Bilanz Frankfurter Buchmesse 2020 Eine digitale Wundertüte ohne Emotionen
Eine ungewöhnliche Frankfurter Buchmesse ist am 18.10.2020 zu Ende gegangen. Leere Hallen, kaum Begegnungen - keine Chance für Emotionen. Der erzwungene Schub ins Digitale brachte mehr Verwirrung als echte Innovation.
Die Frankfurter Buchmesse 2020 ist am Sonntag zu Ende gegangen. Den Schlusspunkt bildet eigentlich immer die emotionale Übergabe der Gastrolle an den Ehrengast des kommenden Jahres. Da fließen oft Tränen des Abschieds bei den einen - auf der anderen Seite sind gespannte Gesichter voller Vorfreude zu sehen.
2020 ist anders. Ehrengast Kanada hat seinen Auftritt auf 2021 verschoben. Eine Gastrollen-Übergabe braucht es nicht und so fühlt es sich am Ende an, als hätte am Sonntag einfach jemand den Stecker gezogen. Die Bühnenlichter in der Festhalle gehen aus, die täglichen Livestreams enden und das war es dann.
Vieles digital möglich - aber schön ist es nicht
Wegen der Corona-Pandemie hatte das internationale Branchentreffen nahezu ausschließlich im Internet stattgefunden. Wenigstens die Lesefeste Open Books und Bookfest boten in Frankfurt einen Hauch von echtem Buchmesse-Flair. Allerdings waren nur wenige Gäste zugelassen. Das Programm für die Fachbesucher war von Anfang an nur in Form digitaler Konferenzen geplant.
Für die Fachbesucher, die gezielt einzelne Konferenzen und Veranstaltungen ansurfen konnten, scheint der Sprung ins Digitale recht gut funktioniert zu haben. Zum Ende der Fachbesuchertage am Freitag hatten 148.000 Menschen aus 183 Ländern die digitalen Angebote genutzt, teilte die Buchmesse mit. Bis zum Sonntag seien es 200.000 Userinnen und User weltweit gewesen.
"Es ist gelungen, überraschend viel möglich zu machen, aber natürlich fehlt auch was, und es fehlt schmerzlich", sagte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, bereits am Freitag in einem Gespräch auf der ARD-Buchmessenbühne.
Digitale Angebotsfülle ist wenig nutzerfreundlich
Ähnlich ambivalent äußerte sich Buchmesse-Direktor Juergen Boos. Er tue sich schwer, die Begriffe Corona und Chance in einem Satz zu verbinden, sagte Boos. Es sei ein sehr anstrengendes Jahr gewesen, bei dem die Planungen für die Buchmesse immer wieder der jeweils neuen Corona-Lage hätten angepasst werden müssen. "Wir mussten dieses Jahr die Buchmesse mehrfach neu erfinden", sagte Boos.
Monatelang hatten die Veranstalter gehofft, bei einer stabilen Corona-Lage doch noch eine "physische" Messe abhalten zu können. Doch Anfang September wurde die Hallenausstellung abgesagt. Ein Großteil der Veranstaltungen wurde ins Digitale verlegt. Tausende Angebote wurden im Veranstaltungskatalog der Buchmesse gelistet - eine Fülle, die das gemütliche Stöbern und sich treiben lassen so gut wie unmöglich machte. Das große Problem: die Auffindbarkeit der Dinge, die einen interessieren. Oft wurde man nur fündig, wenn man genau wusste, wonach man eigentlich sucht.
Für Debatten fehlen Nähe und Augenhöhe
Für das Bookfest digital hatte die Buchmesse am Samstag auf zwei Kanälen ein 28-stündiges Programm zusammengestellt. Darunter waren auch längere Slots, wie ein einstündiges Gespräch mit Margaret Atwood. Die meisten Beiträge waren allerdings kurze bis sehr kurze Buchvorstellungen. Man musste schon sehr genau hinschauen, um beispielsweise Marc-Uwe Kling nicht zu verpassen - er hatte seinen Auftritt von 16.38 bis 16.41 Uhr. Mit Buchmesse-Gefühl hat das nur wenig zu tun.
Die Buchmesse ist sonst ein Ort, an dem gesellschaftliche Debatten auch kontrovers geführt werden können. Doch ein guter Streit um die Sache braucht auch Nähe und Augenhöhe. Und das ist der Schwachpunkt vieler digitaler Formate - der Rede fehlt die Gegenrede - und sei es ein kritischer Zuruf aus dem Publikum.
Das schmerzliche Gefühl der Leere
Viele Verlage waren dennoch froh darüber, dass die Messe nicht komplett abgesagt wurde und so Autorinnen und Autoren die Gelegenheit hatten, bei wenigen Veranstaltungen in Frankfurt ihre Bücher vorzustellen.
Auch den Machern vor Ort, die beispielsweise das Programm in der Festhalle auf die Bühne brachten, fehlte das Publikum schmerzlich. Literaturkritiker Denis Scheck stellte dort täglich Bücher vor und sprach mit Gästen. Sein Fazit: "So schlimm wie dieses Jahr in der leeren Halle habe ich mich noch nie gefühlt." Einen Blick hinter die Kulissen bietet Folge 5 des Buchmesse-Podcasts "WHAT A MESS".