Thema auf der Frankfurter Buchmesse Künstliche Intelligenz in der Literatur - Hype oder Horror?
Wird Künstliche Intelligenz die Literatur verändern? Definitiv, sagen Experten. Ob dadurch Existenzen vernichtet werden oder Schriftsteller profitieren können, hängt vor allem von einem Faktor ab.
Würden Sie, liebe Nutzerinnen und Nutzer, nach dem folgenden Einstieg weiterlesen? Er lautet: "In einer Welt, in der Technologie unsere Lebensweise in nahezu jeder Hinsicht beeinflusst, dringt die künstliche Intelligenz in Bereiche vor, die einst ausschließlich der menschlichen Kreativität vorbehalten waren.
Die Literatur, die lange Zeit als das Produkt menschlicher Vorstellungskraft und Gefühl galt, erlebt eine Revolution. Maschinen, die in der Lage sind zu schreiben, zu analysieren und zu interpretieren, verändern die Art und Weise, wie Geschichten erzählt werden, und werfen Fragen auf, die die Grundfesten der Literatur in Frage stellen."
KI schreibt nicht schlecht, aber auch nicht gut
Autor dieser Zeilen ist der Textroboter ChatGPT, der auf künstlicher Intelligenz (KI) basiert. Der Auftrag war, den Anfang einer Reportage über KI in der Literatur zu schreiben. Das Resultat ist nicht schlecht, aber auch nicht wirklich mitreißend, oder?
Bei Kreativen hat die zuletzt sprunghafte Entwicklung von KI große Sorge ausgelöst. Experten sehen großes Potenzial, die Branche für immer umzuwälzen. Da liegt es nahe, dass sich die Frankfurter Buchmesse des Themas mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen annimmt. An einer davon wird die Autorin Jenifer Becker teilnehmen, die sich relativ unvoreingenommen mit dem Thema beschäftigt hat, wie sie erzählt.
"Man merkt schnell, was die Systeme nicht können"
"Wenn man diese Systeme ausprobiert, merkt man schnell, was sie aktuell können - und vor allem, was sie nicht können", berichtet Becker. Kurze Texte funktionieren nach ihrer Erfahrung gut. Auch eher einfache literarische Formen - wie etwa Groschenromane - kann sich Becker schon KI-generiert vorstellen.
Einen wirklich berührenden, komplexen Roman von einer KI schreiben zu lassen - das sei bislang nicht möglich. Die erfundenen Figuren seien eindimensional, befänden sich oft auf einer Heldenreise, müssten Herausforderungen überwinden, die sehr einfach gehalten seien. "KI kann nicht zwischen den Zeilen erzählen", sagt Becker. "Das funktioniert noch überhaupt nicht gut."
Es braucht immer noch Autoren
Ähnliche Erfahrungen hat Albert Henrichs gemacht. Er ist Leiter des Bereichs deutschsprachige Literatur beim S. Fischer Verlag in Frankfurt. Dort wurde im Juni ein verlagsübergreifendes KI-Team gegründet, berichtet er. Ziel des Teams sei es, Expertise zu sammeln und entsprechende KI-Tools auszuprobieren.
Die Ergebnisse solcher Tests decken sich mit Beckers Beobachtungen: Es brauche immer noch einen Autoren oder eine Autorin, die KI-Texte bearbeiteten, sagt Henrichs. "Letztendlich sind es dann aber keine KI-generierten Texte mehr."
Wichtigstes Thema: das Urheberrecht
Mit Prognosen für die Zukunft ist Henrichs vorsichtig, da sich die Technik rasant entwickle. Im Selfpublishing könnten in nächster Zeit schon viele Bücher entstehen, die mit KI-Unterstützung geschrieben seien. "Es dürfte dann aber auch wieder ein Bedürfnis nach originelleren Texten entstehen", glaubt Henrichs.
Die Frage, ob Bücher markiert werden sollen, wenn deren Autorinnen oder Autoren mit KI gearbeitet haben, stelle sich seinem Verlag deswegen noch nicht, sagt Henrichs. Wichtigstes Thema für ihn sei das Urheberrecht.
