Frankfurter Buchmesse 2024 Sieben Bücher, die im Buchmesse-Gastland Italien für Aufsehen sorgten
Italien ist Ehrengast der kommenden Frankfurter Buchmesse. Dutzende Autoren und Autorinnen aus Italien reisen an, darunter auch einer, der zunächst nicht offiziell geladen war. hessenschau.de hat sieben Bücher herausgesucht, die in Italien Gesprächsstoff lieferten.
Nach 36 Jahren kehrt Italien als Gastland auf die Frankfurter Buchmesse (16. bis 20. Oktober 2024) zurück. Rund 100 Autorinnen und Autoren werden ihre Bücher als Teil der offiziellen Delegation vorstellen - darunter einige, die in Italien Schlagzeilen machten. Auch der Gastland-Auftritt selbst sorgte im Vorfeld für Diskussionen, weil prominente Namen auf der Liste offiziell eingeladener Autoren fehlten.
Besonders die Nichteinladung von "Gomorrha"-Autor Roberto Saviano, einem bekannten Kritiker der Mafia und der politischen Rechten, führte zu einem Eklat. Saviano wird nun bei Veranstaltungen seines Verlags Hanser auftreten. Welche Bücher sich ansonsten zu lesen lohnen: hessenschau.de hat sieben Rezensionen von ARD-Kulturredakteurinnen und -redakteuren zusammengestellt.
"Café Royal" von Marco Balzano
Wer ist der Autor? Marco Balzano wurde 1978 in Mailand geboren. Er schreibt Gedichte und Essays, Erzählungen und Romane. Er wurde vielfach ausgezeichnet und ist nach Angaben seines Verlags derzeit einer der erfolgreichsten und meistgelesenen italienischen Autoren. "Café Royal" ist sein jüngster Roman.
Worum geht es? Sommer 2020, mitten in der Corona-Pandemie in Mailand: Die sonst so lebendige Via Marghera im Zentrum der Stadt wirkt wie ausgestorben. Nur das Café Royal ist geöffnet. Hier treffen sich vorsichtig allerhand Großstadtneurotiker, auf Abstand - aber doch froh, dass menschliche Begegnungen wieder möglich sind.
Wie gefällt es? In dem Episodenroman geht es um die Probleme moderner Großstädter, um (schwule und lesbische) Singles, Eheprobleme, Midlifecrisis oder Einsamkeit. Die Probleme wirken etwas seicht, sagt Rezensent Dirk Fuhrig in Deutschlandfunk Kultur, so dass das Buch nicht an den Vorgängerroman "Ich bleibe hier" herankommt. Doch sind sie so witzig und präzise formuliert, dass der Autor eine Atmosphäre schafft wie Woody Allen in seinen New-York-Filmen. Fazit des Rezensenten: Eine anregend schöne Endsommerlektüre.
"Das große A" von Giulia Caminito
Wer ist die Autorin? Giulia Caminito wurde 1988 in Rom geboren. Mit ihrem Debüt "Das große A" erregte die studierte Philosophin 2016 in Italien großes Aufsehen. Das Buch wurde jüngst ins Deutsche übersetzt.
Worum geht es? Die 13-jährige Giada harrt während des Zweiten Weltkriegs bei ihrer Tante in der Lombardei aus. Inmitten aller Entbehrungen träumt sie sich weg ins "große A", nach Afrika, wo ihre Mutter in den italienischen Kolonien wohnt. Nach dem Krieg holt ihre Mutter sie tatsächlich zu sich nach Eritrea. Schnell wird Giada klar, dass die Realität nicht mit ihren Träumen übereinstimmt.
Wie gefällt es? Giulia Caminito mischt eine Coming-of-Age-Geschichte mit italienischer Kolonialgeschichte. Sie war die erste Autorin, die sich dieser Zeit und dieses Themas angenommen hat. Es ist ein anderer, politischer und sehr zugänglicher Blick auf Italien, der sehr viel Neues über die Geschichte des Landes vermittelt, sagt Rezensentin Maike Albath in Deutschlandfunk Kultur, die das Buch unbedingt empfiehlt.
"Muttersprache" von Maddalena Fingerle
Wer ist die Autorin? Auch die 1993 in Bozen geborene Germanistin und Romanistin Maddalena Fingerle erregte mit ihrem Debüt Aufsehen in Italien. "Muttersprache" wurde mehrfach ausgezeichnet.
Worum geht es? Der Einzelgänger Paolo Prescher ist besessen von Wörtern. Er teilt sie ein in saubere und dreckige Wörter. Dreckig sind Wörter, mit denen gelogen oder Sinnloses gesagt wird. Sauber sind klare, eindeutige Wörter. Paolo leidet unter der Heuchelei der Mutter und der Boshaftigkeit der Schwester. Er hasst seine Geburtsstadt Bozen, die nur oberflächlich weltoffen ist. Er geht nach Berlin, wo er sich besser fühlt - aber nur für kurze Zeit.
Wie gefällt es? "Muttersprache" ist sehr aktuell. Es ist ein "feinsinniger Anti-Heimat-Roman einer vielversprechenden jungen Schriftstellerin", sagt Rezensent Dirk Fuhrig im Deutschlandfunk. Der Roman "verbindet die Struktur eines klassischen Entwicklungsromans mit vielschichtigen Reflexionen über die Bedeutung von Mehrsprachigkeit; kulturelle Vielfalt einerseits und (identitäts-)politische Instrumentalisierung von Heimat und Sprache andererseits".
