Festival-Feeling am Wochenende Das Makeover der Frankfurter Buchmesse funktioniert

Mehr Pop- als Hochkultur: Die Buchmesse vollzieht 2024 einen Imagewechsel. "Romantasy"-Geschichten und ihre Autorinnen werden zum Publikumsmagneten. Ein belächeltes Genre erobert die große Bühne. Gestritten wird wie erhofft auch.

Besucherinnen halten Handy in ihren Händen. Sie stehen vor einer Outdoor-Bühne.
Besucherinnen fotografieren und hören der Dark-Romance-Autorin Jane S. Wonda zu. Bild © Buchmesse Frankfurt/Zino Peterek
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Morgens um elf in Deutschland: Drei junge Frauen sitzen um einen Tisch herum, trinken Aperol und reden über die Autorinnen, die sie unbedingt sehen wollen. Sie sind nicht die einzigen, die ihren Tag auf der Frankfurter Buchmesse so beginnen.

Neben ihnen auf der Agora des Messegeländes bilden sich lange Warteschlangen vor den fünf Signierzelten. Dutzende Mädchen und junge Frauen stehen vor der Bühne, filmen und fotografieren die Dark-Romance-Autorin Jane S. Wonda.

Am Samstag hatte sich die Buchmesse schlagartig verwandelt – nicht unüblich, denn der erste richtige Publikumstag ist für gewöhnlich am stärksten besucht. Dieses Jahr erinnert der Tag aber mehr an ein Open-Air-Musikfestival, wie es sie im Sommer gibt. Nicht Familien, sondern junge Erwachsene im Alter unter und knapp über 20 Jahren prägen das Bild.

New-Adult-Fokus war überfällig

Das Konzept der Buchmesse scheint aufgegangen zu sein: Mit dem neuen Fokus auf junge Leser und Leserinnen mit einer Vorliebe für Literatur, die die Sehnsucht nach einfachen Liebesgeschichten erfüllt – mal mit Fantasy gemischt, mal "spicy", wie die Community selbst sagt.

Eine ganze Hallenebene mit rund 8.000 Quadratmetern hat die Buchmesse dem Trend-Genre "New Adult" in diesem Jahr gegönnt. Auf Aufstellwänden können Fans ihren "Book Boyfriend" aufschreiben und sich für ihren Social-Media-Auftritt vor pastellfarbenen Wänden mit den Büchern ihrer Lieblingsautorinnen an reich dekorierten Verlagsständen fotografieren lassen.

Ausgerechnet ein Genre, das unter Verlagen lange als verpönt galt und belächelt wurde, hat der Buchmesse eine junge Besuchergruppe verschafft. Der Imagewechsel der Buchmesse wird mit einem bereits im Voraus ausverkauften Samstag gekrönt. Denn die Tickets für die Publikumstage gab es in diesem Jahr erstmals nur online.

Nicht alles unumstritten an New Adult

Buchmesse-Direktor Juergen Boos hatte bei der Eröffnungsfeier am Dienstagabend angekündigt: Die Buchmesse soll ein Ort des demokratischen Streitens werden. "Wir werden streiten – hart in der Sache, aber immer im Sinne des demokratischen Austausches."

Streitbare Punkte gibt es viele: zum Beispiel das teils von Männern abhängige Frauenbild in einigen gefeierten "Romantasy"-Romanen und die klischeehafte Darstellung von Sex.

So kritisiert die Autorin Jane S. Wonda, dass in vielen neueren Liebesgeschichten lange Zeit immer eine "politische Message" unterlegt werden musste. Die jungen Menschen sehnten sich aber nach "Liebesgeschichten ohne moralischen Zeigefinger".

Karin Schmidt-Friderichs vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels glaubt indes an ein inhaltliches Reifen der New-Adult-Leserinnen: "Nicht alles, was ich von 15 bis 25 gelesen habe, würde mich jetzt heute noch so umhauen." Die New-Adult-Leser würden mit der Zeit in das "eher feuilletonistische Lesen" überspringen.

Ein Literat gab den schlechten Verlierer

Einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt die trotzige Reaktion von Shortlist-Schriftsteller Clemens Meyer, der sich bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises an Autorin Martina Hefter am Montag als wahrlich schlechter Verlierer präsentiert.

Als er erfährt, dass er mit seinem nominierten Roman "Die Projektoren" den Buchpreis nicht gewinnt, ruft er laut, es sei "eine Schande für die Literatur", wie er später in einem Interview mit dem Spiegel nochmals bekräftigt. Er müsse derzeit eine Scheidung finanzieren und habe 35.000 Euro Steuerschulden angehäuft.

Umso schöner, dass Hefter in ihrem preisgekrönten Roman "Hey, guten Morgen, wie geht's dir" über modernen Heiratsschwindel im Internet schreibt.

Friedenspreisträgerin wirbt für Waffen

Nicht allen dürften auch die klaren Aussagen der diesjährigen Friedenspreisträgerin Anne Applebaum zum Krieg in der Ukraine gefallen. Sie fordert bei ihren Auftritten auf der Buchmesse und bei der Preisverleihung in der Paulskirche am Sonntag immer wieder direkt und indirekt weitere Waffenlieferungen an die Ukraine.

Ein Ehrengast, der so umstritten ist wie nie

Der Ehrengast-Auftritt hatte vor Buchmesse-Beginn bereits für innenpolitische Furore in Italien gesorgt: Auf der Buchmesse selbst lassen sich die zwei Seiten eines Landes jeweils unbeeindruckt voneinander gewähren. Einige Autoren hatten den Organisatoren des Ehrengast-Auftritts vorgeworfen, regierungskritische Literaten auszuschließen.

Im offiziellen Ehrengast-Pavillon diskutiert Italien mit sich selbst. Die Schriftstellervereinigung PEN Berlin lässt den von Italien nicht eingeladenen Mafia-Enthüllungsautor Roberto Saviano sowie seine Unterstützer Antonio Scurati und Paolo Giordano sprechen – und zwar über den einschüchternden Umgang mit regierungskritischen Intellektuellen im Land und die versteckte Zensur im offiziellen Ehrengast-Auftritt.

Bei der Eröffnungsfeier warnen zwar viele deutsche Politiker vor den akuten Gefahren für die liberalen Demokratien der Welt, die ultrarechte Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni (Partei "Fratelli d’Italia") wird jedoch nicht als konkrete Gefahr benannt. Schließlich ist ihr Kulturminister Alessandro Giuli zu Gast. Der große Eklat bleibt aus.

Ein bisschen Streit also, ein bisschen Pop und viel Gesprächswertiges: Für die Veranstalter geht eine Buchmesse zu Ende, die auf den ersten Blick nicht hätte besser laufen können.

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Quelle: hessenschau.de