Ausstellung über Jüdische Gemeinde Frankfurt Geschichten des Aufbauens, Aufbegehrens und Auflebens
Mit einer Ausstellung feiert die Jüdische Gemeinde Frankfurt ihr 75-jähriges Bestehen. Zeitzeugen-Interviews, Fotos und Dokumente aus privaten Archiven geben einen Einblick in ihre bewegte Geschichte. Die Macher wollen so jüdisches Leben greifbar machen.
Sie breitet die Arme aus und springt ins kalte Wasser: Das Bild, das die Jüdische Gemeinde Frankfurt für die Plakate zur Ausstellung "Auf Leben" zu ihrem 75-jährigen Bestehen gewählt hat, zeigt Schülerinnen der Isaak Emil Lichtigfeld-Schule beim Schwimmunterricht im Stadtbad Mitte in den 1970er-Jahren.
Das Bild passt zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde Frankfurt - den bildlichen Sprung ins kalte Wasser wagte sie nämlich auch 1948, als Jüdinnen und Juden nach der Verfolgung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg die Gemeinde in Frankfurt wiederbegründeten.
Ausstellung zeigt Neubeginn im Land der Täter
Am Anfang habe es es Diskussionen darüber gegeben, ob das nach den Geschehnissen der Shoah überhaupt möglich sei, sagt Kurator Fedor Besseler. Doch die Gründungsmitglieder hätten den Mut gehabt, Neues zu schaffen und vorwärts zu streben.
"Die Gemeinschaft trägt und schützt den Einzelnen, hilft ihm in seinen Nöten, und gibt ihm Rückhalt und Festigkeit zum Aufbau seines Lebens", sagte Gründungsmitglied Cilly Neuhaus damals. Sie zählte zu den Überlebenden, die aus dem Ghetto Theresienstadt nach Frankfurt zurückkehrten.
75 Jahre später zeigt die Ausstellung im Ignatz-Bubis-Gemeindezentrum anhand von Fotos, Tagebucheinträgen, Zeitungsausschnitten sowie Ton- und Filmaufnahmen, welche Themen das Leben in der Jüdischen Gemeinde seitdem geprägt haben. Zwei Karten geben außerdem einen Überblick über jüdisch geprägte Orte der Stadt.
75 Jahre in 12 Stationen
Die Exponate vermitteln innerjüdische Perspektiven - zum Beispiel, wie es sich auf die Gemeinde ausgewirkt hat, dass zu Beginn der 1990er-Jahre viele Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Frankfurt gekommen sind und sich der Gemeinde anschlossen haben.
In insgesamt 12 Stationen wird aber auch vermittelt, wie Ereignisse von außen die Gemeinde geprägt haben: der Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 etwa, die Corona-Pandemie oder der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit verbundene Ankunft von Geflüchteten.
Exponate aus privaten Archiven
Sie wollten den Besucherinnen und Besuchern vor Augen führen, dass das vielfältige jüdische Leben in Frankfurt nur so unter dem Dach einer Gemeinde entstehen konnte, sagen Besseler und seine Kollegin Laura Schilling.
Für die Ausstellung haben sie das Heidelberger Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland durchforstet, aber auch viele private Archive von Gemeindemitgliedern. Viele Exponate werden erstmals öffentlich gezeigt.
Trinkspruch als Namensgeber
Dabei entdeckten die Kuratoren auch Überraschendes, etwa Fotos von Tanzveranstaltungen in den 1960er-Jahren. "Ich dachte, dass die Stimmung in der Gemeinde damals allgemein gedrückt war, weil die Menschen traumatisiert waren", so Besseler. Die Fotos zeigten aber, dass es auch Vergnügen gab. "Auch das ist Teil der Gemeindegeschichte."
Diese Einstellung zum Leben findet sich auch im Titel der Schau: "Auf Leben" ist angelehnt an den hebräischen Trinkspruch "L'Chaim", der so viel bedeutet wie "Auf das Leben".
Gemeindevorstand: Erheben unsere Stimme
Für Marc Grünbaum, Vorstand und Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, ist die Ausstellung nicht nur ein Anlass zum Zurückblicken. "Die Gemeinde stand und steht immer dafür, ihre Stimme zu erheben und für sich einzutreten - sehr selbstbewusst", sagt er mit Blick auf die Zukunft. Sie sei aber auch "im Kampf um eine Gesamtgesellschaft, in der jüdisches Leben möglich ist".
Die Ausstellung richte sich deshalb auch an Menschen, die nicht jüdischen Glaubens sind, sagt Kuratorin Schilling. "Hier bietet sich eine Möglichkeit, in den Dialog zu gehen und auch mal ins Gemeindezentrum zu kommen - einem lebhaften Ort, an dem dieses jüdische Leben greifbar wird."
Das Attentat der Hamas auf Israel vom 7. Oktober habe noch einmal gezeigt, "wie mörderisch der Antisemitismus auch in Deutschland ist". Es sei wichtig, dem gegenüber die Vielfalt und Lebendigkeit von jüdischem Leben zu betonen.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 20.12.2023, 19.30 Uhr
Redaktion: Anna Lisa Lüft