Ausstellung "Apropos Sex" Wer möchte, kann auch Genitalien anfassen
Von "Matratzensport" bis "Netflix und Chill", von echter Begierde bis Pornografie: Die neue Ausstellung im Museum für Kommunikation in Frankfurt widmet sich ganz der Sexualität. Ein Highlight sind die Mitmachstationen.
"Wir möchten in der Ausstellung 'Apropos Sex' alle Sinne ansprechen", erklärt Julia Marzoner, kuratorische Leitung im Kommunikationsmuseum und führt die Schnupperstation vor: Von Zedernholz über den Duft frischer Wäsche, von Moschus bis zum Geruch von leicht verschwitzter Haut reicht die Spanne. Hier sind alle eingeladen zu erschnuppern: Wann kribbelt es im Körper und wann nicht?
Wer möchte, kann auch Genitalien anfassen. "Das ist der Schwellkörper Penelope und das Doris, die Klitoris." Julia Marzoner zeigt auf zwei handliche Modelle aus Stoff und Plüsch. Sie glitzern in knalligem Pink, Blau und Grün. Tatsächlich sind sie anatomisch korrekt, geeignet für den Schulunterricht.
Selbst wer nicht mehr zur Schule geht, kann hier noch was lernen: Etwa, dass der lange kräftige Strang, der versehentlich aus dem Modell herausfällt, keineswegs der Eileiter ist, sondern die Klitoris. Die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane haben viele baugleiche Teile, sie sind nur unterschiedlich geformt.
100 Jahre reden über Sex
Ob am Modell oder mit Worten: Sexuelle Aufklärung sei die Grundvoraussetzung, um Scham und Tabus abzubauen, und ein erster Schritt in Richtung Selbstermächtigung, betont Julia Marzoner.
Das Kuratoren-Team schaut in der Ausstellung "Apropos Sex" auf die vergangenen 100 Jahre im Umgang mit Sexualität, weil sich da sehr rasant sehr viel verändert habe: von den Protesten der 1968er über die Vermarktung der Pille, die Folgen von Viagra bis zu den Sexualhygiene-Artikeln von Beate Uhse. "Das sind alles Veränderungen, die uns sehr geprägt haben und die heute noch nachwirken."
Unsere Gesellschaft sei in den letzten 100 Jahren zwar schon deutlich offener und liberaler geworden, aber eben immer noch sehr geprägt von der christlichen Sexualmoral. Die sei wesentlich verantwortlich dafür, dass unsere Sexualität überhaupt mit Scham behaftet ist: "Wir haben etwas in der Hose, über das wir nicht gerne sprechen", sagt Marzoner.
In anderen Kulturen sei das ganz anders. "Da wundert man sich schon allein über die Tatsache, dass wir Unterwäsche tragen."
Von "Untenrum" bis "Netflix und Chill"
Mit Körperteilen, die einfach nur "untenrum" heißen, könne man sich nicht auseinandersetzen, erläutert Kurator*in Julia Marzoner. So werde unser Intimbereich überhaupt erst zu einem "Scham-Bereich".
Problematisch werde das vor allem für Jugendliche beim Eintritt in die "heiße Phase" ihrer Sexualität. "Es ist sehr ermächtigend, einen Begriff zu haben, der für einen passt, der sich gut anfühlt und der auch sehr konkret ist", findet Marzoner.
Inspirationen dafür sollen die Sammlungen von mehr oder weniger "schmutzigen" Begriffen liefern, durch die man in der Ausstellung stöbern kann. Ob Muschi, Vulva, Pullermann, retro-piefiger "Matratzensport" oder heutiges "Netflix und Chill" - wer möchte, darf darüber mit sich und anderen ins Gespräch kommen. Welche Begriffe verwendet man selbst gerne, für was?
Zensur und Pornografie
Für die Ausstellung haben Julia Marzoner und das Team umfangreiche Hintergründe und Fakten zusammengestellt, etwa zu queeren Bewegungen, zu Sexarbeit, und dazu, welche Gesetze eigentlich unsere sexuelle Freiheit regeln. Gleichgeschlechtliche Liebe beispielsweise, in Deutschland auch erst seit 1994 legal, wird noch immer in vielen Teilen der Welt unter Strafe gestellt.
Besonders widersprüchlich erscheint die Diskrepanz zwischen der teils absurden Zensur von nackten Körpern in Suchmaschinen und Sozialen Medien – Stichwort: weibliche Nippel – und der fast uneingeschränkten Verfügbarkeit von sogar krassester Pornografie selbst für Minderjährige.
Ein wichtiger Grund dafür ist laut Marzoner, dass wir Pornografie und sexuelle Lust immer noch als Tabu bewerten. Selbst die wissenschaftliche Erforschung von Sexualität und Pornografie werde extrem tabuisiert, obwohl wir das eigentlich bräuchten: "Wir brauchen Fakten, um darüber sachlich zu reden."
Offen über Sex reden
Die Ausstellung "Apropos Sex" zeigt gerade das: Sexualität ist mehr als Sex. Sie ist ein wichtiger Teil unserer Identität. Sie ist aber auch hochgradig politisch, nicht nur, aber besonders für Menschen, die queer oder trans sind, oder die "sexuelle Begleitung", etwa aufgrund ihres Alters oder ihrer Behinderung, benötigen.
Das Ausstellungsdesign präsentiert sich in modern poppigen Farben, sehr vielseitig, witzig und kreativ und mit zahlreichen Ideen, die zur Auseinandersetzung einladen. Konzipiert ist sie für Jugendliche ab 14 Jahren – und liegt damit wahrscheinlich goldrichtig.
Aber auch Erwachsene, die mit ihrer Sexualität eigentlich ganz zufrieden sind, können hier noch auf die ein oder andere Inspiration stoßen.