"Die Stadt der Lebenden" von Nicola Lagioia
Wer ist der Autor? Nicola Lagioia kam 1973 in Bari zur Welt. Er arbeitet als Schriftsteller, Lektor und Journalist. 2016 war er Direktor der Turiner Buchmesse.
Worum geht es? Nicola Lagioia schildert ein wahres Verbrechen, das in Italien ein große Medienecho erregte: Im März 2016 quälten Manuel Foffo und Marco Prato, zwei junge Männer aus gutem Hause und in der Römer Schwulenszene aktiv, in einer Wohnung am Stadtrand von Rom stundenlang den jungen Luca Varani zu Tode. Warum, blieb unklar. Lagioia geht auf Spurensuche.
Wie gefällt es? Kritiker zogen nach Erscheinen des Tatsachenromans Parallelen zu der Erzählkunst von Truman Capote - zurecht. Lagioias tastende, minutiös-genaue Suche gelingt, sagt Rezensent Tobias Gohlis in Deutschlandfunk Kultur: "Ein Meisterwerk. Von großer Menschlichkeit."
"Weiße Löcher" von Carlo Rovelli
Wer ist der Autor? Carlo Rovelli wurde 1956 in Verona geboren. Der Physiker und Autor hat sich dem Ziel verschrieben, die Quantenmechanik einem breiten Publikum zu erklären. Um Rovelli hatte es im Vorfeld der diesjährigen Buchmesse einen Eklat gegeben: Er war nach Kritik am Verteidigungsminister der ultrarechten Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zunächst aus- und nach Protesten wieder eingeladen worden. Infolge dessen war der damalige Sonderbeauftragte für den Gastland-Auftritt zurückgetreten.
Worum geht es? "Weiße Löcher. Ein neues Bild des Universums" ist kein Roman, sondern ein natur-/populärwissenschaftliches Buch. Carlo Rovelli beschreibt darin das theoretische Konstrukt der Weißen Löcher, deren Existenz noch nicht bewiesen ist, von der er aber überzeugt ist. Sie sind demnach das Gegenteil von Schwarzen Löchern: Die einen ziehen alle Materie in sich hinein, die anderen geben ihre Information wieder frei.
Wie gefällt es? Bei der Beschreibung von Weißen Löchern holpert Rovelli, sagt Volkart Wildermuth in Deutschlandfunk Kultur. Im Laufe des Buchs fange sich der Autor aber, etwa wenn er die Relativität der Zeit erkläre, die in einem Weißen Loch vermutlich rückwärts läuft. Das Buch sei so etwas wie ein "Workout für die Vorstellungskraft", es sei weit von einem echten Sachbuch entfernt und mache wirklich Spaß.
"Falcone" von Roberto Saviano
Wer ist der Autor? Roberto Saviano kam 1979 zur Welt. Der Schriftsteller und Journalist thematisiert in seinem literarischen Werk und in seinen Reportagen das Phänomen der Mafia und der organisierten Wirtschaftskriminalität. Sein Roman "Gomorrha" machte ihn weltberühmt, seitdem muss er aber auch unter Polizeischutz leben. Auf der Liste der offiziellen Gastland-Autoren fehlte Saviano zunächst, später wurde er eingeladen, nahm aber nicht an und wird nun bei Veranstaltungen seines Verlags auftreten.
Worum geht es? Saviano zeichnet das Leben des berühmten Mafiajägers Giovanni Falcone nach - als Richter, aber auch als Ehemann, Bruder und Freund. Mit seinem Geldwäsche-Gesetz forderte Falcone die Mafia heraus. Er starb am 25. Mai 1992, als er mit seiner Frau unterwegs zum Wochenendhaus war. Die Mafia sprengte sie mitsamt einem Stück Autobahn in die Luft - ein Wendepunkt in der Geschichte Italiens, das in eine schwere Krise stürzt.
Wie gefällt es? Saviano "schreibt dicht, packend, mit vielen Dialogen, die die Arbeit der Ermittler, die Auseinandersetzungen innerhalb der italienischen Justiz und die Verbindungen bis in die hohe Politik hinein detailreich und mit geballter Recherchekompetenz illustrieren", urteilt hr2-kultur-Rezensent Mario Scalla.
"Die Seele aller Zufälle" von Fabio Stassi
Wer ist der Autor? Fabio Stassi wurde 1962 auf Sizilien geboren. Seine Romane lehnt er gerne an historische Gegebenheiten an. Stassi ist mehrfach ausgezeichnet, zuletzt erkannte im das PEN-Zentrum Deutschland den Hermann-Kesten-Preis zu, weil er sich gegen "die neo-faschistischen Tendenzen in Italien" stelle.
Worum geht es? Vince Corso hilft Menschen in Lebenskrisen. Als Bibliotherapeut empfiehlt der seinen Klienten dabei Bücher, die ihnen in ihrem Dasein weiterhelfen. Eines Tages wendet sich eine Dame an ihn. Ihr Bruder brauche Hilfe dabei, sich an eine bestimmte Passage Weltliteratur zu erinnern. Eine andere möchte, dass er ihr beim Vergessen hilft. Corso muss seine Fähigkeiten als Gelegenheitsdetektiv aktivieren.
Wie gefällt es? "Die Seele aller Zufälle" sei ein Kriminalroman ohne Leiche, voller Rätsel, Mysterien, Hin- und Verweisen ohne Ende, sagt Thomas Wörtche in Deutschlandfunk Kultur. Es ist "eine spannende, wollüstig zu genießende, allzeit originelle und sehr kluge Lektüre darüber, dass alles mit allem zusammenhängen mag, wenn man es nur erkennen kann."