Schirn Kunsthalle Frankfurt Künstlerin Selma Selman nimmt gerne Statussymbole auseinander
In der Schirn Kunsthalle Frankfurt sind derzeit Werke von Selma Selman zu sehen. Die junge bosnische Romni ist ein Shooting-Star der Kunstszene, gilt gar als "gefährlichste Frau der Welt". Zurecht?
Wer bei Google Selma Selman eingibt, findet Bilder einer jungen Frau, die im engen Kleid mit einer Axt allerlei elektronische Geräte auseinandernimmt oder die mit schwarzer Lederjacke bekleidet auf einem Schrottplatz vor finster dreinblickenden Männern steht. In Texten über Selma Selman heißt es gar, sie sei die "gefährlichste Frau der Welt".
Unter dem Titel "Selma Selman. Flowers of Life" sind bis zum 15. September Werke der jungen bosnischen Künstlerin in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt zu sehen.
Menschen sollen etwas lernen
Betreten die Besuchenden die Ausstellung, laufen sie zunächst auf eine winzig kleine Axt zu - nur minimal größer als für ein Puppenhaus. Sonderlich bedrohlich wirkt das nicht. Die Axt zieht sich nicht nur als Werkzeug, sondern auch als Motiv durch Selmans Werk.
Die Künstlerin - Jahrgang 1991 - mache keine Show, um zu unterhalten, sondern damit die Menschen etwas lernen, sagt sie vor der Eröffnung ihrer Ausstellung. Ob die Besuchenden etwas an ihrem Verständnis von Kunst ändern oder etwas über Roma lernen - Selman hat ein bescheidenes Ziel: Sie erreiche es schon, wenn jemand einfach lerne, wo Bosnien liegt, betont sie.
Fragen nach der Verwertungskultur
Selman ist als Romni in Bosnien-Herzegowina aufgewachsen. Ihre Familie handelt mit Altmetall, der Schrottplatz ist ihr vertraut. Sie zerlegt mit den männlichen Mitgliedern ihrer Familie gerne mal Autos der Marke Mercedes-Benz, aber auch Computer oder andere elektronischen Geräte.
Es geht ihr bei diesen Performances nicht nur darum, Statussymbole auseinanderzunehmen. Im Vordergrund steht, was sich in den Geräten verbirgt: wertvolle Edelmetalle wie Platin oder Gold. Mit den Geräten, die für viele Menschen nur noch Schrott sind, ernähren andere als wertvolle Ressourcen ihre Familien.
Kunst aus der Not entstanden
So besteht die kleine Axt unter der Vitrine aus Platin, das Selman in einer mehrwöchigen Performance mit ihrer Familie aus Autokatalysatoren gewonnen hat. Selmans Umgang mit Materialien könnte als zeitgeistig nachhaltig gefeiert werden. Tatsächlich ist er vor dem Hintergrund ihrer Biographie aus einer Not heraus entstanden: Leinwände konnte sie sich als Teenager nicht leisten, also malte sie auf Autoteile.
Ihre Arbeiten mit dem Altmetall werfen Fragen danach auf, wie wir als Gesellschaft mit Ressourcen umgehen, Wert erzeugen und schätzen. Selman bezeichnet Roma und Romnja als "führende soziale, ökologische und technologische Futurist*innen des Planeten" im 21. Jahrhundert mit ihrem Wissen um Materialkreisläufe und Verwertungsprozesse".
Erinnerungen an den Bosnienkrieg
Gehen die Ausstellungsbesucher weiter, betreten sie einen großen Raum, in dem Mehrschalengreifer auf dem Boden stehen. Die Greifer, mit denen sonst Autos oder größere Mengen Schrott transportiert werden, stehen hier umgedreht auf dem Boden und wirken in ihrer Form wie Blüten. Hydraulische Geräte treiben sie an, sie schließen und öffnen sich wuchtig und haben doch etwas Zartes. Selman hat sie mit kleinen Augen bemalt, mal schauend, mal weinend oder blutunterlaufen.
Im Hintergrund läuft auf einer großen Leinwand der autobiographische Film "Crossing the Blue Bridge", in dem es um die Erinnerungen ihrer Mutter an den Bosnienkrieg geht. Zu sehen ist Selman, wie sie unter anderem über die sogenannte Blaue Brücke geht. Die Brücke führt über den Fluss Una an der Grenze zwischen Bosnien und Kroatien.
Brücke mit Leichen und Kadavern übersät
1994 überquerte ihre Mutter während einer Waffenruhe mit Selmans Schwester die Brücke, die mit Leichen und Tierkadavern übersät war. Dem Kind hielt sie die Augen zu, während sie einen großen Korb mit Lebensmitteln trug.
Selman stellt manche der Bilder aus der Erinnerung ihrer Mutter nach, untermalt sie mit lauter, starker Stimme und verwebt sie mit griechischer Mythologie. Die Geräuschkulisse des Films wird immer lauter und bedrohlicher. Industriell und grell nimmt der Klang den kompletten Ausstellungsraum ein. Für Selman ist ihre Mutter eine Heldin. Sie habe dafür gesorgt, dass aus ihrer Tochter eine starke Frau geworden sei.
Arbeiten von "Dringlichkeit und Präsenz"
Vielleicht ist nicht unbedingt viel von Selmans Kunst in der Schirn zu sehen. Das gibt selbst Kurator Matthias Ulrich zu. Es werden unter anderem noch rund 30 Buntstiftzeichnungen gezeigt, und die Künstlerin präsentiert zur Eröffnung und zum Abschluss der Ausstellung zwei Live-Performances. Aber dafür seien die Arbeiten von Selman von "Dringlichkeit und Präsenz", sagt der Kurator. Selman wolle marginalisierte Gruppen sichtbar machen und stärken.
Den Titel "gefährlichste Frau der Welt" habe sie sich nicht selbst gegeben, sagt Selman. Sie sei eine gebildete Frau und Romni und außerdem "laut und direkt und bereit, die Wahrheit zu sagen", dadurch gelte sie vielen als gefährlich, gar als Bedrohung für die Gesellschaft.
Ihre Kunst müssten die Betrachter nicht unbedingt genießen, sagt Selman. Wichtig sei ihr, dass sie ihr offen begegnen.
Sendung: hr2, 20.06.2024, 8.22 Uhr
Redaktion: Sonja Fouraté