Börsenverein: Politik muss Rahmen setzen
Urheberrechtliche Fragen treiben auch den Börsenverein des Deutschen Buchhandels um: Dass kommerzielle KI-Modelle geschützte Werke ohne Zustimmung der Rechteinhaber als Trainingsdaten nutzten, sei "ganz klar eine Urheberrechtsverletzung in bisher nicht dagewesenem Ausmaß", sagt Susanne Barwick, Justiziarin des Vereins. Mit großem Interesse verfolge die Branche hierzulande die Klage amerikanischer Autorinnen und Autoren gegen den ChatGPT-Anbieter OpenAI.
Hier müsse die Politik einen klaren Rahmen setzen. "Für die Zukunft können wir uns verschiedene Modelle der Lizenzierung von Werken zur Weiterentwicklung generativer KI-Modelle vorstellen", sagt Barwick. Autorinnen und Autoren müssten frei entscheiden dürfen, ob sie Werke zu Trainingszwecken zur Verfügung stellten. KI-generierte Werke müssten gekennzeichnet werden.
Ähnlich sieht das der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Es dürfe zudem keine Konkurrenzsituation entstehen, ergänzt die Vorsitzende Lena Falkenhagen: "Wichtig ist, dass Autorinnen und Autoren bei der Vergütung nicht mit KI-generierten Texten konkurrieren müssen", betont sie. "KI ist kein Urheber."
Ministerium: Vergütung nicht vorgesehen
Auf die Frage nach konkreten Regulierungsplänen in Sachen KI erhielt der hr aus den zuständigen Ministerien eher vage Antworten. Das Thema werde derzeit auf EU-Ebene verhandelt, heißt es aus dem Bundesministerium für Wirtschaft. Kennzeichnungspflichten könnten aus Sicht der Bundesregierung "in Betracht kommen".
Das Bundesministerium für Justiz wiederum zieht Transparenzvorgaben in Bezug auf Trainingsdaten für KI-Anbieter in Betracht, welche verhältnismäßig und technisch umsetzbar sein müssten, wie es schreibt.
Eine Vergütung für die Nutzung geschützter Inhalte zu Trainingszwecken sei nicht vorgesehen, heißt es weiter. Rechteinhaber hätten aber eine so genannte Opt-Out-Option, sie könnten also entsprechende Vorbehalte gegenüber der Nutzung erklären oder (Vergütungs-)Verträge abschließen. Diesen Vorbehalt könnten sie "im Rahmen der eigenen Internetpräsenz erklären".
KI kann bei Schreibblockaden helfen
Abseits solcher Rechtefragen sieht Albert Henrichs vom S. Fischer Verlag den Einsatz von KI verhalten positiv: "Es kann ein Mittel sein, das manche Autoren in Situationen, in denen sie nicht weiterkommen, nutzen werden." Statt zum Beispiel spazieren zu gehen, werde sich der ein oder andere Autor künftig mit einem Chatbot unterhalten. "Aber das ist dann ein kreativer Prozess, der zu einem Text führt, der nicht von einer KI geschrieben wurde", betont er.
Eine Einschätzung, die Autorin Jenifer Becker teilt. So wie der Synthesizer die Musik verändert habe, könne möglicherweise auch KI "völlig neue Literaturformen" hervorbringen. "Dass keine Romane mehr von Menschen geschrieben werden, glaube ich nicht."
Wie weit KI wiederum die Arbeit von Verlagen auch an anderer Stelle in der Produktionskette beeinflussen wird, vermag Henrichs noch nicht zu sagen. Nur so viel: "Verlage wie wir verbinden mit Texten, die wir publizieren, einen Qualitätsanspruch", betont er. "Ich sehe nicht, wie das Bücher-Produzieren in der Art, wie der S. Fischer Verlag es macht, sich groß verändern wird. Wir werden vielleicht noch mehr in die Auswahl und das Kuratieren gehen müssen."
Sendung: hr-iNFO, 17.10.2023, 10 Uhr
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