Bücher, Promis und Skandale Die größten Aufreger aus der Geschichte der Frankfurter Buchmesse

Zum 76. Mal öffnet die Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr ihre Tore. Das heißt: 76 Mal Buchvorstellungen, Lesungen und große Literatur, aber auch heftige Diskussionen, Proteste und Skandale. Ein Streifzug durch die Jahrzehnte.

Zwei Männer sitzen an einem Tisch und halten ein Buch, einer macht eine Grimasse.
Verleger Willy Droemer (li.) zusammen mit Boxlegende Muhammad Ali bei der gemeinsamen Präsentation von Alis Biographie auf der Buchmesse (Archivbild vom 11.10.1975). Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)
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So ganz genau weiß niemand, wann in Frankfurt zum ersten Mal eine Buchmesse abgehalten wurde. Erste schriftliche Dokumente liegen nach Angaben der Messe aus dem Jahr 1437 vor. Zu dieser Zeit revolutionierte Johannes Gutenberg im benachbarten Mainz gerade den Buchdruck und Bücher wurden vom Luxus- zum Allgemeingut.

Im Jahr 1949 begründete der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die Frankfurter Buchmesse so, wie es sie heute gibt: 205 deutsche Aussteller kamen vom 18. bis 23. September 1949 in der Frankfurter Paulskirche zur ersten Buchmesse der Nachkriegszeit zusammen.

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Seitdem sind sind Autoren, politische Gäste und die Buchmesse selbst auch immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Eine Auswahl:

1959: Günter Grass macht mit "Die Blechtrommel" Furore

Bis zur Frankfurter Buchmesse des Jahres 1959 ist der Lyriker und Dramatiker Günter Grass weitestgehend unbekannt. Dann stellt er sein Roman-Debüt "Die Blechtrommel" vor: die Geschichte des Sonderlings Oskar Matzerath, der mit drei Jahren aufhört zu wachsen. Ein tabuloser Roman, der für heftige Debatten sorgt. So nennen die Kirchen das Buch "blasphemisch", es gibt Diskussionen um Auszeichnungen für Grass.

Heute gehört der Roman zu den meistgelesenen der deutschen Nachkriegsliteratur, seine literarische Qualität ist unumstritten. Auch für ihn erhält Grass 1999 den Literaturnobelpreis.

Günter Grass spielt vor seinem Elternhaus in Danzig eine Blechtrommel.
Günter Grass spielt vor seinem Elternhaus in Danzig eine Blechtrommel. Bild © picture-alliance/ dpa | epa pap Stefan Kraszewski

1968: Daniel Cohn-Bendit muss vor Gericht

Am Sonntag, den 22. September 1968, liegt Anspannung über Frankfurt. In erster Linie freudige, denn es ist der Tag der Friedenspreisverleihung. Es geht aber auch ernst zu. Der Paulsplatz ist abgeriegelt. Drei Hundertschaften Polizei, Wasserwerfer und eine Reiterstaffel stehen rund 1.500 Demonstranten gegenüber. Letztere werfen dem Preisträger, dem senegalesischen Dichter und Politiker Léopold Sédar Senghor, vor, sein Land seit 1963 autoritär zu regieren.

Der spätere Fraktionsführer der Grünen im Europa-Parlament, Daniel Cohn-Bendit, durchbricht die Barrikaden und wird festgenommen. Später wird er im Schnellverfahren zu acht Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt, was in der zweiten Instanz auf sechs Monate reduziert und 1969 ganz aufgehoben wird. Cohn-Bendits politischer Karriere schadet all dies nicht.

68er: Cohn-Bendit bei Friedenspreisverleihung
Daniel Cohn-Bendit (Mi. mit weißem Schal) bei der Demo gegen die Friedenspreisverleihung an Léopold Senghor. Bild © picture-alliance/dpa (Archiv)

1975: Boxer Muhammad Ali stellt seine Memoiren vor

Als er sein Buch auf der altehrwürdigen Messe vorstellt, klagt ein Reporter noch, das sei ein "Tiefschlag gegen die Literatur": 1975 kommt Boxlegende Muhammad Ali nach Frankfurt, um seine Memoiren "Der Größte" zu präsentieren. Das Buch wird zu einem herausragenden Erfolg, den der Verlag Droemer schon vorausgeahnt hat: Mit 200.000 Dollar hatte er den höchsten Honorarvorschuss ausgegeben, der für Buch-Rechte in Deutschland bis dahin je gezahlt wurde.

