Ausstellung in der Schirn Frankfurt Hans Haacke: Wenn Kunst investigativ wird
Hans Haacke ist eine lebende Legende der politischen Konzeptkunst und mit 88 Jahren noch lange nicht im Ruhestand. Seine Arbeiten sind aktueller denn je. Das zeigt eine Retrospektive in der Frankfurter Schirn, die provoziert.
Das größte Exponat der Ausstellung in der Frankfurter Schirn könnte aus dem Senckenberg-Museum entflohen sein und salutiert vor dem Eingang der Kunsthalle: Das "Gift Horse" (2014), ein überdimensionales Pferdeskelett. Den Vorderlauf der Bronzeskulptur ziert eine Schleife mit LED-Anzeige, auf dem die Frankfurter Börsenkurse in Echtzeit abgebildet werden.
Im Obergeschoss beginnt der Rundgang der Ausstellung mit Frühwerken von Hans Haacke. Mitten im Raum schwebt ein königsblaues Chiffontuch in der Horizontalen. Das "Blue Sail" (1965) bewegt sich im Wind, angetrieben von einem Ventilator, wie ein lebendiges Wesen, so elegant wie ein Kranich. Ein paar Schritte weiter pulsiert Wasser durch ein durchsichtiges Schlauchsystem, das an einen Blutkreislauf erinnert.
"Gras Grows" (1967-69) ist ein Stück sattgrüner Rasen, das sich wie eine Pyramide in die Höhe reckt. Haackes künstlerische Fingerspiele mit "installierter" Natur sind verwirrend und inspirierend zugleich.
Mit rund 70 Gemälden, Fotografien, Objekten, Installationen, Drucken, Plakaten und einem Film zeigt die Retrospektive, wie Hans Haacke vom examinierten Kunsterzieher aus Kassel zu einem der weltweit wichtigsten politischen Künstler wurde. Doch er sei kein Provokateur, sondern wolle zum Denken anregen, wie er selbst sagt.
Kunst, verstehbar für alle
Bei Hans Haacke hat alles mit allem zu tun: Er beschreibt die Welt als ein "Supersystem mit vielen Untersystemen, die sich gegenseitig beeinflussen". Das klingt kompliziert, ist es aber nicht. Seine Botschaften sind direkt und alltagsbezogen, oft garniert mit Ironie und Humor, Poesie und Metaphorik. "Wir verstehen intuitiv, um was es geht, ohne Begleitttexte lesen zu müssen", konstatiert Ingrid Pfeiffer, Kuratorin der Ausstellung.
Er bezieht den Betrachter mit ein und bewegt ihn zu einer Auseinandersetzung mit seinen Exponaten. Dieser Mechanismus zieht sich als roter Faden durch die Retrospektive, ebenso wie diese drei Eigenschaften des Künstlers:
Der Systemische Denker
"Die Grundlage meiner Arbeit ist, in Systemen zu denken, Systeme zu erzeugen, in bestehende Systeme einzugreifen und diese offenzulegen", konstatiert Haacke. Als Vertreter des Systemischen Denkens und Pionier der ökologischen Kunst thematisierte er schon 1970 die Verschmutzung der Weltmeere.
Für seine Arbeit "Denkmal der Strandverschmutzung" sammelte er Abfall von einem Strandabschnitt an der spanischen Mittelmeerküste und schichtete ihn zu einem Haufen auf.
Der Institutionskritiker
Hans Haackes Atelier ist die Welt der Gegenwart. Er ist ein fanatischer Zeitungsleser, akribischer Faktensammler und Archivforscher. Er nutzt seine Recherchen und Fakten, um politische, ökologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Missverhältnisse und Machtverhältnisse aufzuzeigen. "Ich bin misstrauisch gegenüber Etiketten, ganz gleich welchen", beschreibt der Künstler seine Motivation.
1971 flog er mit seiner Dokumentation "Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings" aus dem New Yorker Guggenheim Museum, weil er akribisch das undurchsichtige Unternehmensgeflecht untersuchte und die Monopolbildung der New Yorker Shapolsy-Immobiliengruppe aufzeigte.
Haacke wurde 12 Jahre in keinem amerikanischen Museum gezeigt und war von Zensur bedroht. "Das hat ihn nie von der Arbeit abgehalten", sagt Kuratorin Ingrid Pfeiffer und ergänzt: "Er ist der Überzeugung, dass Künstler etwas bewegen können und sieht die Reaktion auf seine Arbeit als ebenso wichtig an, wie das Kunstwerk selbst."
Der überzeugte Demokrat
Hans Haacke gilt als glühender Verfechter der Demokratie und setzt sich kritisch mit politischen Systemen auseinander. Hierfür steht auch sein frühes Werk "MoMa Poll" (1970): Die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung "Information" im New Yorker Museum of Modern Art wurden nach ihrer politischen Überzeugung befragt: Die Frage bezog sich auf den Republikaner Nelson Rockefeller, der 1970 zur Wiederrwahl als Gouvener des Staates New York antrat.
Analog zu "MoMa Poll" gibt es auch in der Schirn eine Publikumsbefragung: In der "Schirn Poll" werden 12 Fragen zu verschiedenen Lebensbereichen gestellt, die beantwortet werden sollen.
Eine Dokumentation von Haackes jüngster Arbeit befindet sich am Ende des Rundgangs: "Der Bevölkerung" (2000). Dazu legte er im Innenhof des Bundestags ein Blumenbeet an, zu dem die Abgeordneten Erde aus ihren Wahlkreisen beisteuern sollten, und schrieb in Neon-Lettern die Zueignung "Der Bevölkerung" hinein. Das im Laufe der Zeit wachsende Biotop soll unangetastet bleiben.
Zwei Jahre zuvor wurde Haacke vom Deutschen Bundestag eingeladen, um ein Konzept zur künstlerischen Gestaltung des Lichthofs zu entwickeln. Der Kunstbeirat des Parlaments entschied sich für dessen Umsetzung. Die Annahme des Entwurfs löste eine heftige Diskussion aus, die zu einer Bundestagsdebatte führte.
Haackes politische Kunst sei "gerade jetzt, in einer Zeit, in der Demokratien weltweit unter Druck stehen, von größter Relevanz", betont Sebastian Baden, Direktor der Schirn. Der deutsch-amerikanische Künstler "hat auf vielen Ebenen Türen aufgestoßen, sich ständig weiterentwickelt und verändert", beschreibt Kuratorin Ingrid Pfeiffer das Oevre von Haacke. Dessen Credo lautet schlicht: "Veränderung ist das einzig Bleibende".
Sendung: hr2, 07.11.2024, 05.00 Uhr
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