Bad Hersfelder Festspiele Eine starke Frau als König und eine mitreißende Rockoper
Mit der Shakespeare-Inszenierung "König Lear" sind die Bad Hersfelder Festspiele in die neue Saison gestartet. Schauspielerin Charlotte Schwab zeigte eine grandiose Leistung - und reagierte souverän auf eine Panne. Tags drauf wurde es sehr nass auf der Bühne.
Ein ereignisreiches Auftakt-Wochenende haben die Bad Hersfelder Festspiele zu Beginn des Freilicht-Theaterfestivals in diesem Sommer erlebt. Dabei gab es am mehr Spannung und Aufregung, als den Festspiel-Machern lieb war. Am Freitagabend kam es zu einer seltenen Panne. Sie wurde zwar gut gemanagt. Lange in Erinnerung bleiben wird sie in der mehr als 70-jährigen Festspiel-Geschichte dennoch.
Noch beim Festakt mit politischer Prominenz - Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Ministerpräsident Boris Rhein Hessens (CDU) sprachen - ging alles seinen geregelten Gang. In seiner Festrede erinnerte der ehemalige Intendant des Staatstheaters Kassel, Thomas Bockelmann, an die Einzigartigkeit des Wirkens im Theater - im Gegensatz zu Film und Fernsehen. "Es gibt Theatermomente, die wir noch nach Jahren erinnern, weil sie uns berührt haben."
Tücken der Technik
Und wenige Stunden später - nach dem Festakt und bunten Treiben auf dem Roten Teppich - ereignete sich just solch ein Moment: Eine Panne, die als sympathischer Aussetzer und besondere Randnotiz bei dem Auftaktstück "König Lear" im Gedächtnis bleiben wird. Tücken der Technik eben.
Nach rund einer Stunde drangen plötzlich ohrenbetäubend laute Knallgeräusche aus den Sound-Anlagen. Zuschauer zuckten zusammen, suchten mit irritierten und fragenden Blicken nach Antworten. Gehört das zum Stück? Ein verrückter Einfall aus der Kreativ-Abteilung?
Nein, es handelte sich um eine massive Ton-Störung. Es gab Probleme mit dem Mischpult. Das führte zu einer minutenlangen Unterbrechung der Aufführung. Als auch noch die Mini-Mikros der Schauspieler verstummten, war das Malheur komplett.
Hauptdarstellerin Schwab schlagfertig
Ein auf die Bühne geeilter Techniker erklärte: "Wir haben eine Störung in der Leitung." Charlotte Schwab, die als Hauptdarstellerin den König Lear spielte und gerade im Dialog war, merkte an: "Ich nicht!" Für ihre Schlagfertigkeit gab es Applaus. Schwab hatte zudem vor, auch ohne Mikrofon-Unterstützung weiterzuspielen. Ihre starke Stimme hätte es womöglich zugelassen. Dazu kam es aber nicht. Nach fünfminütiger Zwangspause ging es pannenfrei weiter.
Nicht nur in dieser Szene bewies Schwab, was sie für eine beeindruckende Schauspielerin ist. Intendant Joern Hinkel sagt sogar: Es sei ein "Ereignis", sie auf der Bühne zu sehen. Und dieser Einschätzung schlossen sich auch die Zuschauer an. Das Publikum gab Schwab nicht nur Szenen-Applaus bei dem Technik-Trouble, dem sie trotzen wollte.
Sie honorierten auch eine außergewöhnliche Gesamtleistung. Schwab schlüpfte als Frau in die Rolle des Königs. Dieser Auftritt war mit großer Spannung erwartet worden. Denn gerade der König im Shakespeare-Klassiker gilt als das Parade-Beispiel eines Patriarchen, dem man heute ob seines Verhaltens nur noch mit Fremdscham begegnen würde.
Vom Macho zum Pflegefall
Die 70 Jahre alte Charakter-Schauspielerin Schwab (u.a. "Das Duo"/ZDF) verkörperte den alternden Monarchen grandios. Sie präsentierte ihn anfangs als herrischen, selbstverliebten und breitbeinig stolzierenden Macho. Im Verlauf zeigte sie seinen Verfall bis zu einem der Lächerlichkeit preisgegebenen Herrscher und Pflegefall. Der taperte in Unterhosen verwirrt umher und ließ irgendwann alle Hüllen fallen. Alt, runzlig, siechend - und mit entblößtem Gemächt. Die Kostüm-Abteilung leistete ganze Arbeit.
