Ausstellung im Frankfurter Städel Warum Käthe Kollwitz eine Ausnahmekünstlerin war
Sie machte Karriere in einer Zeit, in der das für Frauen keine Selbstverständlichkeit war: Käthe Kollwitz gilt als berühmteste deutsche Künstlerin des 20. Jahrhunderts. Das Städel zeichnet ihren Weg in einer Ausstellung nach.
Hunderte Straßen, Wege und Schulen sind deutschlandweit nach ihr benannt, sogar Briefmarken schmückte sie schon: Im Alltag kommt man an dem Namen Käthe Kollwitz kaum vorbei.
Die Malerin, Bildhauerein und Grafikerin gilt als eine der berühmtesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts - und bekommt trotzdem nur selten Ausstellungen gewidmet. Das Städel Museum in Frankfurt ändert das nun und zeigt, warum Künstlerin und Werk bis heute nachhallen.
Sie ist bekannt wie keine andere - und doch unbekannt
Ein Mann streckt seinen rechten Arm zum Schwur nach oben, die linke Hand liegt auf seinem Herzen. "Nie wieder Krieg!", steht daneben. Käthe Kollwitz' Plakat für die Sozialistische Arbeiterjugend in Leipzig ist bis heute das wohl bekannteste Anti-Kriegsplakat.
Schon zu Lebzeiten war sie nicht nur in Deutschland, sondern auch international populär und wirtschaftlich erfolgreich. "Ihr Schaffen hat bis in die USA und nach China gewirkt", sagt Städel-Direktor Philipp Demandt. Es gebe wohl keine andere Künstlerin in Deutschland, die sich so selbstbestimmt und zielstrebig eine so frühe und anhaltende Karriere erstritten habe.
Trotzdem wüssten viele Menschen nichts mit dem Namen Kollwitz anzufangen, weiß Kuratorin Regina Freyberger. "Oder sie kennen ihre Arbeiterbildnisse und tristen Elendsgrafiken und haben Vorbehalte, sich damit näher zu befassen." Möglicherweise auch, weil die Künstlerin besonders nach 1945 politisch instrumentalisiert wurde.
Sie ging ihren eigenen Weg
Käthe Kollwitz machte in einer Zeit Karriere im Kunstbetrieb, in der das für Frauen keine Selbstverständlichkeit war. "Sie wusste, was sie wollte, und hat sich durchgebissen", sagt Kuratorin Regina Freyberger. Die ausgebildete Malerin Kollwitz habe sich dazu entschieden, in die Druckgrafik zu gehen - obwohl Malerei damals das prominenteste Medium gewesen sei.
"Sie hat festgestellt, dass sie in der Malerei nicht so frei ist wie in der Druckgrafik", erklärt Freyberger. Kollwitz sei es nicht darum gegangen, eine Idylle zu kreieren. Vielmehr habe sie die Welt zeigen wollen, wie sie ist - und sie damit auch verändern wollen.
Dabei habe sie sich ebenso Stilmitteln des Realismus bedient wie Elementen des Symbolismus, der Fotografie und des Films. "Sie geht nah ran ans Geschehen, man ist als Betrachter sofort mittendrin", so die Kuratorin. "Das gelingt ihr, weil sie nicht realistisch abbildet, sondern inszeniert."
Ihre Themen sind hochmodern
Von Hunger verhärmte Gesichter, verzweifelte Arbeiter, Mütter, die um ihre toten Kinder trauern - in ihrer Kunst beschäftigte sich Käthe Kollwitz mit - auch heute noch - existenziellen und sozialen Grundfragen wie Mutterschaft, Krieg und Tod. Dabei schreckte sie auch nicht davor zurück, politisch Stellung zu beziehen. "Kollwitz hat sich nie gescheut, unbequem zu sein", sagt Freyberger.
Für Kollwitz habe Kunst einen Zweck verfolgen müssen. Das zeigten etwa ihre ikonischen Zyklen "Ein Weberaufstand" und "Bauernkrieg" sowie die sieben Holzschnitte "Krieg". Darin verarbeitete sie ihre eigene Trauer um ihren im Ersten Weltkrieg gefallenen Sohn Peter.
Außerdem gestaltete sie Flugblätter, etwa gegen Abtreibungsparagrafen. "Sie hat sich aber weniger für die Auftraggeber der Plakate als für ihr Anliegen interessiert. Es ging immer darum: Wo kann ich helfen?", so Freyberger. Die Partei eines Auftraggebers sei für Kollwitz nicht relevant gewesen - und sie selbst niemals Mitglied einer Partei.
Sie überforderte die männlich dominierte Kunstszene
Auch in ihren Motiven hat sich Kollwitz gegen alles gestellt, was man damals von Frauen kannte: Bei ihr gab es weder Stillleben noch Landschaften oder Porträts. "Da war nichts Gefälliges", so Freyberger. "Sogar ihre Selbstbildnisse sind spröde."
Das Bild "Frau mit totem Kind" etwa sei "ganz untypisch". Es zeigt eine Mutter, die ihren toten Sohn umarmt. Wo ihr Körper anfängt und seiner aufhört, ist kaum noch zu erkennen. "Dieses Vampirhafte hat die Leute verblüfft und verwundert", sagt die Kuratorin. "So hat man sich Mutterschaft oder Mutterglück nicht vorgestellt."
Damit habe die Grafikerin die männlich dominierte Kunstkritik vor eine Herausforderung gestellt. "Die Kunstszene hat schnell realisiert, dass da jemand ist, der weiß, was er tut, aber nicht in die klassischen Schubladen passt", erklärt Freyberger. Man habe nicht gewusst, mit welchen Vokabeln man Kollwitz beschreiben solle - und oftmals das Wort "männlich" verwendet.
Erst gefeiert, dann verfolgt
Kein anderer deutscher Künstler habe eine so breite künstlerische, soziale und politische Rezeption erfahren wie Käthe Kollwitz, sagt Städel-Direktor Philipp Demandt. Der Blick auf sie sei aber gefärbt durch prägende Deutungen.
Während sie in der Weimarer Republik Anerkennung genoss und als erste Frau an die Berliner Akademie der Künste berufen wurde, diffamierten die Nazis ihr Werk als "Entartete Kunst" und verboten Ausstellungen.
Nach ihrem Tod wurde um sie gebuhlt
Nach dem Zweiten Weltkrieg wollten sie schließlich beide Teile Deutschlands als moralische Ikone vereinnahmen: Der Westen sah sie als Humanistin, der Osten - auch wegen ihrer Arbeiten für unter anderem die Sozialistische Arbeiterjugend und über Karl Liebknecht - als Vorreiterin des Sozialismus.
"Für beide Staaten war sie ein gutes Vorbild, weil sie sich in der Nazizeit moralisch nichts zu Schaden kommen lassen hat", so Kuratorin Freyberger. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) entschied 1993 schließlich, dass eine Vergrößerung eines Kunstwerks von Kollwitz in der Neuen Wache in Berlin und damit einer zentralen Gedenkstätte des wieder geeinten Deutschlands stehen sollte.
Sendung: hr2, 20.03.2024, 7.35 Uhr
Redaktion: Yvonne Koch, Anna Lisa Lüft