Bilanz zur Frankfurter Buchmesse Wie die Ukraine zum zweiten Ehrengast wurde
Der offizielle Ehrengast der Frankfurter Buchmesse war Spanien, doch die Ukraine stand mindestens ebenso im Mittelpunkt. Der Krieg war allgegenwärtig, die Krisen dieser Welt auf allen Podien Thema. Schon beim Buchmesse-Auftakt ging es emotional zu, Tränen flossen bis zum Schluss.
Bunte Lichtkästen hängen über dem Gemeinschaftsstand der Ukraine in Messehalle 4. Einer leuchtet in unregelmäßigen Abständen rot auf - immer dann, wenn gerade in einer ukrainischen Stadt Luftalarm herrscht. Die Frankfurter Buchmesse hier, dort der Krieg in der Ukraine - eine bedrückende Gleichzeitigkeit.
Auf vielen Bühnen der Messe wurde über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine diskutiert, es gab unzählige Solidaritätskundgebungen mit ukrainischen Autorinnen und Autoren. Welche Bedeutung das für die Kulturschaffenden dort hat, fasste Friedenspreisträger Serhij Zhadan so zusammen: "Die Kultur darf nicht schweigen", sagte der in der Ostukraine lebende Autor in Frankfurt. "Wenn die Kultur schweigt, wenn die Schriftsteller schweigen, wenn die Dichter schweigen, dann bedeutet das, dass die Angst gewonnen hat."
Viele ukrainische Autorinnen und Autoren waren nach Frankfurt gereist, darunter Jurij Andruchowytsch und Andrej Kurkow. Einige reisten unter schwierigen Bedingungen an, saßen 30 Stunden lang im Bus. Über 40 ukrainische Verlage präsentierten in Frankfurt ihre Bücher. "Auch während des Krieges muss Kultur eine Stimme haben", betonte Zhadan.
Ukrainischer Präsident Selenskyj: "Wissen ist die Antwort"
In Zusammenhang mit Krisen und Krieg gab es viele emotionale und auch tränenreiche Momente. Ukrainische Mütter weinten, als die First Ladies von Deutschland und der Ukraine - Elke Büdenbender und Olena Selenska - zur Präsentation ihres Charity-Projektes ein Video zeigten, in welchem ein Vater während eines Luftalarms in der Ukraine Zuflucht in einem Bunker suchte. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach in einer Videobotschaft zu internationalen Verlegern. Wissen sei "die Antwort für diejenigen, die Angst haben, für diejenigen, die manipulieren".
In der Paulskirche brach Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs die Stimme bei ihrer Ansprache an Friedenspreisträger Serhij Zhadan. Langanhaltender Applaus, stehende Ovationen von einem sichtlich bewegten Publikum - dazu ein Preisträger, der sich über die Auszeichnung nicht so recht freuen konnte.
Im Grunde hatte die Ukraine auf der Frankfurter Buchmesse eine solche Präsenz, dass man neben dem offiziellen Ehrengast Spanien von einem zweiten Ehrengast sprechen muss. Der eigentliche Ehrengast Spanien wollte mit "sprühender Kreativität" punkten - und erfüllte sein Versprechen.
Spanisches Königspaar besucht Buchmesse
Junge Autoren - vor allem Autorinnen - präsentierten ihre vielfältige Literatur mit starken Themen: Wirtschaftskrise, Stadt-Land-Flucht. Der moderne und innovative Pavillon fernab jeglicher Spanien-Klischees war durchgehend gut besucht. Eine zauberhafte Insel der angenehmen Eindrücke inmitten der allgegenwärtigen Krisen-Diskussionen.
Ein Higlight für alle Royal-Fans: Das spanische Königspaar kam persönlich nach Frankfurt. König Felipe und Königin Letizia waren Gäste bei der Eröffnungsfeier und schauten sich am Tag darauf noch auf der Frankfurter Buchmesse um.
Dass diese Buchmesse emotionaler werden könnte als die Ausgaben der Vorjahre, konnte man bereits zum Auftakt ahnen. Die Messe hatte noch nicht begonnen, da solidarisierte sich Kim de l'Horizon bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises mit den Menschen im Iran und rasierte sich vor laufender Kamera die Haare ab.
Ob die inspirierende Ansprache des britisch-pakistanischen Autors Moshin Hamid bei der Eröffnungs-Pressekonferenz, der einsame Protest der ukrainischen Künstlerin Maria Kulikovska auf der Agora oder eine Spontan-Demo gegen das Mullah-Regime im Iran - die Liste der Botschaften, die von dieser Buchmesse an die Welt gesendet wurden, war lang. Und in Zeiten von Livestreams und Videoschalten besteht durchaus die Chance, gehört zu werden.
Und was gab es sonst noch so? Corona? Die Pandemie spielte während der diesjährigen Frankfurter Buchmesse keine große Rolle. Beschränkungen gab es kaum, die Hallen waren voll, Masken trugen - außer der Cosplayer - nur wenige Menschen. Ob die Messe somit noch zum Superspreader-Event wird, bleibt abzuwarten.
Auch eine alte Debatte kam wieder hoch: Der russische Nationalstand wurde von der Messe ausgeschlossen, rechte Verlage waren weiter anwesend. Während die Messe auf geltendes Recht verwies, forderten erste Stimmen den Rücktritt von Buchmesse-Direktor Juergen Boos. Wie sicher kann man sich auf der Buchmesse fühlen? Nach Messe-Angaben ziemlich sicher. Erstmals beauftragte die Leitung der Buchmesse ein Awareness-Team. Menschen, die sich diskriminiert fühlten, konnten sich an das Team wenden.
Zu Beginn hatten wir prognostiziert, dass diese Buchmesse eine emotionale und sehr politische Angelegenheit werden könnte. Unser Fazit: Dem war so.