Einzigartige Ausstellung in der Frankfurter Schirn Die unentdeckten Seiten des Lyonel Feininger
Feininger - das ist doch der, der immer die gleiche Kirche malt und Landschaften aus geometrischen Formen? Von wegen. In der Frankfurter Schirn sind so viele verschiedene Werke dieses Vertreters der klassischen Moderne zu sehen wie noch nie zuvor.
Der Deutsch-Amerikaner Lyonel Feininger (1871-1956) war eine schillernde Persönlichkeit: Die Maler Wassily Kandinsky, Paul Klee und Franz Marc zählten zu seinen Freuden. Walter Gropius machte ihn zum ersten Meister an der Bauhaus-Kunstschule und seine Karikaturen begeisterten Leser in Deutschland, Frankreich und den USA.
Nach ihm wurde ein Asteroid benannt, eine Sonderbriefmarke mit einem Bild von ihm gedruckt und sogar zwei Radwege tragen seinen Namen.
In einer Retrospektive der Frankfurter Kunsthalle Schirn werden jetzt bis Februar erstmals 160 Werke des Künstlers gezeigt, die noch nie zusammen ausgestellt wurden. Fünf Gründe, warum diese Ausstellung sehenswert ist:
1. Das gab’s so noch nie
Lyonel Feininger ist weit über 80 Jahre alt geworden und gezeichnet hat er eigentlich immer. Die Schirn-Ausstellung schafft es, Werke aus der kompletten Schaffensperiode zu zeigen.
"Das hat es noch nie gegeben", betont die Kuratorin der Ausstellung, Ingrid Pfeiffer. Dafür wurden mit enormen Aufwand Feininger-Werke unter anderem aus zehn verschiedenen amerikanischen Museen geliehen. 160 Werke sind so zusammengekommen.
Und zwar nicht nur Bilder, sondern auch Skizzen, selbst kreiertes Spielzeug und vor allem auch Fotografien, die der Künstler selbst gemacht hat.
"Er hat 20.000 Fotos hinterlassen, von denen lange niemand wusste. Gesehen hat die bisher fast niemand, bis auf eine Handvoll Experten", betont die Kuratorin und ist stolz, dass einige davon zum ersten Mal ausgestellt werden.
2. Feininger kann auch lustig
Wer einmal einen Feininger gesehen hat, erkennt ihn immer wieder – stimmt und doch auch wieder nicht. Denn die meisten kennen nur seine Bilder, die wie in geometrische Formen zerlegt wirken.
Die wenigsten wissen, dass er zuerst Karikaturist war und sogar Comics gezeichnet hat, die nicht nur lustig, sondern auch bunt und knallig waren. Vor allem aber auch voller Menschen, die er immer in Bewegung darstellt: rennend, weit ausschreitend, tanzend, die Männer meist mit Zylinderhut.
Außerdem sind in der Ausstellung die "ghosties" zu sehen: kleine, schnell hingeworfene Skizzen mit lustig-eckigen Figuren, die mit Aquarellklecksen versehen sind. Feininger hat sie wohl überall und zu jeder Zeit produziert und gerne an Freunde verschenkt.
3. Kreativer Familienvater
Sein Leben lang war Feininger fasziniert von Schiffen und Lokomotiven, die in seiner Jugend eine technische Revolution darstellten. Schon 1913 hat er angefangen, selbst Spielzeug-Varianten von Loks und Schiffen zu schnitzen und wollte mit einer Münchner Firma sogar in Produktion gehen. Doch dann kam der erste Weltkrieg und es wurde nichts daraus.
Trotzdem ließ ihn Spielzeug nicht los: 1919 schnitzte er zusammen mit seinen drei Söhnen wieder: kleine Häuschen und Figuren, bunt bemalt und oft mit altmodischen Hüten und langen Jacken versehen.
"Es ist mehr als nur Kinderspielzeug. Es hat seine Parallelen auch in seinem Frühwerk als Maler", sagt Kuratorin Pfeiffer. Inspiriert ist dieses "Dorf am Ende der Welt", wie Feininger das Spielzeug nannte, von einer Geschichte seines Freundes Alfred Kubin.
4. Das Suchspiel
160 Feiningers aus verschiedenen Phasen seines Lebens – das lädt geradezu ein, das Typische und Besondere des Künstlers in seinen Kunstwerken zu suchen. So fallen einem Kleinigkeiten auf, die immer wieder aufploppen.
"Das Selbstporträt, das gleich am Eingang hängt, hat ganz stechende grüne Augen. Und diese Augen sieht man nachher wieder in den Kirchen von Gelmeroda, als Auge im Turm, das genauso grün herausleuchtet", hat Ingrid Pfeiffer beobachtet.
Manchmal erinnern Türme oder Gebäude seiner späteren Werke auch an die langgezogenen Figuren mit Hut aus den Karikaturen aus der ersten Karriere.
Oder aber man steht vor einem Bild mit Strichen, bei dem alles aufs Radikalste abstrahiert ist, dreht sich um und sieht dann auf der anderen Seite ein Bild, das dieselben Umrisse hat, aber eine konkrete Häuserschlucht darstellt. Es macht Spaß, diese Überraschungen zu entdecken.
5. 2D wird plastisch
Lyonel Feininger hat sich vom Kubismus inspirieren lassen, vom Expressionismus und von den reduzierten Formen des Bauhauses. Er abstrahiert gerne, zeigt nur das für ihn Wesentliche. Und doch entstehen bei den Original-Gemälden manchmal ganz besondere Effekte, wenn man direkt davor steht.
Da scheinen die wie aus Papier gefalteten Radler sich plötzlich zu bewegen, die Figuren wie in einem 3-D-Effekt aus dem Bilderrahmen zu ragen. Eine sitzende Figur scheint die Position zu ändern, wenn man von einer Seite zur anderen geht.
"Die haben eine Tiefe und eine Plastizität, die man nur wirklich vor dem Bild sieht", sagt Kuratorin Pfeiffer. "Und das ist der Grund, warum wir Originale zeigen. Das alles geht nicht im Internet, im Katalog, auf dem Bildschirm."
Sendung: hr2, 27.10.2023, 6 Uhr
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