Sonja Yakovleva im Frankfurter Kunstverein Diese Künstlerin polarisiert mit Scherenschnitten
Wer an Scherenschnitte denkt, hat nicht unbedingt die große Kunst vor Augen. Sonja Yakovleva aber zeigt, wie aus Pappe, einem Skalpell und viel Fleißarbeit monumentale und Sex-positive Kunstwerke entstehen können. Im Frankfurter Kunstverein präsentiert sie jetzt noch eine andere Seite.
Sonja Yakovleva ist genervt. Mit starrem, nach oben geheftetem Blick steht sie auf einer Leiter im Frankfurter Kunstverein und befestigt Pappe, die sich von der Decke gelöst hat. "Richtige Strafarbeit", schimpft sie vor sich hin, und warum sie sich diese "Ausgeburt an Arbeit" eigentlich zusammenfantasiert habe.
Die Ausgeburt an Arbeit, wie Yakovleva es nennt, sind 240 quadratische Papierarbeiten mit unterschiedlichen Motiven, die auf leuchtendem Untergrund an der Decke des Frankfurter Kunstvereins angebracht werden.
Auf die Ausstellung "Wer hat Macht? Körper im Streik" hat sie monatelang in ihrem Frankfurter Atelier hingearbeitet. "Kunstgefängnis" nennt sie den Zustand, von morgens früh bis spät in die Nacht zu schuften. Denn Fleiß ist neben Kreativität ein wesentlicher Teil ihrer Arbeit.
Mit dem Skalpell in die Kunstwelt
Sonja Yakovleva macht das, was gerne als verstaubt, altbacken oder abwertend "weiblich" gelabelt wird: Scherenschnitte. Dabei wird ein Motiv auf Papier vorgezeichnet und mithilfe eines Skalpells oder eben einer Schere so ausgeschnitten, dass ein Bild entsteht.
Während ihres Studiums an der Hochschule für Gestaltung Offenbach (HfG) ist sie dieser Technik nähergekommen. Die "coolen Jungs" aus ihrem Jahrgang hätten sie dafür öfter mal belächelt. "Das war auch so die Graffiti-Ära", sagt Yakovleva. "Die ganzen Leute haben gesprüht und ich habe wie ein Idiot ausgeschnitten."
Pornografie mit Aussage
Die 1989 in Potsdam geborene und im russischen St. Petersburg aufgewachsene Sonja Yakovleva ist wild, aufgedreht und provokant. Das zeigt auch ihre Kunst.
Yakovlevas Scherenschnitte sind Sex-positiv feministisch und stehen im vermeintlichen Gegensatz zum braven Scherenschnitt. Sie zeigen Männer mit erigierten Penissen, nackte Frauen mit gespreizten Beinen, die selbstbewusst auf den einen oder anderen Sexpartner warten oder eine Meerjungfrau, die Flüssigkeit aus ihren vollen Brüsten spritzt. Auch Dessous und Dildos werden von ihr kunstvoll ausgeschnitten.
Ihre pornografischen Darstellungen sind dabei keineswegs platt, sie zeigen vielmehr ein Spektrum von Machtverhältnissen, weiblicher Lust, aber auch Gewalt. Der Scherenschnitt sei besonders für diese Motive geeignet, findet Yakovleva. "Er ist ein gutes Vehikel, um unangenehme Sachen darin einzupacken."
Kunst mit Botschaft
Für die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein rücken die pornografischen Motive in den Hintergrund. Doch der Fokus auf Körpern und Gesellschaftskritik bleibt. Sonja Yakovleva hat sich dem Schönheits- und Optimierungskult gewidmet.
Die 240 Kacheln an der Lichtdecke zeigen Menschen, die unter Druck und Qualen das vermeintlich Beste aus ihrem Körper herausholen - mit Kraftsport, Proteinshakes oder der perfekten Pose.
Einen Raum weiter ist ein zehn Meter großer schwarzer Scherenschnitt mit Zeichnung aufgebaut. Das Thema hier: Menschen im Streik - oder eben nicht im Streik, weil sie auf ihre prekäre Arbeit angewiesen sind oder keine Gewerkschaft hinter ihnen steht.
Gesellschaftskritisch, aber nicht politisch
Yakovleva ist bekannt für ihre monumentale Arbeiten. Die Idee, "groß" zu arbeiten, verdanke sie einem ihrer ehemaligen Professoren. "Auch so ein Klassiker der Gegenwartskunst: Egal, was du machst, mach es einfach groß", sagt sie grinsend.
Zu ernst und vor allem zu politisch will Yakovleva ihre Kunst aber nicht verstehen: Sie erfülle nicht die Rolle der Politik. Kritisch äußert sie sich trotzdem - zum Beispiel über die Arbeitsbedingungen einer Künstlerin. Man sei komplett auf sich gestellt.
Streiken, so wie ihre Figuren es auf dem Scherenschnitt machen, würde sich für sie nicht lohnen, sagt sie. Es interessiere niemanden, ob sie im Atelier stehe oder nicht. Von der Kunst zu leben sei ohne den ganz großen Durchbruch oder genügend Kapital in der Rückhand sehr schwer.
Den Kunstbetrieb beschreibt Yakovleva daher als elitär. Im nächsten Moment rudert sie aber zurück und sagt: "Liegt vielleicht einfach daran, dass Kunst eigentlich was Unnötiges ist." Eine Bäckerin brauche man täglich, eine Künstlerin nicht.
Wie eine Beziehung mit dem Material
Ob sie für immer am Scherenschnitt hängen wird, weiß die Künstlerin noch nicht. Die Beziehung beschreibt sie aber als stabil. Der Scherenschnitt sei für sie wie eine Ehe, die sie mit dem Material eingegangen sei.
"Natürlich gibt es schlechte Zeiten und gute Zeiten. Aber wir halten zusammen und stehen das gemeinsam durch", so Yakovleva. Auch wenn der Scherenschnitt sie hin und wieder an ihre Grenzen treibe.
Sendung: hr2, 15.05.2024, 9.15 Uhr
Redaktion: Anna Lisa Lüft