Ausstellung mit recycelten Grabsteinen "Der Tod schärft das Bewusstsein für das Leben im Hier und Jetzt"

Glatte Steine, grobes Holz - darauf Inschriften und Zeichnungen: Das Kasseler Museum für Sepulkralkultur zeigt Werke von Till Müller. Der 33-Jährige beschäftigt sich fast täglich mit dem Tod - als Steinmetz im elterlichen Betrieb und als Künstler.

Eine große, runde Ausstellungshalle. Zum Teil sind alte Backsteine zu sehen. Im Mittelpunkt sind Kunstwerke aus Holz und Stein. Dort sind Worte und Zeichnungen eingeritzt und coloriert.
Die Sonderausstellung "Hier und Jetzt" im Museum für Sepulkralkultur zeigt Werke von Till Müller. Bild © Stefanie Küster/hr

Imgipskriegumdieliebegibteskeineverlierer - mit diesem Wort, besser gesagt, dieser Wortkette begrüßt derzeit ein Werk des Künstlers Till Müller die Besucherinnen und Besucher im Museum für Sepulkralkultur in Kassel.

Videobeitrag

Ausstellung "Hier und Jetzt" in Kassel

hs 1.02.2025
Bild © hessenschau.de
Ende des Videobeitrags

Weitere Worte und Wortketten sind eingeritzt, in Stein gehauen und coloriert, auf eindrucksvollen Holz- und Steinarbeiten des Vogelsberger Künstlers. Die verschwungenen Buchstaben erschließen sich erst bei der intensiven Auseinandersetztung mit dem, was da geschrieben steht.

Ausstellungsraum mit morbidem Charme

In der Rotunde hat Müller die perfekte Umgebung für seine Kunst gefunden. Zwei steile Treppen führen in den halbrunden Raum mit den großen Fenstern, die zu einem Blick über Kassels Südstadt bis in die Söhre einladen.

Wie ein Triptychon angeordnet hängen drei Werke an einer weißen wand. Sie sind gold und orange gestaltet und zeigen teilweise ein Kästchenmuster.
Wie ein Triptychon angeordnet hängen drei Werke im Innenraum. Bild © Stefanie Küster/hr

Das Museum ist dringend sanierungsbedürftig. Backsteinwände und marode Decken verströmen einen morbiden Charme. Passend zur Kunst, die der 33-Jährige zum Teil extra für die Ausstellung gearbeitet hat.

Referenz zur ständigen Sammlung

Die Ausstellung läuft bis zum 4. Mai und trägt bewusst den Namen "Hier und Jetzt", wie Museumschef Dirk Pörschmann erklärt. "Wenn man die Endlichkeit des Lebens verstehen will, muss man im Hier und Jetzt wirklich präsent sein."

"Hier und Jetzt" ist die aktuellste von insgesamt 130 Ausstellungen in den letzten 33 Jahren seit Bestehen des Museums. Hier entstehe der Bezug vor allem über das Material, erklärt Pörschmann.

Eine große, runde Ausstellungshalle. Zum Teil sind alte Backsteine zu sehen. Im Mittelpunkt sind Kunstwerke aus Holz und Stein. Dort sind Worte und Zeichnungen eingeritzt und coloriert.
Müllers Kunst - und ein Blick über die Kasseler Südstadt. Bild © Stefanie Küster/hr

Dazu habe Müller Kunstwerke entwickelt, die direkt eine Referenz zu Arbeiten der ständigen Sammlung nehmen.

Prinzip der Wiederholung

Skulptur und Objekt, Zeichnung und Malerei - oder irgendwas dazwischen: Seinem Publikum macht es Müller nicht leicht. Seine Werke sind ästhetisch und lassen sich oberflächlich leicht konsumieren. Doch wer genauer eintauchen will, braucht Zeit und muss sich mit den großformatigen Stücken aus Holz und Stein beschäftigen.

