Verkürzte Mobbing-Untersuchung bei den Arolsen Archives "Das ist ein Schlag ins Gesicht"
Das Aufsichtsgremium der Arolsen Archives will die Aufklärung der Mobbing-Vorwürfe gegen deren Direktion deutlich einschränken, ein Großteil der Fälle soll offenbar nicht untersucht werden. Die Betroffenen hoffen nun auf Unterstützung von Claudia Roth.
"Es ist ein Schlag ins Gesicht für uns Betroffene", sagt Susanna Friedrich. "Wir haben das Gefühl, als wären wir mit unseren Erlebnissen weniger wert." Die Erlebnisse, die sie meint, sind mutmaßliches Mobbing, Demütigungen und Willkür an ihrem ehemaligen Arbeitsplatz, den Arolsen Archives. Diese könnten - anders als zunächst angekündigt - nun doch nicht mehr untersucht werden.
Am Dienstag hatte das Aufsichtsgremium Internationaler Ausschuss (IA) mitgeteilt, dass nicht die gesamte siebenjährige Amtszeit der Direktion, gegen die sich die Vorwürfe richten, im Abschlussbericht berücksichtigt werde. Untersucht würde nur ein Zeitraum von zwei Jahren.
Anwalt: Mindestens 25 Betroffene unberücksichtigt
Nach den neuen Plänen würden insgesamt mindestens 25 Betroffene nicht im Abschlussbericht berücksichtigt, sagt der von ihnen beauftragte Rechtsanwalt Daniel Vogel: "Damit fällt der Vorwurf des strukturellen Mobbings weg, was strafrechtlich eine ganz, ganz große Relevanz hat."
Rein rechtlich dürfe der IA diese Verkürzung seiner Einschätzung nach zwar vornehmen. Er halte die Ankündigung, den Zeitraum der Untersuchung zu verkürzen, aber für "politisch gesteuert", so Vogel. Aus Gesprächen mit der vom IA beauftragten Kanzlei, die die Untersuchung führt und den Abschlussbericht verfasst, schließe er, dass die Vorwürfe sich erhärtet hätten.
Mitarbeitende erheben Vorwürfe gegen Direktion
Im Juni waren mehr als 20 aktuelle und ehemalige Mitarbeitende des weltweiten größten Archivs zu NS-Opfern mit Sitz in Bad Arolsen (Waldeck-Frankenberg) erstmals mit ihren Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen. Darunter war Susanna Friedrich, deren Namen auf ihren Wunsch von der Redaktion geändert wurde.
Sie warfen Direktorin Floriane Azoulay und ihrem Stellvertreter Steffen Baumheier vor, eine "toxische Arbeitsatmosphäre" und eine "Kultur der Angst" geschaffen zu haben. Der IA als Leitungs- und Aufsichtsgremium der Arolsen Archives beauftragte daraufhin eine Rechtsanwaltskanzlei mit der Aufklärung der Vorwürfe. Die Direktion der Arolsen Archives ist laut dem Aufsichtsgremium angehalten, nicht zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, bis die Untersuchung abgeschlossen ist.
"Fühlen uns hilflos und machtlos"
Im Zuge der Aufklärung meldeten sich weitere Betroffene, mittlerweile sind es nach hr-Informationen mehr als 30 Menschen. Sie kritisieren, der IA habe sie offiziell nicht über die Verkürzung des Berichtszeitraums informiert. Auch eine Begründung habe es nicht gegeben, sagt Friedrich. Ihre eigenen Erlebnisse würden dadurch nicht untersucht. Die Entscheidung des IA lasse sie hilflos und machtlos zurück.
"Wir haben lange gehadert, ob wir unsere Erlebnisse überhaupt jemandem erzählen sollen. Jetzt machen wir das und erfahren, dass der IA den Berichtszeitraum in einer laufenden Untersuchung spontan auf zwei Jahre verkürzt", sagt sie. "Das ist natürlich sehr bitter für uns."
Verkürzung wegen Zwischenbericht?
Die Betroffenen fühlten sich durch die Entscheidung des IA nicht ernst genommen, sagt ein weiterer ehemaliger Mitarbeiter der Arolsen Archives im Gespräch mit dem hr. Obwohl er mittlerweile einen neuen Job hat, fürchtet er Repressalien der Direktion des Archivs und möchte deshalb anonym bleiben. Sein Name liegt der Redaktion vor.
Seines Wissens nach sei die Verkürzung des Untersuchungszeitraums nach einem Zwischenbericht der Kanzlei vorgenommen worden. "Da kann sich jeder ein Urteil bilden, ob es da vielleicht einen Zusammenhang gibt."
Appell an Claudia Roth
Um ihren Vorwürfen noch mehr Gehör zu verschaffen, haben die rund 30 aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden erneut einen Brief an Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) geschrieben. An sie hatten sich die Betroffenen bereits im März dieses Jahres gewandt. Ihre Hoffnung: dass Roth, deren Ministerium als Geldgeber des Archivs fungiert, auf den IA einwirkt und sich für einen längeren Untersuchungszeitraum einsetzt.
"Wir haben nur die Möglichkeit, immer wieder zu appellieren, uns zu unterstützen oder wenigstens Einblick zu gewähren", erklärt Susanna Friedrich.
Dafür sind die Betroffenen nun sogar aus der Anonymität herausgetreten und haben mit ihrem Klarnamen unterschrieben - um zu verdeutlichen, dass es sich nicht um anonyme Vorwürfe handele, sondern "dass es diese Gruppe der Betroffenen auch wirklich gibt", wie Friedrich sagt.
Auswärtiges Amt äußert sich nicht
Eine offizielle Reaktion Roths steht noch aus, auf hr-Anfrage teilte eine Sprecherin mit, die von den Betroffenen in ihrem Brief erbetene Vertraulichkeit wahren zu wollen und die Inhalte deshalb nicht öffentlich zu kommentieren.
Für Fragen, die die Aufgaben des IA "als fachliches und disziplinarisches Leitungsgremium der Arolsen Archives betreffen", verwies die Sprecherin an das für den IA zuständige Auswärtige Amt. Das gab gegenüber dem hr an, sich vor Abschluss des Berichts nicht äußern zu wollen.
"Geht nicht um Rache"
Ob dieser Bericht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, steht den Betroffenen zufolge noch nicht fest. Sie wüssten noch nicht einmal, ob sie selbst Zugang erhalten. "Wenn nur der IA als Auftraggeber dieser Untersuchung die Ergebnisse erhält, fürchte ich, dass sie unabhängig davon entscheiden, wie sie weiterverfahren", gibt der anonyme Betroffene zu bedenken.
Er betont, dass es ihm und den anderen Mitarbeitenden der Arolsen Archives nicht um Rache ginge. "Wir wollen die Aufarbeitung, um künftige Betroffene zu vermeiden."
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 20.07.2023, 19.30 Uhr
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