Jury gibt Shortlist 2023 bekannt Diese sechs Romane haben Chancen auf den Deutschen Buchpreis
Sechs Titel haben es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2023 geschafft: Darunter bewegende Geschichten von emotionaler und körperlicher Gewalt. Außerdem geht es um die Suche nach Identität und nach Glück.
Aus der Longlist für den Deutschen Buchpreis wird die Shortlist. Aus der 20-Bücher-Liste hat die Jury am Dienstag eine Liste mit sechs Schmökern gemacht, die nun noch im Rennen um den Titel des besten deutschsprachigen Buchs des Jahres sind. Nominiert sind:
- Terézia Mora: Muna oder Die Hälfte des Lebens (Luchterhand Literaturverlag, August 2023)
- Necati Öziri: Vatermal (claassen, Juli 2023)
- Anne Rabe: Die Möglichkeit von Glück (Klett-Cotta, März 2023)
- Tonio Schachinger: Echtzeitalter (Rowohlt Verlag, März 2023)
- Sylvie Schenk: Maman (Carl Hanser Verlag, Februar 2023)
- Ulrike Sterblich: Drifter (Rowohlt Verlag Hundert Augen, Juli 2023)
Eine Übersicht der Kandidaten inklusive Hörproben finden Sie hier.
Die sechs Romane hätten auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun, sagt Jurysprecherin Katharina Teutsch. Sie spielten zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Milieus. Doch alle handelten von Prägungen: "von Erziehung und sozialer Herkunft, von politischen Ideologien, von dramatischen Systemwechseln und den Härten der Migration - von all dem also, was unsere Gegenwart ausmacht und herausfordert", betont Teutsch.
Auszüge aus den Jurykommentaren zu den einzelnen Titeln
Terézia Mora: "Muna oder die Hälfte des Lebens"
Inhalt: Muna verliebt sich in Magnus, er ist Französischlehrer und Fotograf. Die beiden werden ein Paar, doch schon bald erkennt sie ihn nicht wieder. Er ist gefühlskalt, unberechenbar, unbeherrscht. Muna sieht über ihre verletzten Gefühle hinweg, redet sich ein, dass alles besser wird. Sie verschließt die Augen vor der Wahrheit - immer und immer wieder.
Kommentar: Wie viel Kälte kann ein Mensch ertragen, ohne zu zerbrechen, ohne sich ganz und gar zu verlieren? Terezia Mora schenkt uns mit Muna eine eigensinnige, mutige Protagonistin, die sich trotz ihrer Stärke in eine toxische Beziehung stürzt. Es geht um Verführung, Missbrauch, seelische Gewalt und Selbstermächtigung. "Muna oder die Hälfte des Lebens" ist ein Roman, der nachhallt.
Necati Öziri: "Vatermal"
Inhalt: Necati Öziri legt eine Familiengeschichte über einen Sohn, eine alkoholkranke Mutter und eine Schwester vor - und über einen abwesenden Vater.
Kommentar: Mit "Vatermal" fängt Öziri den Sound der Straße ein: wütend, schlagfertig, witzig und zart. Seine jugendlichen Helden suchen Orientierung in einer Gesellschaft, in der sie nie wirklich ankommen. Öziri öffnet uns für diese deutsche Realität die Augen. Ein Roman von radikaler Wahrheit, Wut, Kraft, Liebe und Sehnsucht - und das dringlichste Debüt des Jahres.
Anne Rabe: "Die Möglichkeit von Glück"
Inhalt: Stine kommt Mitte der 80er Jahre in einer Kleinstadt an der ostdeutschen Ostsee zur Welt. Sie ist ein Kind der Wende. Um den Systemwechsel in der DDR zu begreifen, ist sie zu jung, doch die vielschichtigen ideologischen Prägungen ihrer Familie schreiben sich in die heranwachsende Generation fort.
Kommentar: Durch aufwendige Archivarbeit belegt Anne Rabe in "Die Möglichkeit von Glück", wie stark das kulturelle Klima der DDR beeinflusst war von unaufgearbeiteten Kriegserfahrungen. Durch diese scharfe Analyse und eine hochemotional erzählte Familiengeschichte gelingt ihr damit ein aufrüttelnder Beitrag zu aktuellen Debatten über die Ursprünge von Gewalt und Menschenfeindlichkeit.
