Ausstellung "Flower Power" in der Grube Messel Blütenzauber aus der Urzeit
Vor 47 Millionen Jahren glich die Grube Messel einem Dschungel. Das Unesco-Weltnaturerbe zeigt nun, wie die Insekten- und Pflanzenwelt des urzeitlichen Hessens ausgesehen hat - und welche Bedeutung ein Nasenhaar für die Wissenschaft hat.
Es gibt kaum einen Ort in Deutschland, an dem man einen so einzigartigen Blick in die Urzeit wagen kann wie in der Grube Messel (Darmstadt-Dieburg). Am Grunde eines prähistorischen Sees, der nach einem Vulkanausbruch entstand, hat sich hier ein feinkörniger Ölschiefer gebildet, dessen Platten noch bis heute durchzogen sind mit Fossilien. Eine neue Sonderausstellung gibt einen Einblick in diese weit entfernte Zeit.
1995 wurde die Fundstätte das erste Unesco-Weltnaturerbe Deutschlands. Für Paläontologen hat sich die Grube, die in diesem Jahr 30. Jubiläum feiert, zu einer wahrhaften Schatzkiste entwickelt. Wie Forschende der Senckenberg-Gesellschaft mitgeteilt haben, wurden in der Grube Messel bisher 1.409 unterschiedliche Typen von Lebewesen gefunden. In dem urzeitlichen schwülen und tropischen Klima hat sich besonders eine Gattung Tier wohlgefühlt: das Insekt.
Schwül und perfekt für Insekten
"Es war ein Lebensraum, der heute mit dem in Südostasien vergleichbar ist", erklärt Torsten Wappler, Kurator der Grube Messel. "Früher war es hier durchschnittlich 20 Grad warm, und es gab viel Regen." Dementsprechend haben sich hier Bienen, Fliegen und allerlei kleine Insekten getummelt. Auch das Pflanzenreich sei divers gewesen. "Wir haben hier einen Schatz, den man weltweit nirgendwo anders findet. Insgesamt kommen wir auf die Anzahl von fast 1.000 Blüten, die fossil erhalten sind", sagt Wappler.
"Flower Power" wird in der neuen Sonderausstellung wörtlich interpretiert. Das Zusammenspiel zwischen prähistorischen Insekten und Pflanzen wird hier erforscht und anhand von Fossilien für Besucher veranschaulicht. Inwiefern Pflanzen und Insekten schon früher koexistiert haben, zeigt besonders ein fossiler Schwarzkäfer, auf dessen noch schillerndem Flügeldeckel eine winzig kleine fossile, orangene Blüte zu sehen ist.
Ein Nasenhaar für die Wissenschaft
Für die Wissenschaft ist die Erforschung der Interaktionen von urzeitlichen Insekten und Pflanzen wichtig, um mehr über die Biodiversität der Grube Messel herauszufinden. Ausschlaggebend dafür ist das, was in den fossilen Tieren gefunden wird. "Mit etwas Glück finden wir sogar noch Blütenpollen in den Mägen der Bienen und Fliegen und können so herausfinden, was sie gegessen haben und welche Pflanzen es früher gab", erzählt Wappler.
Im "Grünes Sofa"-Podcast des Hessischen Landesmuseums Darmstadt erklärt Paläobotaniker Friðgeir Grímsson der Universität Wien, wie genau man die mikrometerkleinen Pollen aus den fossilen Insekten ziehen kann. Das Geheimwerkzeug sei dabei ein menschliches Nasenhaar, das an das Ende einer Pinzette gesetzt wird. Damit könne man die mit einer Glycerin-Lösung aufgeweichten Pollen unter einem Mikroskop haargenau separieren und identifizieren. "Das Nasenhaar ist so flexibel und fein, dass es für die Arbeit an den Pollen essenziell ist", sagt Wappler.
Millionen Jahre unverändert
Dass die Grube Messel ein einzigartiger Lebensraum für Insekten und Pflanzen war, zeigt ebenfalls das weltweit einzige Fossil eines wandelnden Blattes, das im Ölschiefer gefunden wurde. Die nächsten Verwandten des pflanzenfressenden Insekts, das sich wie ein Blatt tarnt, krabbeln in einem Schaukasten neben dem Fossil. Sie sind eine Leihgabe des Frankfurter Zoos. Anatomisch haben sich die Tiere über 50 Millionen Jahre kaum verändert.
"Man sieht, dass das Insekten- und Pflanzenreich ein einzigartiges Erfolgsmodell ist, das vor Millionen von Jahren schon perfektioniert wurde und sich kaum verändert hat", betont Philipe Havlik, Geschäftsführer der Grube Messel. Einer seiner Lieblingsfunde sei eine 47 Millionen Jahre alte Fliege, die in den Messeler Vulkansee geflogen ist. "Wir konnten herausfinden, dass sie davor an einem Vorfahren der heutigen Weinrebe genascht hat, als wir ihre Mageninhalte untersucht haben. Man sieht, auch der Weinanbau in Südhessen ist nichts Neues", scherzt Havlik.
Drohender Verlust der Biodiversität
Die neue Sonderausstellung will jedoch nicht nur in die Vergangenheit schauen. Insekten und Pflanzen seien noch immer genauso wichtig für unsere Umwelt wie schon vor rund 50 Millionen Jahren. Wappler und Havlik verweisen auf Forscher der Universität Göttingen, die herausgefunden haben, dass 87 von 115 Kulturpflanzen von Tierbestäubung abhängig sind, um sich zu verbreiten und zu überleben.
Französische und deutsche Wissenschaftler schätzen, dass der ökonomische Nutzen durch Bestäuber rund 150 Milliarden Euro betragen könnte. Das entspricht knapp einem Zehntel des Gesamtwertes der Weltnahrungsmittelproduktion. Würden bestäubende Insekten fehlen, würde der Schaden pro Jahr für die Weltwirtschaft demnach 310 Milliarden Euro betragen.
Die "Flower Power", sagt Geschäftsführer Havlik, sei real – und ihr Überleben sei für den Planeten wichtig. "Meine größte Hoffnung ist es, bei den Besuchern durch die Ausstellung einen Transformationsprozess zu erzielen", erzählt er. "Auch wenn es nur dazu führt, den Steingarten vorm Haus wegzurollen, um stattdessen eine Bienenwiese auszusähen."
Alles rund um Insekten und Pflanzen
Das Bewusstsein für Biodiversität wird ebenfalls durch ein kleines Rahmenprogramm gefördert. Soundinstallationen des Darmstädter Tonkünstlers Nils Mosh reproduzieren Geräusche auf einem "Insektenklavier" und auf Lautsprechern, die über das gesamte Gelände der Grube Messel verteilt sind.
Eine Filmvorführung mit anschließender Diskussionsrunde im Juni befasst sich mit nachhaltiger Imkerei. Das Grubenfest im August soll ebenfalls Aktivitäten rund um die Grube Messel anbieten.
Die Sonderausstellung "Flower Power" läuft bis 1. Februar 2026.