Es war eine dieser vielen unkonventionellen Ideen, die Regisseurin Tina Lanik vom Wiener Burgtheater bei ihrer ersten Hersfeld-Inszenierung auf die Bühne zauberte. So auch, dass sie den Narren durch drei Närrinnen ersetzte. Das Trio umgab den König ständig, zeigte seine Zwiegespräche und Emotionen. Dabei begleitet wurden sie von einer omnipräsenten Celistin, die mit ihrem Streichinstrument für akustische Atmosphäre sorgte.
Rätselhafte Szenen
In der modernen Premiere wird sich dem Publikum aber nicht jede gestalterische Idee auf Anhieb erschlossen haben. Einige Szenen und Kostüme wirkten - im Bemühen um starke Bilder - verwirrend und ließen das Publikum ratlos zurück.
Selbst Intendant Hinkel konnte nicht alle dieser Einfälle danach auf Anfrage entschlüsseln. Er erwiderte: Der jahrhundertealte Ursprungstext sei auch "voller Bilder und Rätsel". Aber er finde es reizvoll, wenn dem Betrachter Rätsel aufgeben würden und nicht alles erklärt werde.
Musical-Premiere: "Jesus Christ Superstar"
In seiner Festrede hatte Bockelmann am Freitagabend auch den Regen erwähnt, der auf der Freilicht-Bühne immer wieder "besondere Momente" hervorrufen könne. Weil es bereits vor der zweiten Premiere am Samstagabend von "Jesus Christ Superstar" reichlich regnete, hatte das Bühnen-Personal alle Hände voll zu tun. Sie schoben das Wasser von der Bühne und trockneten sie so gut wie möglich ab.
Trotzdem rutschte zu Beginn das ein oder andere Mitglied des tanzenden Ensembles aus und landete auf dem Bühnenboden. Es blieben augenscheinlich aber alle unverletzt.
Und als vor der Kreuzigung erneut ein kräftiger Regenschauer einsetzte und die Akteure durchnässte, dürften die Zuschauer froh gewesen sein, unter dem schützenden Zeltdach zu sitzen.
Mitreißende Rockoper
Ausrutscher gab es wegen des Wetters zwar mehrere, das Musical geriet aber nicht zum Reinfall. Geboten wurde eine kurzweilige Fassung der Rockoper mit deutschen Texten. Sie erzählte die letzten Tage der Passionsgeschichte.
Getragen wurde das Stück von der Musik von Andrew Lloyd Webber mit Hits wie "Hosanna" und "Jesus Christ Superstar". Präsentiert wurden sie vom Orchester unter der Leitung von Christoph Wohlleben.
"Alle mögen es - auch jüngere Leute"
"Es ist eben gute Musik und eine gute Geschichte. Sie hält sich für immer jung. Alle mögen es - auch jüngere Leute", sagte Wohlleben. In der Stiftsruine waren die Zuschauer jedenfalls bei der Premiere von den Tanz-Choreographien und den großen Bildern begeistert, die in der Stiftsruine entstand.
Geschickt genutzt wurde dabei ein zehn Meter langes und sechs Meter breites Kreuz. Es diente als zentrales Bühnen-Element. Mal wurde es für Gesangseinlagen im Spotlight zur Rampe gekippt, mal diente es als Tisch beim Abendmahl. Und am Ende fand Jesus von Nazareth dort den Tod.
Bongard: "Es gibt keinen besseren Ort"
Andreas Bongard zeigte in der Hauptrolle eine engagierte Leistung, der es aber hin und wieder an Strahlkraft fehlte. Gleiches gilt für die Amerikanerin Sidonie Smith als Maria Magdalena. Seine innerliche Zerrissenheit gut zum Ausdruck bringt dagegen Tim Al-Windawe als Judas.
Für Bongard ist es in dieser Saison ein Hessen-Heimspiel. Denn er wurde in Limburg geboren. Für ihn ist das Musical, "eine Geschichte, die zwar christlich ist, aber trotzdem universell und berührend". Im Mittelpunkt steht für ihn die Stiftsruine in Bad Hersfeld als größte romanische Kirchenruine der Welt. "Es gibt keinen besseren Ort, wo man das Stück aufführen."
Die Festspiele laufen noch bis zum 28. August. Auf dem Programm stehen weitere Theaterstücke und ein musikalisches Rahmenprogramm.
Sendung: hr1, 01.07.2023, 6.40 Uhr
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