Fotoausstellung zu "Remigration" Das Grauen, das im Unwort schlummert
Seit nunmehr 20 Jahren beschäftigen sich Darmstädter Fotografen mit der visuellen Umsetzung des Unworts des Jahres. Die Jubiläumsausstellung "Remigration" entstand unter speziellen Umständen.
Zwei große Menschengruppen, dicht gedrängt auf einem Feld. Sie blicken den Betrachtenden direkt an, die Gesichtszüge sind teils verzerrt, niemand lächelt. Die Bilder lösen beim Autor dieses Textes zunächst ein diffuses Gefühl des Unbehagens aus, das sich bei näherer Beschäftigung mit dem Werk in handfestes Grauen wandelt.
Die Bilder des Darmstädter Fotografen Nouki sind Teil der jährlich wiederkehrenden Ausstellung "Unwort-Bilder", die sich diesmal mit dem Unwort des Jahres 2023 "Remigration" beschäftigt.
Insgesamt neun Darmstädter Fotografinnen und Fotografen haben dafür je zwei Bilder beigesteuert, die sich auf unterschiedliche Weise mit der Bedeutung oder den gesellschaftlichen Hintergründen des Worts beschäftigen. Die Ausstellung ist vom 8. bis 17. März im Designhaus an der Mathildenhöhe zu sehen.
Im Schatten des Potsdamer Treffens
In diesem Jahr bekommt die Ausstellung eine besondere Aktualität, denn durch die Correctiv-Enthüllungen zum sogenannten Potsdamer Treffen, wo Mitglieder aus AfD, CDU, Werteunion und der Identitären Bewegung die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland planten, ist dem Unwort des vergangenen Jahres noch einmal eine besondere Aufmerksamkeit zuteil geworden.
Viele der diesjährigen Werke sind unter dem Eindruck dieses perfiden Potsdam-Plans entstanden, so auch die Menschenmengen von Nouki. Das Grauen, das aus seiner Visualisierung spricht, erschließt sich in vollem Ausmaß erst durch Kenntnis der Herangehensweise des Künstlers.
Künstliche Intelligenz kreierte Bilder
"Für das eine Bild habe ich eine Künstliche Intelligenz mit Stichworten aus den Protokollen der Wannsee-Konferenz von 1942 gefüttert, wo die Nationalsozialisten den Holocaust planten und koordinierten", erklärt der Fotograf. Das waren unter anderem Begriffe wie "Verbannung", "Arbeitseinsatz" oder "Natürliche Verminderung".
Das rechte Bild sei hingegen mit Zitaten aus dem Jahr 2023 von AfD-Mitgliedern und Identitären zum Thema Remigration entstanden, Zitate aus Potsdam. Hier nutzte Nouki Begriffe wie "großer Austausch", "Rückführung" oder "ethnisch-kulturelle Homogenität".
"Es ging mir darum, das Unwort so objektiv wie möglich darzustellen, ohne meine eigene Sicht einzubringen", so Nouki. Die Gestaltung habe er allein der "neutralen Maschine" überlassen, wie er die Künstliche Intelligenz nennt.
Die Bilder sehen sich erschreckend ähnlich. Das wahre Grauen liegt aber im Detail: Tatsächlich erinnert das Bild, das mit den Zitaten aus 2023 entstanden ist, noch einmal mehr an die Bilder etwa von deportierten Juden in Konzentrationslagern im Dritten Reich.
Die Baracken und die ärmliche Kleidung verleihen dem Bild "einen historischen Anstrich", sagt Nouki, der von der beklemmenden Atmosphäre der Ergebnisse selbst überrascht war.
Imposante Orte mit dunkler Geschichte
Wie sich die Ereignisse von Wannsee und Potsdam in ihrer Inszenierung und Wortwahl gleichen, unterstreicht auch das Werk von Fotograf Jens Mangelsen. Er hat die Orte der beiden Treffen – links die ehemalige Villa Marlier am Berliner Wannsee, rechts die ehemalige Adlon Villa am Potsdamer Lehnitzsee – nebeneinandergestellt. Imposante Orte mit dunkler Geschichte.
Gerade einmal 18 Kilometer liegen zwischen den beiden Häusern, in denen die menschenverachtenden Pläne geschmiedet wurden.
"Das Unwort wurde ja im Januar bekanntgegeben, kurz nachdem das mit Potsdam an die Öffentlichkeit kam. Da ist mir sofort die Wannsee-Konferenz ins Gedächtnis gekommen. In beiden Fällen ging es ja im Grunde darum, wie man eine bestimmte Gruppe von Menschen des Landes verweist oder los wird", erklärt Mangelsen seine Herangehensweise.
Bilderpaare im Designhaus
Sieben weitere Bilder-Paare zum Thema "Remigration" hängen ab Donnerstagabend in den Räumen des Designhauses an der Darmstädter Mathildenhöhe. Jedes Bild ist exakt einen Quadratmeter groß, eingespannt in Leuchtkästen.
Retrospektive zum Jubiläum
Die Ausstellung "Unwort-Bilder" feiert in diesem Jahr bereits ihr 20. Jubiläum, seit 2005 ist sie an wechselnden Orten in Darmstadt zu sehen. Zusätzlich zu den aktuellen Werken bekommen die Besucherinnen und Besucher deswegen in einer Retrospektive noch einmal Einblick in ausgewählte "Lieblingswerke" der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler seit der Premiere im Jahr 2005.
Entstanden ist das Projekt aus einer Gruppe von Fotografen heraus, die sich ein Studio teilen, erklärt Jens Steingässer, der wie Nouki zu den Gründungsmitgliedern gehört. "Wir hatten damals die Möglichkeit, Fotos in einem Café auszustellen", erinnert sich Steingässer. "Dann haben wir überlegt, was wir machen können und hatten die Idee mit dem Unwort."
Seit den Anfängen habe sich das Projekt stets weiterentwickelt, die Gruppe sei trotz Ab- und Zugängen immer enger zusammengewachsen. "Das ist glaube ich auch der Grund, warum wir das jedes Jahr wieder machen", sagt Fotografin Julia Essl, die seit 13 Jahren an Bord ist.
Die Chancen, dass es nächstes Jahr die 21. Ausgabe der "Unwort-Bilder" zu sehen gibt, stehen also gut.
Redaktion: Alexandra Müller-Schmieg
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