Das Detail einer Zeichnung zeigt einen Geist, überlagert vom Horn eines Steinbocks. Es ist hellgelb und rot coloriert. Man erkennt feine Striche.
Das Detail einer Zeichnung zeigt einen Geist, überlagert vom Horn eines Steinbocks. Bild © Stefanie Küster/hr

Zu entdecken gibt es wiederkehrende Motive wie den Steinbock oder einen von dem Künstler Hans Baldung Grien inspirierten Geist. Das Prinzip der Wiederholung sei spezifisch für seine Arbeits- und Herangehensweise, sagt Müller. Dabei tauche diese als Überlagerung auf - in einer Abwandlung.

Werke der Vergänglichkeit - und der Erinnerung

Müller wurde 1992 in Schlüchtern im Vogelsbergkreis geboren. Sein Vater ist Steinmetz, Müller arbeitet noch heute im elterlichen Betrieb. Er studierte Bildende Künste in Karlsruhe und war Meisterschüler von Stephan Balkenhol, einem bekannten Bildhauer aus Fritzlar (Schwalm-Eder). Von ihm stammt die Figur eines Mannes im Turm der Kasseler Elisabethkirche.

Müller arbeitet vor allem mit Holz und Stein. Er setzt sich in seinen Werken mit Vergänglichkeit und Erinnerung auseinander. Dabei verwendet er ausgediente Grabsteine. Er will damit nicht nur die Steine recyceln, sondern auch die Gedanken und Erinnerungen an einen Menschen bewahren.

Tod als "Bewusstseinsschärfung für das Leben" begreifen

Er werde durch seine Tätigkeit als Steinmetz täglich mit dem Tod konfrontiert, erklärt Müller. Der sei für ihn eine "Bewusstseinsschärfung für das Leben im Hier und Jetzt". Damit will der Künstler dafür werben, sich "nicht zu sehr mit dem Jenseits beschäftigen".

Ein Mann steht mit verschränkten Armen an eine Säule gelehnt. Hinter ihm ein Kunstwerke aus Holz. Dort sind Worte und ein Lebensbaum eingeritzt und mit gelb, orange und flieder coloriert.
Till Müller vor seinem Werk: es zeigt einen Lebensbaum. Ein Exponat aus dem Museum hat ihn dazu inspiriert. Bild © Stefanie Küster/hr

Man solle sich aber trotzdem darüber bewusst sein, dass das Leben endlich ist. Nur so könne man "aktiv und dankbar das wahrnehmen, was uns in unserem Alltag, in unserer Gesellschaft, in unserem Umfeld geboten wird."

Upcycling von Grabsteinen

Für den Museumschef sind Müllers Arbeiten "Upcycling im allerbesten Sinn". Normalerweise landeten alte Grabsteine im Schredder und später als Baumaterial im Untergrund unserer Straßen.

So erfahren sie einen neuen Nutzen, sind aber nicht mehr sichtbar. Und das, obwohl die Steine laut Pörschmann "mal wichtige Objekte für diejenigen, die trauern, gewesen sind."

Die Steine seien einst "mit Liebe gestaltet" worden, betont Pörschmann und hätten übertragen gesehen "eine lange Zeit der Trauer gesehen". Müller habe das "tolle Material" für seine künstlerische Arbeit verwendet. So sind die ehemals aussortierten Steine weiterhin sichtbar, statt für immer zu verschwinden.

Weitere Informationen

"Hier und Jetzt" im Museum für Sepulkralkultur

Die Ausstellung von Till Müller ist vom 14. Februar bis 4. Mai zu sehen. Das Museum ist Dienstags bis Sonntags jeweils von 10 bis 17 Uhr geöffnet, mittwochs bis 20 Uhr. An diesem Tag findet um 17 Uhr eine öffentliche Führung statt.

Ende der weiteren Informationen
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de mit Material von Jochen Schmidt (hr)