Immer wieder zeigen sich im Laufe der Jahre Sportler auf der Buchmesse: Fußballer Franz Beckenbauer im selben Jahr, später Tennislegende Boris Becker, kürzlich Basketballspieler Dirk Nowitzki. Auch andere Promis präsentieren sich, etwa Königspaare, Hollywood-Schauspieler wie Omar Sharif und Diane Kruger oder Rockstars wie Bruce Springsteen.

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Muhammad Ali umringt von Reportern hält ein Buch in der Hand und zieht eine Grimasse
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1989: Iran wird nach Mordaufrufen ausgeladen

1989 sind nicht nur die Entwicklungen in Osteuropa Thema auf der Buchmesse. Die Veranstalter schließen Iran wegen des Mordaufrufs gegen den britisch-indischen Autor Salman Rushdie von der Teilnahme an der Messe aus. 1988 sind die "Satanischen Verse" erschienen, ein Roman, der das Leben zweier aus Indien stammender Muslime beschreibt und der teils vom Leben des islamischen Propheten Mohammed inspiriert ist.

Fundamentalistische Muslime protestieren, es kommt zu Gewalt. Iranische Organisationen setzen ein Kopfgeld auf Rushdie aus. Obwohl sich 1999 der damalige Staatspräsident Chatami von der sogenannten Fatwa distanziert, werden bei Angriffen auf Übersetzer des Buchs 38 Menschen getötet und zahlreiche schwer verletzt. Rushdie - letztjähriger Friedenspreisträger - überlebt 2022 einen Anschlag nur knapp.

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Salman Rushdie 2017 auf der Frankfurter Buchmesse Bild © hessenschau.de

1998: Martin Walser hält Skandal-Rede

Die Dankesrede von Martin Walser nach der Entgegennahme des Friedenspreises am 11. Oktober 1998 führt zu einem Skandal. Walser spricht darin von einer "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken". Und: "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung."

Nicht nur der Zentralrat der Juden in Deutschland ist empört. Monatelang wird in den Feuilletons debattiert. Walser bereut die Rede später, wie er in einem Spiegel-Interview sagt. Sie sei missverständlich gewesen, einige Aussagen seien ihm zu Recht übel genommen worden.

Nach seiner Dankesrede nimmt der Schriftsteller Martin Walser (M), Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 1998, den Applaus von Bundespräsident Herzog (l), seiner Frau Käthe Walser und Gerhard Kurtze (r), Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, entgegen.
Martin Walser nach seiner Dankesrede als Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 1998. Bild © hr

2009: Buchmessengast China sorgt für Kontroversen

Schon für die Auswahl des Gastlandes China erntet die Buchmesse Kritik. Während der Messe 2009 sehen sich die Kritiker dann bestätigt: Während eines im Vorfeld veranstalteten China-Symposiums verlässt ein Großteil der chinesischen Delegation den Veranstaltungssaal, nachdem die regierungskritischen Schriftsteller Bei Ling und Dai Qing das Wort ergreifen. Beide sind zuvor auf Druck Chinas ausgeladen worden, jedoch trotzdem angereist.

Die Offiziellen kehren erst nach einer öffentlichen Entschuldigung von Buchmesse-Direktor Juergen Boos zurück, der später "unnötige Kompromisse" bei der Planung der Tagung einräumt. Dann muss er sich gegen Zensurvorwürfe wehren.

Die Diskussionen um das Gastland reißen bis zum Ende der Messe nicht ab. Fest steht: Ein echter Austausch zwischen offiziellen Vertretern Chinas und Dissidenten findet nicht statt.

