hinzugezogen, so der Archäologe und Experte für lateinische Inschriften. "Stück für Stück haben wir uns gemeinsam dem Text genähert und ihn letztlich entziffert." Die Inschrift verehrt Jesus Christus als Gottes Sohn und zitiert einen Hymnus im biblischen Philipperbrief 2,10-11.
Durch die Bodenlagerung seien einzelne Randpartien verloren gegangen, die Ergänzung der betreffenden Textpassagen bleibe daher "diskutabel", so Scholz. Es sei außergewöhnlich, dass die Inschrift vollständig lateinisch sei. Normalerweise seien entsprechende Gravuren in Amuletten auf Griechisch oder Hebräisch verfasst. Der Text sei zudem "sehr ausgefeilt". Scholz schließt daraus, dass der Verfasser "ein elaborierter Schreiber" war.
Ungewöhnlich sei auch, dass es in der Inschrift keinen Hinweis auf einen anderen Glauben neben dem Christentum gebe. Bis ins 5. Jahrhundert hinein sei es bei Edelmetallamuletten dieser Art üblich gewesen, verschiedene Glaubensrichtungen zu mischen. Das gefundene Amulett sei aber "rein christlich".
Einige Formulierungen waren bislang erst viel später bezeugt, etwa die Nennung des Heiligen Titus, eines Schülers und Vertrauten des Apostels Paulus, sowie die eigentlich erst aus dem 4. Jahrhundert nach Christus in der christlichen Liturgie bekannte Anrufung "Heilig, heilig, heilig!" (Trishagion).
Bisher frühestes christliches Zeugnis nördlich der Alpen
Rund um die Römerstadt seien regelmäßig Grabungsteams unterwegs, sagte Planungsdezernent Marcus Gwechenberger (SPD). Dass derartige Funde in Zeiten von "Wachstumsdruck in der Stadt" gefunden und gesichert werden könnten, sei auch der Verdienst einer guten Zusammenarbeit mit der städtischen Denkmalpflege und dem Landesamt für Archäologie.
Das Grab mit der Nummer 134, in dem das Amulett gefunden wurde, wird auf den Zeitraum zwischen 230 und 270 nach Christus datiert. Darauf deuteten Grabbeigaben wie ein Räucherkelch und ein Tonkrug hin.
Das 35 Millimeter lange und neun Millimeter breite Amulett lag unter dem Kinn des Skeletts. Es hat die Form einer Kapsel, in der sich eine 91 Millimeter lange Silberfolie befand, die gerollt, gefaltet und geknickt war.
Einen so frühen, authentischen Nachweis reinen Christentums nördlich der Alpen gab es laut Stadt bisher noch nicht. Alle Funde seien mindestens rund 50 Jahre jünger.
Händisches Entrollen nicht möglich
Die Gravur habe nur mittels Computertomografie entschlüsselt werden können, erklärte Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD). Das Amulett sei so brüchig gewesen, dass es nicht händisch von der Silberfolie getrennt werden konnte.
In einer Zusammenarbeit mit der Goethe-Universität und dem Leibniz-Zentrum für Archäologie in Mainz sei es in diesem Jahr schließlich "digital entrollt" worden.
Archäologisches Museum zeigt Amulett
"Das unterstreicht auch eindrucksvoll die Bedeutung des Wissenschaftsstandorts Frankfurt", sagte Hartwig. Dieser Fund werde nicht nur die Archäologie, sondern auch die Theologie und Religionswissenschaft sowie die Philologie noch viele Jahre beschäftigen und beeinflussen.
Oder, wie Hartwig am Mittwoch sagte: "Das wird irrsinnig spannend in den nächsten Jahren." Ab dem 18. Dezember werde das Silberamulett auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dann werde es in die Dauerausstellung des Archäologischen Museums aufgenommen.