Tonio Schachinger: "Echtzeitalter"
Inhalt: Ein elitäres Wiener Internat, untergebracht in der ehemaligen Sommerresidenz der Habsburger, der Klassenlehrer ein antiquierter und despotischer Mann. Was lässt sich hier fürs Leben lernen? Till Kokorda kann weder mit dem Kanon noch mit dem snobistischen Umfeld viel anfangen. Seine Leidenschaft ist das Gamen, konkret: das Echtzeit-Strategiespiel Age of Empires 2. Hier wird er zur Berühmtheit. Doch wie echt ist sein Online-Glück?
Kommentar: Tonio Schachingers „Echtzeitalter“ gelingt das Kunststück, als Coming-of-Age-Roman ebenso einfühlsam wie dezent zu sein. Stilistisch brillant, aber nie aufdringlich wird die Geschichte des Wiener Gymnasiasten Till erzählt: Zerfall der Familie, Freundschaften, erste Liebe, der diabolische Klassenlehrer Dolinar und seine despotischen, aber auch prägenden Lektionen über Literatur und Sprache.
Sylvie Schenk: "Maman"
Inhalt: Eine Annäherung an die eigene Mutter und eine schmerzhafte Abrechnung: 1916 wird Sylvie Schenks Mutter geboren, die Großmutter stirbt bei der Geburt. Angeblich war diese eine Seidenarbeiterin, wie schon die Urgroßmutter. Aber stimmt das?
Kommentar: Sylvie Schenk begibt sich mit "Maman" auf eine Spurensuche, die zur Lebensgeschichte ihrer Mutter, ihrer Familie und damit zu ihren eigenen Wurzeln, ihrem eigenen Wesen führt. Kunstvoll verwebt sie dabei Fakten und Fiktionen und verdichtet sie zu einer literarischen Biografie, die der Sprachlosigkeit der Mutter eine Erzählung entgegensetzt, in der auch Armut, Scham, Trauma und Zweifel ihren Ausdruck finden.
Ulrike Sterblich: "Drifter"
Inhalt: Wenzel und Killer sind Freunde seit Ewigkeiten und stehen mitten im Leben. Killer als PR-Chef einer großen Firma, Wenzel betreut die Social-Media-Kanäle eines TV-Senders. Doch alles ändert sich, als Vica in ihr Leben tritt: eine Frau in goldenem Kleid, meist begleitet von zwei treuen Adjutanten und einem riesigen Zottelhund. Mit jeder Begegnung ploppen neue Fragen auf, vor allem: Woher weiß sie so viel über Wenzel und Killer?
Kommentar: "Drifter" von Ulrike Sterblich ist ein einziger furioser Ritt. Eine bitterböse Satire auf den Literaturbetrieb, die PR-Branche, Kunst, Social Media, Aktienmanager und Heldenverehrung.
Die Jury zum Deutschen Buchpreis 2023
Ursprünglich hatten 111 Verlage insgesamt 172 deutschsprachige Romane ins Rennen geschickt. 81 Verlage sitzen in Deutschland, 10 in der Schweiz und 20 in Österreich. Die Jury erstellte daraus zunächst die 20 Titel umfassende Longlist, aus der nun die Shortlist entstanden ist.
Diese sieben Literaturexpertinnen und -experten entscheiden, wer den Deutschen Buchpreis 2023 erhält:
Katharina Teutsch (freie Kritikerin), Shila Behjat (Journalistin und Publizistin), Heinz Drügh (Goethe-Universität Frankfurt), Melanie Mühl (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Lisa Schumacher (Steinmetz’sche Buchhandlung, Offenbach), Florian Valerius (Gegenlicht Buchhandlung, Trier), Matthias Weichelt (Zeitschrift Sinn und Form). Die sieben Jury-Mitglieder wählten aus Büchern aus, die von Oktober 2022 bis September 2023 erschienen sind.
Preisverleihung am 16. Oktober
Erst am Abend der Preisverleihung, am 16. Oktober, dem Abend vor Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, erfahren die sechs Autorinnen und Autoren, wer von ihnen den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Der Gewinner erhält 25.000 Euro, die anderen fünf Finalisten bekommen jeweils 2.500 Euro.
Die Preisverleihung findet traditionell im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt. Auf der Website des Deutschen Buchpreises wird die Veranstaltung am 16. Oktober ab 18 Uhr live übertragen.
20 Bloggerinnen und Blogger begleiten den Deutschen Buchpreis. Unter #buchpreisbloggen und #dbp23 findet man die Beiträge auch bei Twitter und Instagram. Vergeben wird die Auszeichnung seit 2005. Den Deutschen Buchpreis 2022 gewann Kim de l'Horizon für den Debütroman "Blutbuch".
Sendung: hr-iNFO, 19.09.2023, 11 Uhr
Ende der weiteren Informationen