Dai Qing (r.) und Bei Ling beim Symposium in Frankfurt
Dai Qing (r.) und Bei Ling beim Symposium in Frankfurt. Bild © picture-alliance/dpa

2017: Diskussionen um rechte Verlage

Am 14. Oktober 2017 kommt es beim Auftritt von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke zu einer Demonstration und zu Handgreiflichkeiten, die Polizei muss eingreifen. Die Buchmesse distanziert sich später von jeder Form von Gewalt.

Nach weiterer Kritik weist sie darauf hin, dass sie wegen ihrer weltweiten Monopolstellung rechtlich verpflichtet sei, auch rechten Verlagen Zugang zum Ausstellungsbetrieb zu gewähren. In den Folgejahren werden die Messestände rechter Verlage in eine Sackgasse verlegt, was die Diskussionen nicht beendet.

2021 sagen mehrere Schwarze Autorinnen ihren Buchmesse-Besuch wegen Sicherheitsbedenken ab. Bei der Friedenspreis-Verleihung an die Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga unterbricht die Frankfurter Stadtverordnete Mirrianne Mahn die Veranstaltung und erklärt, es sei paradox, einer Schwarzen Frau den Friedenspreis zu verleihen, während nicht dafür gesorgt wurde, dass sich Schwarze Menschen auf der Messe sicher fühlten.

Seit 2022 stellt die Buchmesse ein Awareness-Team bereit, an das sich Menschen wenden sollen, die Diskriminierung erleben.

Höcke Buchmesse
Björn Höcke nach seiner Lesung 2017. Bild © hessenschau.de

2020: Corona

So etwas wie in den Jahren 2020 und 2021 gab es auch noch nicht: In Frankfurt gibt es 2020 keine Hallenausstellung, der Auftritt des Gastlandes Kanada wird auf 2021 verschoben. Die Branche trifft sich virtuell. Der "ideelle und finanzielle" Verlust ist groß, wie Buchmessen-Direktor Juergen Boos sagt. 2021 gelten noch die strengen Corona-Regeln, nur 25.000 Menschen am Tag sind zugelassen.

2022 tastet sich die Branche nach und nach in Richtung Normalität, erreicht wird sie aber wohl erst in diesem Jahr. "Rappelvoll" könnte es werden, also wie in der Vor-Corona-Zeit, prognostiziert Buchmessen-Chef Boos bei der Vorschau-Pressekonferenz. Es seien weit über 50 Prozent mehr Tickets verkauft worden als zur selben Zeit im Vorjahr.

2023: Terrorangriff auf Israel und Streit um LiBeraturpreis für palästinensische Autorin

Kurz vor Eröffnung der Buchmesse 2023 (18. bis 22. Oktober) startete die Hamas am 7. Oktober einen Terrorangriff aus dem Gaza-Streifen heraus auf Israel, der die Welt in Schock versetzte. Die Buchmesse wurde mit Solidaritätsbekundungen für Israel eröffnet. Für Aufregung sorgte bei der Eröffnung der slowenische Philosoph Slavoj Žižek, der im Rahmen des Ehrengast-Auftritts geladen war und sich in seiner Rede für die im Gazastreifen lebenden Palästinenserinnen und Palästinenser einsetzte. Seine Rede wurde von Zwischenrufen unterbrochen, einige Gäste verließen den Saal. Der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker (CDU) widersprach Žižek erst vor und später direkt auf der Bühne und warf ihm vor, die Verbrechen der Hamas zu relativieren.

Zudem kritisierte Žižek, dass die palästinensische Autorin Adania Shibli nicht wie ursprünglich geplant auf der Buchmesse für ihren Kurzroman "Eine Nebensache" mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet wurde. Kritiker warfen ihr vor, der Roman bediene antisemitische Stereotype. Die Preisverleihung wurde auf unbestimmt verschoben. Wie der vergebende Verein Litprom im September 2024 mitteilte, kam kein Termin für die nachträgliche Preisverleihung an die palästinensische Autorin Adania Shibli zustande.

Redaktion: Katrin Kimpel

Sendung: hr3,

Quelle: hessenschau.de